Kein vorüberziehender Kelch

Schon Sophia Loren freute sich 1958 über den Pokal für „Die schwarze Orchidee“. Am Namen des Preises wird sich so schnell nichts ändern. © Ullstein Bild / picturedesk.com

Seit 1949 wird beim Filmfestival in Venedig der Goldene Löwen für den besten Film vergeben. Die Schauspielerinnen und Schauspieler müssen allerdings bis heute mit dem historisch belasteten Coppa Volpi Vorlieb nehmen, benannt nach Mussolinis Finanzminister.

Von Gabriele Flossmann

Das neueste Werk des mehrfach preisgekrönten israelischen Filmemachers Amos Gitai war auch in diesem Jahr beim Festival von Venedig vertreten. Dass die prominente Komödiantin Hana Laszlo, die in Gitais Film Laila in Haifa an der Seite von Hollywood-Star Shia LaBeuf eine der Hauptrollen spielt, bei diesem Wettbewerb leer ausgegangen ist, könnte man beinahe als „Glück“ bezeichnen. Zumindest nach der Definition von Friedrich Torberg, der seiner unvergleichlichen Tante Jolesch die prägnanten Worte in den Mund legte: „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist.“

In Cannes konnte die israelische Schauspielerin im Jahr 2005 für ihre herausragende Darstellung in Gitais Free Zone eine Goldene Palme ergattern. In Venedig gibt es für die jeweils besten Schauspieler und Schauspielerinnen einen „Coppa Volpi“. Und es wäre eine besondere Ironie der Geschichte gewesen, würde Hana Laszlo für ihre Rolle im Gitai-Film diesen Preis bekommen, der nach einem faschistischen Politiker benannt ist.

Denn bis heute ist die Auszeichnung für die besten männlichen und weiblichen Darsteller ausgerechnet nach Mussolinis Finanzminister, dem Festival-Mitgründer Giuseppe Graf Volpi (1877–1947), benannt. Auf der Gewinnerliste dieses auch optisch nicht besonders ansprechenden Preises finden sich die Namen großer Stars, auch Vanessa Redgrave darf sich stolze (?) Besitzerin eines Coppa Volpi nennen – als beste Darstellerin in Little Odessa (1994). Die Liste lässt sich prominent fortsetzen mit Charlotte Rampling, Helen Mirren, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Cate Blanchett oder Emma Stone – oder deren männliche Kollegen wie Brad Pitt, Philip Seymour Hoffman, Michael Fassbender, Götz George oder Sean Penn. Abgelehnt wurde er bisher nicht.

Rückblick

Machen wir einen Blick zurück in die Geschichte des ältesten Filmfestivals: Die deutsche Komödie Der Kongress tanzt – wahrlich ein künstlerisches Leichtgewicht – war bei den ersten Festspielen im August 1932 in Venedig gegen eine internationale Konkurrenz angetreten. Zwei weitere deutsche Beiträge, Leni Riefenstahls Regiedebüt Das blaue Licht und Leontine Sagans Mädchen in Uniform, konnten sich neben dem Großaufgebot US-amerikanischer Prominenz wie Frank Capra, Howard Hawks, Ernst Lubitsch und King Vidor behaupten. Als Eröffnungsfilm lief am 6. August 1932 Rouben Mamoulians Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Frankreich war mit Klassikern von René Clair und Julien Duvivier vertreten. Im Freilichtkino auf der Terrasse des Hotels Excelsior am Lido zogen in 15 Filmnächten 26 Filme aus sieben Nationen 25.000 Besucher an. Das neugegründete Filmfestival stand damals unter der Leitung von Conte Guiseppe Volpi di Misurata, einem Sympathisanten des faschistischen Staats und Finanzminister Mussolinis. Das fortan jährlich stattfindende Festival boomte in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre. Die Festivalgäste trugen faschistische Uniformen, die Preise blieben den Propagandafilmen vorbehalten.

In den ersten Festivaljahren wurde ausschließlich der jeweils beste italienische Film ausgezeichnet. Als beste ausländische Produktionen kamen vor allem Filme aus Nazi-Deutschland – von Luis Trenker, Leni Riefenstahl, Gustav Ucicky oder Veit Harlan – in den Wettbewerb. Der Preis für den besten Film hieß in den Jahren 1934 bis 1942 „Coppa Mussolini“, benannt nach dem italienischen Diktator. Während 1938 zur ersten großen Retrospektive des französischen Kinos geladen wurde, nahm Leni Riefenstahl den Coppa Mussolini für ihren Olympia-Film entgegen. In den darauffolgenden Kriegsjahren fiel das Filmfestival aus. 1949 kehrte es in den Palazzo del Cinema am Lido zurück – ohne Coppa Mussolini. Stattdessen wurde als Hauptpreis für den besten Wettbewerbsfilm der „Goldene Löwe“ eingeführt. Die besten Schauspielerinnen und Schauspieler müssen allerdings bis heute mit dem historisch belasteten Coppa Volpi Vorlieb nehmen. Vor der Realität dieses Namens gibt es kein Entkommen, auch nicht im Kino, der großen Eskapismus-Maschine. Die Konflikte der Vergangenheit lösen sich eben nicht im zivilisatorischen Fortschritt auf, sie wiederholen sich oder kommen in Variationen wieder.

