Die Ausstellung „Gesammelt um jeden Preis!“ im Wiener Volkskundemuseum widmet sich am Beispiel der Sammlung Mautner dem vor 25 Jahren beschlossenen Rückgabegesetz.
VON THOMAS TRENKLER
Eine Sanierung des Palais Schönborn in der Laudongasse wäre schon seit vielen Jahren dringend erforderlich. Die Stadt Wien als Eigentümerin der Immobilie sträubte sich aber, auch nur einen Cent zu investieren. Denn sie hatte das Gebäude dem Volkskundemuseum unentgeltlich zur Nutzung überlassen. Dem darbenden Verein jedoch fehlten die notwendigen Mittel. Und so verkam das Palais immer mehr.
2022 sprangen Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer bzw. die EU als Retterinnen ein: Aus dem Resilienzfonds stehen nun 25 Millionen Euro für die Renovierung zur Verfügung, im Gegenzug akzeptierte die Stadt einen neuen Fruchtgenussvertrag. Demnach darf die Institution, unter Direktor Matthias Beitl zu einem hippen wie queeren Stadtmuseum avanciert, das Palais bis Ende 2081 nutzen.
Die Umbauarbeiten sollen von Herbst 2024 bis Mitte 2027 dauern. Der Auszug aber beginnt bereits Ende November. Und so wurde Ende April die vorerst letzte Ausstellung eröffnet. Sie widmet sich der erstaunlichen Sammlung der jüdischen Industriellenfamilie Mautner, die dem Museum von Anbeginn (1917) bis zur NS-Zeit eng verbunden war.
Die Schützenscheiben, Haubenstöcke, Pfeifenköpfe, Trachtenabbildungen, Stoffmuster und so weiter würden heutzutage aber wohl kaum gesteigertes Interesse hervorrufen. Und so erzählt man die Geschichte der Sammlung wie der Familie über einen Umweg: über den NS-Kulturgüterraub und die in der Zweiten Republik zunächst nur zögerlich gehandhabte Restitution.
Der Zeitpunkt für die hoch informative Ausstellung Gesammelt um jeden Preis! ist gut gewählt. Denn 1998 wurde das Kunstrückgabegesetz beschlossen, das trotz einiger Mängel – die Republik entscheidet nach eigenem Ermessen, es gibt weder ein Anhörungs- noch ein Einspruchsrecht – international Vorbildcharakter hat. Eine solche faktenbasierte Schau (inklusive Medienstation, Timeline und Videointerviews) anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums wäre eigentlich einer Bundeseinrichtung gut angestanden. Zumal das Rückgabegesetz nur für die Bundesmuseen Gültigkeit hat.
Das Volkskundemuseum unterwarf sich 2014 freiwillig den Richtlinien: Es erforscht seither die Provenienzen, erstellt Dossiers und übermittelt sie dem Rückgabebeirat. In sieben von den bis jetzt elf behandelten Fällen empfahl dieser eine Restitution.
Kathrin Pallestrang, Magdalena Puchberger und Maria Raid legen also dar, „warum Objekte durch den Nationalsozialismus ins Museum kamen und wie wir damit umgehen“ (so der Untertitel der Schau). In der von Michael Zinganel und Michael Hieslmair zweckmäßig gezimmerten Ausstellungsarchitektur nehmen sie ein paar Umwege, um alle Facetten darzustellen. Zu sehen sind auch einige Objekte und Bücher, die definitiv entzogen wurden, aber aufgrund fehlender Hinweise nicht ausgefolgt werden können.
Von den bis dato 600 restituierten Objekten stammen 500 aus der Sammlung von Konrad und Anna Mautner, die ins Ausseerland vernarrt gewesen waren und eine Villa am Grundlsee hatten: Das Selbstverständnis des Museums als „Spiegelbild des mannigfaltigen österreichischen Völkerlebens“ bzw. als „Stütze des österreichischen Staatsgedankens“ sowie als Vorbild und Anregung für die „heimatliche Kunst und Arbeit“ hätte sich, liest man in der Ausstellung, „mit den unternehmerischen und patriotischen Zielen und Werten der Familie“ getroffen.
Konrad Mautner, der 1924 mit nur 44 Jahren starb, soll die Bilder des Salzkammerguts (als „österreichische Referenzlandschaft“) in unseren Köpfen wesentlich mitgeprägt haben: Seine umfangreichen Forschungen, Aufzeichnungen und Veröffentlichungen zur Kultur dieser Region würden „bis heute identitätsstiftend und wirtschaftsbelebend“ wirken.
Seine Frau Anna war nicht weniger einflussreich: 1934 hatte sie in der Oststeiermark eine Kiste mit alten Holzmodeln erworben – und begann am Grundlsee mit dem Bedrucken von Stoffen. Die Dirndltücher waren im Austrofaschismus ein Verkaufsschlager.
In der NS-Zeit musste Anna Mautner mit ihrer Familie in die USA fliehen; auf Rhode Island setzte sie das Handwerk fort – und auch nach ihrer Rückkehr an den Grundlsee im Jahr 1947: Sie produzierte mit ihrer Tochter folkloristische Kleidungsstücke, Vorhänge, Tisch- und Bettwäsche. Immer wieder hätte sie sich auch Modeln vom Volkskundemuseum ausgeliehen. Anna Mautner überlebte ihren Mann um fast vier Jahrzehnte: Sie starb 1961 in Bad Aussee.
Ins dortige Kammerhofmuseum gelangten zumindest einige Stücke der umfangreichen Trachtensammlung von Konrad und Anna Mautner. Die genauen Umstände seien, so Birgit Johler (Leiterin des Grazer Volkskundemuseums) und Provenienzforscherin Monika Löscher, bisher noch nicht wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Die Erben hätten möglicherweise – analog zum Fall Rothschild – einige Trachten als Dauerleihgabe zur Verfügung stellen müssen, um andere Objekte ausführen zu können. An einer gütlichen Einigung scheint man in Bad Aussee bisher nicht interessiert zu sein.
Das Volkskundemuseum in Wien hingegen gab alles zurück, auch alle Fotografien. Nach der Übergabe 2021 schenkten die Erben die Objekte (abgesehen von ein paar Erinnerungsstücken) dem Museum – angetan von dessen proaktivem Umgang.
„Gesammelt um jeden Preis! Warum Objekte durch den Nationalsozialismus ins Museum kamen und wie wir damit umgehen“, bis 26. November, Volkskundemuseum.
Dieser im „Kurier“ vom 3. Mai 2023 veröffentlichte Artikel wurde für „NU“ stark erweitert.