Juden und Roma leben seit Jahrhunderten Seite an Seite in Europa. Obwohl Roma für Menschen, die nicht zu ihrer Volksgruppe gehören, den häufig ausgrenzenden Begriff Gadže verwenden, wurden Juden von diesem Begriff stets ausgenommen. Die Musik der Bibolde – wie Juden von Roma genannt werden – spielt sicher eine entscheidende Rolle für die enge Verbundenheit der beiden Minderheiten. Denn die Genres Gypsy und Klezmer ähneln sich wie kaum zwei andere.
VON SAMUEL MAGO
BGKO: Musik voll Lebensfreude und Optimismus
Für die Sympathie zwischen Juden und Roma gibt es viele Erklärungen. Manche führen sie auf die gemeinsame Verfolgungsgeschichte und den Holocaust, andere auf Ähnlichkeiten in der Kultur und Tradition zurück. Doch dass Juden und Roma in ihrer Musik ein Lebensgefühl teilen, kann man kaum abstreiten. Rhythmik, Dynamik und Klang beider Musikrichtungen zeigen auf, dass die Gemeinsamkeiten weit hinter die Zeilen der Notenblätter führen.
Jahrhundertelang kam es zu einer natürlichen Fusion der Gattungen Klezmer und Gypsy. So ist es nicht verwunderlich, dass in der Gegenwart etliche Bands, Ensembles und Orchester existieren, die eine Mischung aus genau diesen beiden Stilrichtungen in ihrem Repertoire haben. Das Barcelona Gypsy Klezmer Orchestra – kurz BGKO – ist eines der bekanntesten Beispiele für eine Verschmelzung von Musik der Juden und Roma. NU sprach mit dem Frontmann der Band, Robindro Nikolic, bei ihrem Konzert in Wien.
Hinter den Kulissen
In der Konzerthalle des Wiener Metropol auf der Hernalser Hauptstraße herrscht einige Stunden vor dem Konzert noch Stille. Robindro scheint überhaupt nicht nervös zu sein – kein Wunder bei fünfzehn Auftritten im Monat. Vor mehr als drei Jahren gründete er mit einem Dutzend Kollegen und Freunden das Barcelona Gypsy Klezmer Orchestra, das heute auf sechs Mitglieder geschrumpft ist. Die Musiker kommen aus den unterschiedlichsten Winkeln Europas. Die Perkussion ist griechisch, die Gitarre französisch, der Bass serbisch, das Akkordeon italienisch, die Sängerin aus Spanien und nicht zuletzt Robindro – der serbische Klarinettist mit Wurzeln in Indien.
In Serbien aufgewachsen, ließ sich der Leiter des Orchesters bereits in seiner frühen Jugend von Volksmusik aus Serbien, Ungarn und Rumänien inspirieren. Die Musik seiner indischen Vorfahren, Klezmer- und Gypsy-Musik beeinflussten ihn schon seit seiner Kindheit. Sein Studium begann Nikolic am Mozarteum in Salzburg. „Auf der Uni habe ich über Beethoven gelesen, dass er großes Interesse für Zigeunermusik hatte und im späten 18. Jahrhundert sogar den großen ungarischen Zigeunergeiger Lakatos besucht hat. So habe ich die Lakatos-Dynastie für mich entdeckt. Sándor und Roby Lakatos sind für mich seither große Inspirationen gewesen. Über Schubert erfuhr ich, dass er viele jüdische Freunde hatte. Seine Arpeggione-Sonate weist zum Beispiel viele Klezmer- Motive auf. Und so stolperte ich auch im Laufe des Studiums oft über diese Musik“, erzählt Robindro von seiner Faszination.
Die Musik der Krise
Nach dem Universitätsabschluss in Österreich übersiedelte der Klarinettist nach Barcelona. „Salzburg hat eine wahnsinnig gute Uni, ist aber sehr konservativ. Manchmal hatte ich einfach das Bedürfnis zu experimentieren“, erinnert er sich. Vor allem für Tango, Flamenco und Fado hatte er großes Interesse. Er begann in Barcelona mit einem italienischen Akkordeonisten in Bars und auf der Straße zu spielen. Nach einem Jahr kamen sie auf den Gedanken, eine größere Gruppe zu bilden. „Wir hatten damals noch kein Konzept, nur sehr viele Ideen“, lächelt er.