1946 gewann Cannes in der Kinowelt an Bedeutung. Um sich dagegen zu behaupten, versuchte sich die Mostra del cinema als Festival der Avantgarde. Die linken Cineasten-Rebellen mussten sich noch lange mit dem faschistischen Erbe herumplagen. Am Lido wurden in der Folge tatsächlich alle „entdeckt“, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Rang und Namen hatten: Resnais, Kurosawa, Godard, das italienische Kino von Rossellini bis Bertolucci, der neue deutsche Film mit Wenders, Trotta, Fassbinder. Zum endgültigen Bruch mit der Vergangenheit kam es 1968, dem Jahr der internationalen Studentenrevolte. Sogar die Löwenvergabe wurde damals bis zum Jahr 1980 eingestellt.

Ausblick

Einen großen Popularitätssprung machte das Festival in den Neunzigerjahren unter der Leitung des oscargekrönten Regisseurs Gillo Pontecorvo. Er wagte den Spagat zwischen Autorenfilm, US-amerikanischem Blockbuster und Glamour und holte das junge Publikum zurück an den Lido. Ein Problem des Festivals blieb der Verschleiß an Direktoren: Der renommierte Filmkritiker Guglielmo Biraghi und sein Nachfolger Marco Müller blitzten mit ihrem Wunsch ab, den noch unter Mussolini errichteten Festivalpalazzo durch einen Neubau zu ersetzen. Silvio Berlusconi stellte als Reaktion darauf das aus den Dreißigerjahren stammende Gebäude unter Denkmalschutz. Der italienische Filmproduzent Felice Laudadio hatte als Festivaldirektor einen Versuch unternommen, den Coppa Volpi durch einen Löwen zu ersetzen. Nach einer nur knapp zweijährigen Amtszeit scheiterte er ebenfalls an Berlusconi.

Seit einigen Jahren hält nun Alberto Barbera die Fäden in der Hand. Es geht das Gerücht, dass er ebenfalls den Coppa Volpi umbenennen möchte. Aber vielleicht ist das tatsächlich nur ein Gerücht – schließlich ist er gerne Festivaldirektor.


Der Fischer und die Frauen

© Go2Films

Nach der im Mai notwendig gewordenen Verschiebung geht nun im Oktober – hoffentlich – das Jüdische Filmfestival über die Bühne. Weniger prominent als Venedig, aber nicht weniger interessant. Eröffnungsfilm (Dror Zahavis Crescendo über die verbindende Kraft der Musik mit Peter Simonischek als Dirigent) und Schwerpunkte sind dieselben geblieben, wobei das Festivalmotto „Tear down this wall!“ in den vergangenen Monaten wohl eine neue Bedeutung erfahren hat. Entlehnt von Ronald Reagan vor der Berliner Mauer, geht es mittlerweile um Mauern der völligen anderen Art. Sie sind nicht so leicht feststellbar wie Einreisebeschränkungen und Ausgrenzungen, sondern werden unsichtbar mitten durch die Gesellschaft gezogen und nicht nur akzeptiert, sondern als notwendig erachtet.
Neben neuen israelischen Produktionen wie dem Familiendrama Esau mit Harvey Keitel und der Komödie Forgiveness stehen traditionell auch dokumentarische Arbeiten auf dem Programm: In A Fish Tale von Emmanuelle Meyer möchte der in Israel lebende Johnny zurück in seine ehemalige afrikanische Heimat, um sich mit dem neu erworbenen Know-how über Fischerei eine Existenz aufzubauen.
Unter einem Schwerpunkt zum Thema „Frauen und Film“ versammelt das Festival so unterschiedliche Arbeiten wie die preisgekrönte Bühnenshow Golda’s Balcony, Mrs. G. über die Gründerin der Bademoden-Firma Gottex oder Barbara Rubin and the Exploding NY Underground über die New Yorker Film- und Performance-Künstlerin der Sechziger. Not to be missed: Ask Dr. Ruth, das Portät der humorbegabten Sexualtherapeutin Ruth Westheimer, der NU im Dossier „Kosherer Sex“ (1/2020) ein ausführliches Porträt widmete. (mp)

Jüdisches Filmfestival Wien
7.– 21.10.
www.jfw.at

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