Besonders charakteristisch

Ein selten zu sehendes Motiv in der Berichterstattung über Israel. Wäre es zwischendurch mit einem Bericht über die wunderschöne Landschaft? Free public domain CC0 photo.

Warum wird in westlichen Medien eigentlich so viel über Israel berichtet? Zwei Kriterien sind für dieses große Interesse entscheidend.

VON ERIC FREY

Über kaum ein Land der Welt wird in internationalen Medien so viel berichtet wie über Israel; in wenig anderen Städten tummeln sich so viele Korrespondentinnen und Korrespondenten wie in Tel Aviv und Jerusalem – auch von österreichischen Medien, von denen viele auf Eigenberichte aus Israel nicht verzichten wollen.

Die USA generieren sicher noch mehr Artikel und TV-Beiträge, ebenso Großbritannien, Frankreich, Russland oder Italien. Aber das sind deutlich größere Staaten. Im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl ist Israel sicherlich das meistberichtete Land – und dies schon seit Jahrzehnten.

All jene, die einem Großteil der westlichen Medien und Journalisten eine antiisraelische oder sogar antisemitische Haltung unterstellen – wie es etwa die österreichische Plattform Mena-Watch tut –, können das leicht erklären: Die intensive Berichterstattung über Israel diene dazu, den jüdischen Staat zu kritisieren, an den Pranger zu stellen oder gar – wie es in einer Definition von Antisemitismus heißt – zu dämonisieren.

Und tatsächlich kommen Meldungen über tödliche Angriffe auf Hamas-Stellungen im Gazastreifen oder die Erschießung von Palästinensern an Checkpoints in dieser Berichterstattung häufig vor. Aber nicht nur: Ebenso viel wird über die israelischen Opfer von Terror und Gewalt berichtet, über Regierungskrisen und Wahlkämpfe, von denen es zuletzt doch viele gab, über gesellschaftliche Trends, wirtschaftliche Erfolge oder wissenschaftliche Triumphe.

Dramatische Nähe

Dafür gibt es jedoch eine andere und viel bessere Erklärung, die mit den besonderen Charakteristiken des Staates zusammenhängt. Wenn in Redaktionen die Relevanz von Meldungen eingestuft wird, entscheiden zwei Kriterien: die Dramatik und die Nähe. Die Zahl der Toten geteilt durch Entfernung ist bei Unglücken oder Gewaltakten eine zumindest unbewusst eingesetzte Faustregel, wobei Entfernung nicht nur geografisch bestimmt ist, sondern auch politisch, wirtschaftlich, kulturell oder geschichtlich. Die USA liegen uns näher als Marokko, Japan näher als Kirgistan.

Kurz gesagt: Israel bietet besonders viel Dramatik und liegt sehr nahe. Die Geschichten, die dort entstehen, drehen sich um einen seit Jahrzehnten anhaltenden Konflikt mit starken geopolitischen Auswirkungen, um drei Weltreligionen und deren Bestrebungen, um Einwanderung und Flucht, um Nationalismus und religiösen Fanatismus, um eine tausende Jahre alte Geschichte und eine enge Verflechtung mit dem großen europäischen Trauma des 20. Jahrhunderts, dem Holocaust.

Und Israel ist noch viel näher, als es die Geografie suggeriert: gegründet von Menschen, die Europa verlassen mussten, mit einer Wirtschaft, Kultur und großen wissenschaftlichen Einrichtungen, die eng mit jener der EU verflochten sind. Dazu kommen zahlreiche persönliche und familiäre Verbindungen nach Europa und in die USA, Informationsreisen von Entscheidungsträgern, Urlaube und Pilgerfahrten. Israel gehört fast zur EU und wirkt gelegentlich wie der 51. Bundesstaat der USA.

Unwiderstehliche Kombination

Diese Kombination macht Geschichten aus und über Israel für Medien unwiderstehlich, erklärt mehr als alles andere die ständige intensive Berichterstattung. Israel ärgert manche, fasziniert viele und langweilt nie.

Wer dies als Problem oder sogar als Bedrohung sieht, sollte sich die Alternative überlegen: Würde Israel aus den Schlagzeilen verschwinden, würde man über das Land nur noch so viel berichten wie etwa über den Libanon – auch ein Land mit viel Dramatik, aber viel weniger Nähe –, dann wäre das ein schwerer Verlust für Israel sowie für Jüdinnen und Juden. Zugegeben: Man ist nicht gern unter ständiger Beobachtung, aber Desinteresse ist viel schlimmer.

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