Kommentar von Andrea Schurian
Eigentlich bin ich ja der Meinung, dass jemand, der Stimmen aus dem Netz hört, schleunigst einen Arzt aufsuchen sollte. Aber nun haben es die Stimmen aus dem Netz in die Schlagzeilen der Medien geschafft, weil, Skandal, ein nichtjüdischer Schauspieler – Bradley Cooper – im Biopic Maestro ein jüdisches Musikgenie – Leonard Bernstein – spielt. Der geniale Pianist, Komponist und Dirigent hatte neben einer beeindruckenden Haarpracht bekanntlich auch eine markante Nase. Cooper nicht, obwohl: so klein ist seine ihm angeborene Nase nun wieder auch nicht. Wie dem auch sei, zwecks größtmöglicher Ähnlichkeit mit Bernstein trägt Cooper für die Rolle nicht nur eine Perücke, sondern auch eine Nasenprothese. Jewfacing!, zwitschern die Netz-Stimmen erbost, die große Nase bediene antisemitische Klischees und Stereotypen. Und überhaupt: Warum spiele nicht ein Jude diese Rolle?
Die wackeren Hüter einer woken Moral scheinen tatsächlich Rassismus ihrerseits mit blankem Rassismus bekämpfen zu wollen. Denn was hieße dieser identitätspolitische Unfug zuende gedacht: Dass Bernstein eine große Nase hatte, weil er Jude war? Dass nur Juden große Nasen haben? Dass Juden nur Juden, aber keine Nichtjuden spielen dürfen? Die Diskussion ist ja nicht neu: Als Oscar-Preisträgerin Helen Mirren in dem Film Golda die erste israelische Ministerpräsidentin spielte und die israelische Schauspielerin Gal Gadot für die ägyptische Pharaonin Kleopatra gecastet wurde, flogen der einen Jewfacing und der anderen Whitewashing um die Ohren. Dürfen also nur Blonde auch blondhaarige Menschen spielen? Nur aristokratische Darsteller Königinnen und Könige? Und nur echte Mörder Mörder, weil ja nur sie so wirklich wissen, wie dunkel es in der Seele ausschauen muss, damit man einen anderen Menschen tötet? Die Identitären sind sicher dankbar, dass die Woke Society vollenden will, wovon Alt- und Neo-Nazis so sehnsüchtig träum(t)en.
Apropos Nazis: In der 2020 mit einem Oscar für das beste adaptierte Drehbuch ausgezeichneten Kriegs-Tragikomödie Jojo Rabbit spielt der Neuseeländer Taika Waititi, geboren als Taika David Cohen, Adolf Hitler. Waititis Vater ist Maori, die Mutter hat russisch-jüdische Wurzeln. „Künftig braucht’s dann wohl den Arierpass, damit jemand den Hitler spielen darf“, ätzte Poster „Bixn“.
Ich möchte ja die Netz-Stimmen nicht auf blöde Gedanken bringen, aber: Bernstein war nicht nur jüdisch, sondern bekanntlich auch promiskuitiv und bisexuell. Bradley Cooper ist, wenn man Hochglanzblättern glauben darf, beides nicht. Gemäß LGBTQIA*-Doktrin dürfen aber queere, homo-, bisexuelle oder genderfluide Menschen nur von queeren, homo-, bisexuellen oder genderfluiden Menschen dargestellt werden und Bernstein folglich nur von einem bisexuellen, promiskuitiven Juden. Wie einstens im Dritten Reich muss beim Vorsprechen also nicht nur Stammbaum und religiöses Bekenntnis, sondern auch die sexuelle Orientierung geoutet werden. Cis für Cis. Trans für Trans. Schöne neue Welt. Identitär und Identität unterscheiden sich nur durch einen Buchstaben. Bernsteins Kinder haben mit Coopers maskenbildnerisch vergrößertem Riechorgan übrigens kein Problem, ihr Vater habe ja tatsächlich eine schöne, große Nase gehabt; dass Cooper nachgeholfen habe, diese Ähnlichkeit herzustellen, wäre ihrem Vater sicher recht gewesen. Seine Lebensgeschichte sei bei Cooper, der auch das Drehbuch geschrieben und Regie geführt hat, in den sensibelsten Händen, die sie sich vorstellen könnten. Vermutlich verstehen sie mehr von Kunst als Coopers mehr oder minder talentierte Schauspielkollegen und -kolleginnen. Deren in die Welt gezwitscherte Empörung, dass der jüdische Musiker von einem katholischen Schauspieler mit irisch-italienischen Wurzeln verkörpert wird, zeugt nämlich von einem entlarvenden Unverständnis ihres Berufes.
Darstellende Kunst ist so tun als ob: Man schlüpft in eine Rolle, gibt vor, Vergewaltigungsopfer, Massenmörder, FBI-Agentin, Alien, Ritter, Königin, Bettler oder Präsidentin zu sein. Männer spielen Frauen und Frauen Männer. Cooper verkörpere einen realen Menschen, sagte Joshua Malina, Schauspieler und, ja, in dem Zusammenhang erwähnenswert, Jude. Und dann sagte er auch noch den ultimativ klugen Satz: „Wenn ein Schauspieler eine große Hakennase aufsetzen würde, um Shylock oder einen beliebigen, fiktiven Juden zu spielen, hätte ich ein Problem mit der Verbreitung eines antisemitischen Stereotyps. Juden haben in der Tat keine größeren Nasen als andere Menschen; Leonard Bernstein hatte eine. Das ist das Ende der Geschichte für mich.“
Wenn, dann liegt bei Maestro Bernstein-Facing vor – wie das so ist bei einem Biopic.