Eine junge Generation erachtet ein differenziertes und humorvolles Verhältnis zur eigenen Identität als selbstverständlich.
Von Mark E. Napadenski
Vor wenigen Wochen gewann der WDR mit der achtteiligen Diskussionssendung Freitagnacht Jews und dem Moderator Daniel Donskoy den Deutschen Filmpreis in der Kategorie Beste Comedy/Late Night. Die Show, in welcher der Gastgeber mit prominenten und weniger bekannten, zumeist jüdischen Personen über buchstäblich Gott und die Welt spricht, sprengte alle Erwartungen und avancierte in der jüngeren jüdischen Community zu einem Must-see. Ähnliches konnte bereits ein Jahr zuvor bei Masel tov Cocktail beobachtet werden. Dieser Kurzfilm ist zwar weniger humoristisch, beansprucht allerdings ebenfalls eine „neue“ Haltung von Juden in Deutschland für sich. Bekommt jüdischer Humor nun endlich die Anerkennung, die er verdient? Und wie sieht dieses „neue“ jüdische Selbstverständnis aus? Oder handelt es sich um die ewig gleichen Reproduktionen von Stereotypen über Juden, die für billige Schenkelklopfer und Scheinprovokationen herhalten?
Hört man auf den WDR, so soll es in dem Format, das auch auf YouTube zu sehen ist, um das Verbindende in den Diskussionen gehen und vor allem darum, mit den althergebrachten Vorurteilen über jüdisches Leben in Deutschland aufzuräumen. Das bedeutet also, dass der jüdischen Kultur mehr Raum für Selbstrepräsentation gegeben werden soll. Dass diese Idee erfolgreich scheint, ist offensichtlich und auch mehr als reines Nischenfernsehen.
Nach der Preisverleihung wurde das Format quer durch die Medienlandschaft gelobt. Anlass für die prominente Positionierung ist auch das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, das in der Sendung zugleich kritisiert wurde. Max Czollek, der Autor des Buchs Desintegriert euch!, widersetzt sich der Idee. 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland sei absurd, da jüdisches Leben schon viel länger auf europäischem und deutschen Boden existiert. „Stattdessen sollte es 1700 Jahre deutsches Leben in ,Judistanʻ heißen“, scherzt er – um direkt danach auch diese Aussage durch den Kakao zu ziehen.
Im Zentrum der Show steht also die Debatte um diverse jüdische Lebensrealitäten, die eine lebendige und junge Gemeinschaft widerspiegelt. Dabei beanspruchen die Interviewpartner ihren Platz in einer europäischen Gesellschaft, in der die Identitäten und Schicksale verschwimmen. Diese oft spannenden Diskussionen werden mit einer großen Portion Humor geführt und beinhalten so etwas wie die Essenz eines neuen jüdischen Selbstverständnisses und Selbstbewusstseins.
Diese Eigenschaften – die Fähigkeit der kritischen Reflexion, das Lachen über sich selbst, das Spielen mit Stereotypen wie dem wiederkehrenden Bild einer übermächtigen Glucke als Mutter – sind es, welche gemeinhin auch dem allseits proklamierten jüdischen Humor zugeschrieben werden, der einen Großteil der Sendung füllen soll. Ein Humor, der von grenzwertig-antisemitisch bis hochphilosophisch reicht und als typisches Merkmal für die jüdische Kultur abseits der Schoah-Auseinandersetzung und der religiösen Praxis gilt. Durch die Aufarbeitung von Stereotypen zeichnet sich jedenfalls ein frischer Wind in der Welt des jüdischen Humors ab, zumindest für den deutschsprachigen Raum.
Faszination von Vielfalt
Eine Transformation, die in den USA bereits vor Jahrzehnten stattgefunden hat, beziehungsweise genau genommen nie in dem Ausmaß stattfinden musste, da Juden im Land der Täter, in Deutschland und Österreich, auf eine andere Weise stigmatisiert sind. Die Aufregung um Oliver Polaks Buch Ich darf das, ich bin Jude (2008) scheint in dem Kontext mittlerweile fast vergessen zu sein; und dennoch ist es eine wegbereitende Publikation für dieses veränderte Selbstverständnis jüdischer Kleinkunst. Was damals noch als Einzelfall eine Sensation darstellte, wird heute überholt durch die Faszination von Vielfalt.
Diese Faszination wird allerdings gebremst, da – und dieser Aspekt ist für das Neuverständnis ausschlaggebend – es sich um eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung handelt, die sich eben auch im Judentum manifestiert. Die Säkularisierung der Jugend, die Anerkennung von Reformbewegungen und die Erkenntnis, dass die Heterogenität einer Gesellschaft eine Errungenschaft darstellt, sind solche Entwicklungen, die auch nicht vor der Stand-up-Comedy-Szene in Österreich haltmachen.
Veranstaltungen wie der PCCC* (Political Correctness Comedy Club), in dem beispielsweise G-Udit, eine jüdische Komikerin aus Wien, auftritt, verstärken die Befürchtungen der Traditionalisten, die meinen, dass Witze durch das Einhalten politisch korrekten Denkens an Profil einbüßen würden. Für eine Generation, die ebenso feministisch wie jüdisch sein kann und darin keinen – oder zumindest nur einen kleinen – Widerspruch sieht, ist es selbstverständlich, zur eigenen Identität ein differenziertes Verhältnis zu pflegen und das Jüdischsein nicht zu verstecken. Nicht zuletzt, um auch über sich selbst lachen zu können.