Die aus Wien gebürtige Psychoanalytikerin Erika Freeman heilt die Seelen der Stars. Auch mit unglaublichen 93 – und trotz Corona – hält sie Kontakt zu ihren Patienten auf der ganzen Welt, derzeit hauptsächlich virtuell. Im Wiener Kaffeehaus sitzt sie allerdings ganz reell.
Von Andrea Schurian
Es ist fünf Uhr nachmittags, das Café Korb in Wien gut besucht. In der kleinen Loge ganz hinten sitzt Erika Freeman, ihr Pullover ist so rosafluffig wie ihre Laune. Missmut? Gehört nicht zu ihren ureigensten Charaktereigenschaften. Trotz aller erlebter Widrigkeiten richtet die Grande Dame der Psychotherapie, auf deren Couch Weltberühmtheiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Hollywood ihre Seele baumeln ließen, den Blick auf das Positive, zieht das Böse ins Lächerliche, würzt ihre Erzählungen mit weiser Heiterkeit. „Mein ganzes Leben ist ein Wunder“, sagt sie zum Auftakt, „klagen bringt mir nichts.“ Und eigentlich klagt sie ja auch nicht, dass ihr geliebter Mann Paul, ein Bildhauer, nach 25 Jahren Ehe gestorben ist. Obwohl, fügt sie dann hinzu, „das war echt eine Chuzpe! Man stirbt nicht, wenn man fünfzig ist. Wäre er noch am Leben, könnte ich ihn dafür ermorden. Man kann sich auf Männer nicht verlassen. Entweder sie leben nicht lang genug. Oder sie laufen davon.“
Ja, so klingt Erika Freeman, die 1927 als Erika Polesciuk-Padan in Wien geboren wurde.
Von Corona wurde die Weltenbummlerin, die zwischen Alter und Neuer Welt, zwischen Wien und New York pendelt, nun überlang just an jene Stadt gefesselt, in der sie ihre Kindheit verbrachte – und aus der sie mit zwölf via Amsterdam und Rotterdam als unbegleitete Minderjährige in die USA flüchtete. „Unter all den vielen Flüchtlingen war ich das einzige Kind. Zwei Holländer holten uns ab, einer sagte: Schau mal, so jung und schon so jüdisch.“ Der Vater kam nach Theresienstadt, die Mutter lebte als U-Boot in Wien. „Als eine Nachbarin meine Mutti sah, hat sie sich glatt die Mühe gemacht und ist quer durch die Stadt zur Gestapo gegangen, um sie zu denunzieren.“ Doch die Mutter überlebte den Naziterror – beinahe. Sie starb im März 1945 beim letzten Bombenangriff auf Wien.
Von der Frau Mama hat Erika den Humor geerbt – und den Mut. „Die Mutti war eine wirklich mutige Frau, sie hat Hebräisch zu einer Zeit studiert, als es Frauen eigentlich untersagt war. Und später war sie die erste und einzige Frau, die in Österreich Hebräisch gelehrt hat. Auch meine erste Sprache war Hebräisch, dann Deutsch, dann Französisch. Meine Mutter war auch das Vorbild für Isaac Bashevi Singers Erzählung Yentl. Die Barbra“, setzt sie übergangslos fort, „ist so nett“, wobei mit „Barbra“ natürlich ihre gute Freundin Streisand gemeint ist, die Yentl verfilmte: „Barbra war bei ihrer Mutter nicht so beliebt, aber sie war Daddy’s girl. Wenn du als Mädchen von deinem Vater geliebt wirst, kannst du alles schaffen. Jede Frau, die etwas geschafft hat, ist Daddy’s girl. Männer hingegen sind geliebt von ihren Müttern. Und man kann sehen, wer Mamis Lieblingssohn ist.“ Apropos Daddy’s girl: Nach Kriegsende lief ihr in New York ausgerechnet zu Jom Kippur der Vater über den Weg, von dem sie glaubte, er sei in Theresienstadt ermordet worden: „Es war ein Wunder! Das kann man sich nicht vorstellen. Weil könnte man es sich vorstellen, wäre es ja auch kein Wunder.“
Schüchternes Mädchen
Sie selbst war in New York zunächst bei Verwandten untergekommen, doch weil die das einsame, schüchterne Mädchen aus Europa eigentlich gar nicht bei sich haben wollten, kam sie ins Waisenhaus. Ein Glück, wie sie heute sagt, denn da war jeder fremd. Später kümmerte sich ihre Tante Ruth Klüger-Aliav um sie, eine Heldin der zionistischen Bewegung und als einzige Frau Gründungsmitglied des Mossad, die während der NS-Zeit tausenden Juden das Leben rettete. „Ruth war eine große Heldin. Sie fragte mich, was ich für mein Land tue. Ich war, wie jeder, der sie kennenlernte, so begeistert von ihr, sie hatte eine unglaubliche Ausstrahlung.“
Seit Jahrzehnten residiert Erika an Manhattans feinster Adresse, immer noch hat sie ihre Wohnung und die psychotherapeutische Praxis am Central Park West. In dem denkmalgeschützten Gebäude hatte einst auch ihr Mann sein Atelier. Wieder blitzt ihr Humor auf, als sie über ein Feature erzählt, das eine Journalistin über Frauen gemacht habe, deren Partner zu Hause arbeiten. „Eine der Interviewpartnerinnen hat gesagt, sie habe ihren Mann geheiratet ‚for better and for worse. But not for lunch‘. Offensichtlich war ich die Einzige, die es schön fand, dass wir am gleichen Ort lebten und arbeiteten.“
