Kommentar von Andrea Schurian
Zweiundzwanzig strapaziöse Wochen lang durften wir der längsten Koalitionspartnersuche seit 1945 beiwohnen. Allabendlich tauchten die Koalitionsschmiede via TV-Nachrichten in unseren Wohnzimmern auf und servierten vorgekaute Wortsalate. Selbst Bundespräsident Alexander Van der Bellen war in seinen Koalitionsanbahnungs-Begleitkommentaren nicht sonderlich fantasievoll. Also, ja, Herr Bundespräsident, Kompromisse sind nicht nur im politischen Tagesgeschäft wichtig. Unbeeindruckt von den Kriegen im Nahen Osten und in der Ukraine schienen sich die Koalitionsschmiede hauptsächlich um das eigene Parteienwohl zu sorgen. Sollten die 155 Tage zwischen Nationalratswahl am 29.9.2024 und Angelobung am 3.3.2025 neben dem Verständnis für Kompromissbereitschaft noch einen weiteren Erkenntnisgewinn gebracht haben, dann jenen, dass sich hoffentlich nur Menschen mit robuster intellektueller und emotionaler Ausstattung sowie blütenreinen Westen in den politalltäglichen Dschungel begeben. VP-Chef Christian Stocker gab bekanntlich die Absichtserklärung ab, Bundeskanzler für alle sein zu wollen. Eh. Was sonst? Eventuell werden ja künftig statt zunehmend hasserfüllter Zerteilungen des Landes in Freund, Feind und Todfeind sogar divers-bunte Gemeinsamkeiten erblühen?
Erstaunlich ist, wie situationselastisch staatspolitisches Verantwortungsgefühl im alltagspolitischen Geschäft zu sein scheint. Beate Meinl-Reisinger, Neos-Chefin und mittlerweile Außenministerin, verspürte es im ersten Turnus der türkis-rot-pinken Koalitionsverhandlungen offenbar gar nicht. Weshalb sie am Tag drei des neuen Jahres geradezu überstürzt aus den Koalitionsverhandlungen floh. Weil ihr egal war, was das auslösen könnte? Weil sie damit spekulierte, dass Karl Nehammer und Andreas Babler als beinah beste Feinde zur Zweierpaarung schreiten und schlimmstenfalls scheitern würden? War ihr nicht klar, dass es dann zu türkis-blauen Gesprächen kommen und der Bundeskanzler womöglich Herbert Kickl heißen würde? Mag sein, sie handelte unbedacht und überstürzt, Fehler sind nur allzu menschlich.
Aber jetzt kommt Lob – nicht für Meinl-Reisinger, sondern für Karl Nehammer. Der EX-VP-Chef nahm keine Notverhandlungen mit Kickl auf, weil er sein Versprechen einhielt, es gewiss nie zu tun. Weshalb er alle Ämter ohne großes Wortgeklingel zurücklegte. Dass Meinl-Reisinger nach den augenscheinlich recht freud-, jedenfalls ergebnislosen Verhandlungen zwischen Nehammer-Nachfolger Christian Stocker und Herbert Kickl offenbar ihre staatspolitische Verantwortung wiederfand, überraschte. Denn anders als Nehammer, dem BMR noch für Kompromissbereitschaft gedankt hatte, war Andreas Babler, der angebliche Hauptverantwortliche für das Ende des ersten Findungszyklus, noch da. Dem roten Vizekanzler zaubert die Einigung der drei Parteien auf eine 21-köpfige Regierung sogar immer wieder ein Lächeln in sein sonst oft sehr angestrengtes Gesicht. Doch die türkis-rot-pinke Vernunftehe hat auch einige Haltungsmängel. So gab es zu Israel, zur jüdischen Gemeinde, zum anwachsenden Antisemitismus, zu den propalästinensischen Israel-Vernichtungsfantasien keine aussagekräftige Wortmeldung.
Karl Nehammer hingegen fand nach dem furchtbaren Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023 stets die richtigen, mitfühlenden, unterstützenden Worte, setzte solidarische Taten, engagierte sich persönlich für die Freilassung der österreichisch-israelischen Hamas-Geisel Tal Shoham und hielt stets Kontakt zu dessen Vater, Gilad Korngold.
Und Franz Vranitzky (SPÖ), einer der Vor-, Vor-, Vorgänger im Bundeskanzleramt, hatte 1991 in einer aufsehenerregenden Rede im Nationalrat erstmals die Mitschuld Österreichs am Holocaust angesprochen: „Wir bekennen uns zu allen Daten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen; und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen – bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten.“ Zwei Jahre darauf besuchte er als erster österreichischer Bundeskanzler Israel, um für sein Schuldeingeständnis die Ehrendoktorwürde der Hebräischen Universität in Jerusalem entgegenzunehmen.
Auch Ex-Ex- Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der mittlerweile mit Israels Start-Up-Szene kooperiert, setzte sich für den Ausbau der Beziehungen zwischen Israel und der EU ein, engagierte sich im Kampf gegen Antisemitismus und Antizionismus und forcierte u.a. die Errichtung der Namensmauern im Ostarichi-Park. Er führte auch die Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaften für Holocaust-Überlebende und deren Nachkommen ein. An dieser so wichtigen Gesetzesänderung war auch der NU-Gründer Martin Engelberg federführend beteiligt. Es ist berührend, wie viele Jüdinnen und Juden aus aller Welt dieses Angebot angenommen haben.
Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien würdigte die Verdienste von Sebastian Kurz um das jüdische Leben: „So selbstverständlich jüdisches Leben zu Österreich gehört, waren die von Kurz gesetzten Maßnahmen eben keine Selbstverständlichkeit. Dafür danken wir ihm.“