Zehn Jahre nach der Ermordung ihres Vaters spricht Dalia Rabin im NU-Interview über dessen Vermächtnis, den kürzlich erfolgten Abzug aus Gaza, aber auch über die Bedrohung Israels durch den Iran. Das Gespräch mit Dalia Rabin, der früheren stellvertretenden Verteidigungsministerin Israels, führte Danielle Spera.
Von Danielle Spera
NU: Vor zehn Jahren wurde Ihr Vater ermordet, was bleibt von seinem Vermächtnis?
Rabin: Yitzhak Rabins Vermächtnis hat viele Facetten, erstens einmal das Militär. Er war viele Jahre Soldat, später General und dann Generalstabschef der Israelischen Armee, er hat eigentlich die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens damit verbracht, die Militärmacht in Israel aufzubauen. Nach dem Unabhängigkeitskrieg hat er sich geschworen, dass Israel nie wieder eine ähnliche Enttäuschung erleben soll. Von diesem Zeitpunkt an hat er sein Leben nur einem Ziel gewidmet: eine starke Armee aufzubauen. Dieses Ziel hatte er mit dem Sechs-Tage-Krieg erreicht. Damit war es für ihn Zeit, die Uniform auszuziehen. Er wurde Diplomat, Botschafter in den USA, danach ein wichtiger Staatsmann. Es gibt also sein militärisches Vermächtnis und das Vermächtnis seiner politischen Leadership. Und das war: ehrlich, bescheiden und moralisch einwandfrei zu handeln, ohne sich selbst je in den Vordergrund zu stellen. Sein wichtigstes Anliegen war, das Leben der Menschen in Israel zu verbessern, vor allem in ihre Ausbildung zu setzen. Bedauerlicherweise hat er nicht viel Schriftliches hinterlassen, aber seine Spuren sind überall in Israel zu finden. In der Industrie, der Infrastruktur, der Landwirtschaft, den Bildungseinrichtungen und im Militär. Er hat all diese Bereiche geprägt. Sie profitieren noch heute von seinem Einsatz. Ich möchte mit dem Rabin-Center den jungen Menschen in Israel seine Werte vermitteln, die Werte, für die er geradestand. Wie würde er Israel und seinen derzeitigen Zustand beurteilen? Das ist schwer zu beantworten. In diesen zehn Jahren hat sich die israelische Gesellschaft nicht tief greifend verändert, doch sie ist nicht mehr die gleiche wie damals. Die Umstände sind heute anders. Vielleicht ist es auch irrelevant, denn wir wissen, was seine Vision war – zu seiner Zeit – und dementsprechend können wir auch für heute Schlüsse ziehen. Keine Frage ist jedenfalls, dass der einseitige Schritt, sich aus Gaza zurückzuziehen, Teil seiner Friedensvision ist. Daran besteht kein Zweifel, dies wird sogar noch dadurch bekräftigt, dass diesen Schritt sein größter politischer Widersacher durchgeführt hat. Würden Sie also Ariel Sharon als legitimen Nachfolger Ihres Vaters bezeichnen? Das ist sicher nicht der richtige Ausdruck für ihn. Lassen Sie uns jetzt nicht von einem legitimen Nachfolger reden, sondern von den Fakten. Sharon ist der demokratisch gewählte Premierminister, der zu dem Schluss kam, dass der Gaza-Abzug der einzig mögliche Weg ist, den wir gehen können, und das ist, was zählt. Es steht dieselbe Erkenntnis dahinter, dass nämlich die Separation das einzige Mittel zum Zweck ist, um einen unabhängigen demokratischen jüdischen Staat zu haben. Das war die Vision meines Vaters. Um dieses Ziel zu erreichen, muss es eine Trennung von den Palästinensern geben. Mein Vater glaubte an Verhandlungen, an Zusammenarbeit, Ariel Sharon setzt einseitige Schritte, doch man braucht die Zusammenarbeit, die Versöhnung. Wir werden dahin kommen müssen, denn das ist der einzige Weg, hier zu existieren, zwei Völker nebeneinander. Nach dem Abzug aus Gaza waren alle erleichtert, dass es zu keinem Blutvergießen gekommen ist. Seither ist aber nichts mehr passiert. Die Zeitung “Haaretz” spricht sogar von einem “Betrug an den Unterstützern des Abzugs”. Ich möchte die politische Lage nicht kommentieren. Ich kann nur sagen, der Abzug war sehr heikel. Es war ganz sicher ein wichtiger und schwieriger Test für den Zustand und die Reife der israelischen Gesellschaft. Wir haben diesen Test gut bestanden. Das sollte auch als Symbol dafür dienen, dass wir zu weiteren Schritten fähig sind. Jetzt sollten aber auch die Palästinenser Reife zeigen und beweisen, dass sie den Terror und dass sie ihr Leben in den Griff bekommen. Mehr möchte ich gar nicht