Meeting Marlon Brando
Eines Tages im Jahr 1967 klingelte Marlon Brando an der Tür am Columbus Circle Nr. 25. Angesagt war der Filmstar für drei, gekommen ist er um eins. „Ich stand da, in Jeans, dem Hemd meines Mannes, noch barfuß und ungeschminkt. Wenn man in Amerika einen Pool hat, sagt man: ‚Come in, the water is fine!‘ Das habe ich ihm auch gesagt. The water is fine!“ Das Mittagessen dauerte schlussendlich bis weit nach Mitternacht – und die enge Verbundenheit bis zu Brandos Tod. Marlon, sagt sie, sei viel zu intelligent und zu sensibel für Hollywood gewesen, „das ist keine Umgebung für jemanden, der so tief empfindet, wie er es tat.“ Überhaupt empfänden Künstler viel tiefer als andere Menschen. Bei einem Rückschlag müssten sie so spielen, als ob es nicht wichtig wäre, „aber in Wirklichkeit trifft es sie doppelt so hart. Und wenn sie prominent geworden sind, wissen sie nicht, ob die Leute mit ihnen um ihrer selbst willen reden oder nur, weil sie berühmt sind.“
Die Clintons zählen ebenso zu ihren Freunden wie Barbra Streisand; Stars wie Marilyn Monroe und Woody Allen frag(t)en sie um Rat. An und für sich aber nennt Freeman keine Namen, plaudert nichts aus über ihre prominenten Klienten. Wobei sie das Wort „Klient“ eigentlich gar nicht mag: „Ich bin ja kein Anwalt.“ Auch kein Anwalt der Seele? „Nein, hoffentlich nicht. Hoffentlich bin ich ein Freund der Seele. Ich muss die Seele ja nicht verteidigen. Ich kenne so viele wichtige Menschen, Legenden. Aber wer bin ich? Ein kleiner Refugee aus Wien. So what! Manche meiner Patienten waren schon längst berühmt, ehe sie in meine Praxis kamen. Andere wurden es parallel zu unseren Sitzungen. Aber“, fügt sie lebensweise hinzu, „die besten Künstler sind nicht immer die berühmtesten. Im Gegenteil. Für Ruhm brauchst du nur eine Sache: Good PR. Und Glück.“
Dinnerplaudereien
Glück habe sie auch immer gehabt. Dass die Schülerin von Theodor Reik, der wiederum der Lieblingsschüler Sigmund Freuds war, zu einer der gefragtesten Seelenklempnerinnen der Promiszene wurde, sei, wie sie lachend sagt, einfach nur „a Masel“ gewesen, eine Verkettung glücklicher Zufälle: Da wären einmal die prominent besetzten Tischgesellschaften von Tante Ruth, an denen von Präsident Roosevelt abwärts die führenden Köpfe der damaligen Zeit teilnahmen. Dann wäre da die Kollegin, die ein paar Promis in ihrem Wartezimmer hatte. Man traf sich privat, jemand habe sie empfohlen, der habe sie weiterempfohlen, so halt. Schließlich war sie als Talkshow-Gast derart überzeugend, dass man ihr später eine eigene Show anbot. Und dann setzte sich bei einer Dinnerparty ein schöner, junger Mann neben die schöne, junge Therapeutin. Er erzählte, dass er als Jugendlicher von zu Hause weggelaufen und beim Zirkus gelandet sei. Sie sagte, wie froh sie sei, dass sich der Ehrengast des Abends, Burt Lancaster, verspätet habe, weil sie sonst diese wunderschöne Geschichte nie gehört hätte. Sagte der junge Mann: „Ich bin Burt Lancaster.“ Fazit der Dinnerplauderei: Erica Freeman wurde psychologische Beraterin beim Film.
Purer Luxus
Ist sie eigentlich gläubig? „Ja, ich glaube an Gott“, sagt sie – und da ist er wieder, der Freemansche Humor, „denn er ist ein herrlicher Kerl – wenn man Geduld mit ihm hat. Schließlich hat er ja auch Geduld mit uns. Ich bete und lasse ihm Zeit, mein Gebet zu erhören. Wir Juden und Christen sind Brüder, wobei wir Juden gegenüber den Katholiken den Luxus haben, dass wir direkt mit Gott reden können.“ Koscher lebt sie – zumindest ein bisschen: „Ich esse kein Schweinefleisch, aber ich liebe Lobster. Gehe ich in die Synagoge? Nein. Als die Nazis kamen, hat meine Mutter zu Hause gebetet, denn der liebe Gott ist überall.“ Längst hat sich das aus Wien vertriebene jüdische Flüchtlingsmädchen, das die ersten zwölf Jahre seines Lebens in der Ausstellungstraße im zweiten Bezirk verbrachte, mit der Heimatstadt versöhnt. Dass Juden in Wien so frei leben können, sei für sie die größte Genugtuung. Früher wohnte sie gern im Imperial. Auch jetzt noch, wenn sie von einer Schabbatfeier bei Freunden in ihre Wohnung in Mariahilf heimgeht, macht sie gern im Imperial Station, jenem Hotel, das Adolf Hitler arisieren ließ und wo er logierte, wenn er in Wien war: „Im Imperial einzukehren, zu essen, zu übernachten: Das ist meine jüdische Rache an Hitler. Er ist tot, ich bin da. Wir sind da!“