Zunächst begannen sie mit Jam- Sessions und kleineren Aufritten. Die Musik wurde schon damals von Balkan, Gypsy, Klezmer und Jazz- Manouche dominiert. Die Gruppe fand sehr rasch ihren Stil: „Wir haben unsere eigene Musik gemacht, und wenn wir an einen fremden Ort gekommen sind, haben wir die dortigen Klänge in unsere Musik eingebaut. Genau dieser Prozess geschah mit den jüdischen und Roma-Migranten des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts. In den schwierigsten Zeiten schafften es diese zwei Volksgruppen, eine Musik zu spielen, die Würde und Optimismus ausstrahlte“, so der 33-Jährige. 2012 debütierte das BGKO, und auch heute seien die Zeiten nicht einfach, meint Robindro. In den Jahren, bevor er nach Barcelona zog, hatten viele spanische Musiker das Land verlassen. „Durch die Wirtschaftskrise hat sich vieles verändert und verschlechtert. Deshalb dachten wir uns, wir spielen eben die Musik der Krise. Und so begannen wir mit Gypsy und Klezmer.“
Bereits nach einem halben Jahr stellte das Sextett seine Version der Roma-Hymne Gelem Gelem auf Youtube. „Wir hatten einen großen Druck, weil die meisten Klezmer- und Roma- Musiker ihr ganzes Leben lang diese Musik spielen und mit ihr aufwachsen. Wir hatten nur einige Monate vor dem Clip angefangen zu proben. Nach einem Jahr hatten wir dann aber realisiert, dass das Video über eine Million Klicks erreicht hatte“, erzählt Robindro. Seither hat das Ensemble bereits zwei CDs aufgenommen und ist mit etlichen Giganten der Genres Gypsy und Klezmer aus Ländern wie Israel, Russland, England und der Türkei aufgetreten. „Ich bin dem Orchester und den Fans sehr dankbar“, so der Frontmann. Allein dieses Jahr tourten die Musiker durch knapp 20 Länder und begeisterten das Publikum auf Festivals und in ausverkauften Konzertsälen.
Da capo al fine
Manche würden denken, die Fusion der Musikrichtungen Gypsy und Klezmer sei die Erfindung von Ensembles wie dem Barcelona Gypsy Klezmer Orchestra, L’Orkestina, der österreichischen Band !DelaDap oder des rumänisch-österreichischen Künstlers Shantel. Diese zwei Gattungen, erklärt Nikolic, seien jedoch schon vor Jahrhunderten auf natürliche Weise zusammengekommen: „Die rhythmische Artikulation und der Spirit sind in Klezmer- und Gypsy-Musik unglaublich ähnlich. Es gab in der Geschichte diesen magischen Moment in der Ukraine, in Moldawien, Rumänien und Ungarn, als Roma und Juden anfingen, zusammen zu spielen und plötzlich dutzende gemeinsame Lieder hatten. Doch auch in Frankreich können wir feststellen, dass Jazz-Manouche und Klezmer große Zusammenhänge aufweisen. Die französischen Roma haben ein Lied, das heißt Joseph, Joseph. Juden spielen dieselbe Melodie und nennen sie Josel, Josel. Es ist das gleiche Lied, doch wo der Ursprung ist, weiß keiner mehr so genau.“
Was beide Genres und beide Völker gemeinsam hätten, sei ihr Ausdruck in der Musik, meint der Klarinettist. Man spiele, als könnte jeder Tag der letzte sein. Bei ihrem Konzert im Wiener Metropol hat man den Eindruck, genau dieses Gefühl würde das Orchester vermitteln. Und selbst mit einem geübten Ohr fällt es schwer, zwischen Melodien der Juden und Roma zu unterscheiden. Doch vielleicht ist genau das der Reiz an der Geschichte. Denn irgendwie bleiben Gypsy und Klezmer wohl doch untrennbar in ihrem Klang und verschmelzen zu einer Melodie – und einem Applaus.