sagen. Die derzeitige politische Elite scheint in die Jahre gekommen zu sein, Sharon, Peres, die Führer des Landes sind knapp unter oder jenseits der 80. Woran liegt das? Hoffentlich werden wir eines Tages eine jüngere Generation an der Spitze sehen. Ich sehe das nicht dramatisch, denn meiner Meinung nach gibt es – ohne Namen nennen zu wollen – genug mögliche, künftige Führungsfiguren in allen politischen Gruppierungen. Früher war die Kibbutz-Bewegung die politische Rekrutierungsarena, woher kommen die jungen politischen Talente heute? Es war nicht nur die Kibbutz-Bewegung, sondern auch die Armee, aus der die Politiker gekommen sind. Die meisten Politiker hatten eine Karriere in der Armee hinter sich. Heute kommen die Politiker aus allen Bereichen. Die junge Generation rekrutiert sich aus allen Segmenten der israelischen Gesellschaft und das ist gut so, denn es sollten ja möglichst alle Aspekte der Gesellschaft abgedeckt sein. Hat sich da die Haltung geändert, ist heute eine militärische Karriere, auf die ein Politiker zurückblicken kann, nicht mehr so beeindruckend wie früher? Ihr Vater, Sharon, Barak, um nur einige Namen zu nennen, sie waren Kriegshelden und das hat doch den Wählern imponiert. Das ist heute kein Thema mehr. Heute ist das Militär nicht mehr sakrosankt, es wird im Gegensatz zu früher auch oft sehr kritisiert. Aber es besteht kein Zweifel daran, wer im Militär groß geworden ist, hat bestimmt Fähigkeiten, die auch in der Politik wichtig sind. In Sachen Führung, Verwaltung, Entscheidungsfähigkeit etc., man gewinnt sicher Erfahrung. Doch heute sind die Generäle nicht mehr die Kriegshelden, die wir einmal verehrt haben und wo wir nicht einmal im Traum daran gedacht hätten, deren Entscheidungen zu kritisieren. In der israelischen Innenpolitik hat Ariel Sharon für ein Erdbeben gesorgt, er ist aus dem Likud ausgetreten, gründet eine eigene Partei “Kadima- Vorwärts”. Shimon Peres hat die Arbeiterpartei verlassen und sich Sharon angeschlossen, die Arbeiterpartei wird vom nicht gerade erfahrenen Amir Peretz geleitet. Man hat den Eindruck es bleibt kein Stein auf dem anderen. Werden Sie “Kadima” unterstützen oder doch die Arbeiterpartei? Ich sage Ihnen jetzt etwas: Ich leite das Rabin-Center, das sich der Ausbildung junger Menschen verschrieben hat, das ist eine überparteiliche Organisation. Ich möchte daher die neue Parteibildung gar nicht kommentieren. Mir ist es wichtig, dass das Rabin-Center und ich über der Parteipolitik stehen und offen für jeden sind, egal aus welcher politischen Ecke. Ich hatte eine sehr interessante Zeit in der Politik als stellvertretende Verteidigungsministerin und das war genug. Derzeit habe ich mich auch aus meinem “Brotberuf” als Rechtsanwältin zurückgezogen, um mich ganz dem Rabin-Center zu widmen. Wie beurteilen Sie die Drohungen aus Teheran, die der neue iranische Präsident Ahmadinejad gegen Israel ausgestoßen hat? Er will Israel von der Landkarte auslöschen. Unabhängig von dieser Aussage war der Iran immer schon eine große Bedrohung für Israel. Mein Vater war der Ansicht, dass wir zuerst die “lokalen” Konflikte mit den Palästinensern lösen sollen, bevor wir uns mit den tatsächlichen Bedrohungsszenarien befassen. Das waren zu seiner Zeit der Irak und der Iran. Heute ist der Iran noch immer die größte Gefahr für uns. Denn der Iran ist sehr mächtig und kann von niemandem wirklich kontrolliert werden. Ich denke, wir wissen ganz genau, wann wir uns bereit machen müssen, dem zu begegnen. Dalia Rabin-Pelosoff, Tochter des 1995 ermordeten israelischen Premiers Yitzhak Rabin, Jahrgang 1950, Rechtsanwältin. 1999 Abgeordnete der Zentrumspartei in der Knesset, nach deren Auflösung wechselte sie zur Arbeiterpartei, der auch ihr Vater angehörte. Im März 2001 wurde sie zur stellvertretenden Verteidigungsministerin ernannt, ein Posten, von dem sie im Juli 2002 zurückgetreten ist. Seitdem widmet sie sich ganz dem Yitzhak Rabin Center, einem Aus- und Fortbildungszentrum, das Studenten nach den Idealen Rabins unterrichtet. Angeschlossen ist ein Museum. Eröffnet wurde das eindrucksvolle Gebäude in Tel Aviv im November 2005 (www.rabincenter.org.il). Dalia Rabin-Pelosoff ist verheiratet und hat zwei Kinder.