Rabbiner Jacob Biderman geht in die Offensive: Mit dem Ziel, „etwas Gutes zu schaffen“ und das, „Jiddisch-Sein“ in Wien zu verankern, haben er und Freunde für das zuständige Bildungsministerium einen Antrag auf Anerkennung einer Religionsgemeinschaft als Körperschaft öffentlichen Rechts vorbereitet und dort auch bereits hinterlegt. NU sprach mit Biderman über seine Pläne und seine Probleme mit der Kultusgemeinde.
Von Alexia Weiss und Erwin Javor
Rabbiner Biderman gibt sich bescheiden und hoffnungsfroh. Streit will er vermeiden, sagt er, mit Kritik an der Kultusgemeinde halte er sich daher lieber zurück. Ihm gehe es in der jetzigen Situation darum, „auch für eine traditionelle jüdische Geisteshaltung den notwendigen rechtlichen Boden in Österreich zu bereiten“. Im Rücken hat Biderman dabei die weltweit tätige Chabad-Bewegung, die heute 2.600 Niederlassungen rund um den Globus zählt und sich als intellektueller Zweig des Chassidismus versteht. Die Lehre, das Lernen stehen im Mittelpunkt – und so sei im Zentrum der Chabad-Bemühungen in Wien auch die Ausbildung jüdischer Kinder.
Rund 340 Kinder und Jugendliche besuchen derzeit den Lauder Chabad Campus in Wien – geboten wird alles von der Kleinstkinderbetreuung bis zur Jüdischen Religionspädagogischen Akademie. Vermittelt wird ein gelebtes modern-orthodoxes Judentum – auch wenn rund ein Drittel der Eltern den Schabbes nicht sehr genau einhält. Das Verhältnis des Anteils zwischen Aschkenasim zu Sephardim liege derzeit übrigens bei einem zu zwei Drittel, so Biderman.
„Unsere Aufgabe liegt im Bereich Bildung und Jiddischkeit“, betont der Rabbiner. Neun Schlichim (Abgesandte des Lubawitscher Rebben) leben in Wien, darunter vor allem Lehrer und Rabbiner. Einer von ihnen besucht seit einiger Zeit – Schabbat für Schabbat und Feiertag für Feiertag – den Wiener Stadttempel, auch um dort mit Leuten zusammenzutreffen, die daran interessiert sein könnten, ihr jüdisches Wissen noch weiter zu vertiefen. Seine Tätigkeit zeige durchaus Früchte, betont Biderman. Der Schaliach gebe bereits vereinzelte Schiurim, also Unterrichtsstunden, und werde im Übrigen auch von Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg willkommen geheißen. Einen Wettbewerb mit dem Stadttempel sieht Bidermann daher nicht. Und streut Eisenberg Rosen.
Wie würde es dann aussehen, wenn neben der IKG eine zweite Körperschaft öffentlichen Rechts entstünde? Gäbe es dann auch zwei Oberrabbiner, die nach außen eine Sprecherrolle einnähmen? Biderman: „Ich glaube, Oberrabbiner Eisenberg kommt sehr gut an in Österreich, er hat eine sehr volksnahe, einfache Art, jüdische Themen zu vermitteln, und es wäre doch nicht unmöglich, dass er das für uns alle weitermacht.“ Doch gegenüber Behörden und der öffentlichen Hand sei es für seine Gruppe wichtig, die Möglichkeit zu haben, als eigene Körperschaft öffentlichen Rechts aufzutreten, betont Biderman. Und zwar „trotzdem auch schon bisher alle jüdischen Institutionen in Österreich ihre Förderungen direkt von der öffentlichen Hand beziehen“.
Die Zusammenarbeit mit dem Bund und der Gemeinde Wien funktioniert laut Biderman „sehr gut und verdient Lob und Anerkennung“. Insoferne versteht er auch Kritiker nicht, die ihm entgegenhalten, mit der Gründung einer neuen jüdischen Körperschaft könnten seitens der öffentlichen Hand deren Interessen gegen die der Kultusgemeinde ausgespielt werden und umgekehrt. Biderman verweist hier vielmehr auf ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes und das entsprechende Bundesgesetz, „wonach die Bedürfnisse der orthodoxen Juden von dieser alleinigen IKG nicht erfüllt werden“. Und: Biderman ist auch überzeugt, „dass das zu keiner Spaltung führen wird“. Denn: Die Orthodoxen hätten bereits jetzt ihre eigenen Kultuseinrichtungen. Es gehe lediglich darum, dass das, was schon seit jeher de facto gegeben sei, auch vom Staat de jure anerkannt werde. Er sei überzeugt, diese Teilung werde „eher zum friedlichen Zusammenleben führen“ und kann sich, wo dies möglich ist, auch Kooperationen gut vorstellen. Biderman verweist dabei auf das Beispiel Schweiz.
Dort gebe es mehrere jüdische Körperschaften öffentlichen Rechts und gleichzeitig „eine enge Verflechtung und Harmonie unter allen Juden“. Auch, was die Finanzsituation der einzelnen jüdischen Einrichtungen angeht, betont Biderman, diese müssten bereits jetzt schauen, wie sie sich finanzieren. Hier würde durch die Neuschaffung einer weiteren Gemeinde also keine Schlechterstellung erfolgen. Fakt sei: Alle Einrichtungen würden auch ohne IKG bestehen. Eine wichtige Rolle spiele die Kultusgemeinde lediglich im Bereich Matrikelstelle, bei der Friedhofsverwaltung sowie der Sicherheit.
Stipendien und Unterstützungen für Chabad- Schüler seitens der Kultusgemeinde wurden übrigens nicht nur gekürzt, sondern gänzlich gestrichen – und die dadurch frei werdenden Mittel anderen Vereinen angeboten, lässt sich Biderman dann doch zu Kritik an der IKG-Führung hinreißen. Diese Vorgangsweise sieht der Rabbiner jedoch weniger als Affront gegenüber Chabad denn vielmehr gegenüber den betroffenen Eltern, die schließlich auch Gemeindemitglieder seien. Er freue sich aber, dass nur ein Kind die Schule verlassen habe und der Rest der Elternschaft ab 2004 für das gesamte Schulgeld aufkommen werde. Im Übrigen meint Biderman, dass im Wettbewerb der jüdischen Schulen die Klientel, also der Zulauf entscheiden soll. Die Gemeinde ihrerseits sollte Schulen nicht direkt, sondern nur über die Eltern fördern – also eine Art Schulgeld in Anlehnung an das staatliche Kindergeld auszahlen. Für Stipendien sollte es zudem generell objektive Kriterien geben.
Noch erzürnter ist Biderman darüber, dass der Kultusvorstand die Sicherheitsleute vor dem Campus ab 2004 abziehen lässt und „zynischerweise“ IKG-Präsident Ariel Muzicant parallel dazu die Eltern der Chabad-Schüler in einem Schreiben vor der schlechten Sicherheitssituation gewarnt habe. „In Wirklichkeit war das eine akkordierte Aktion gegen die Schule und es wurde damit ein klares Signal ausgesprochen: Ihr seid draußen“, meint Biderman und legt NU währenddessen den Originalbrief Muzicants vor.
Wie Biderman überhaupt hinsichtlich des Umganges der IKG-Führung mit dem Thema Geld besorgt ist. Zu sehr würden die Finanzen in der Öffentlichkeit als Hauptthema hochgespielt. Geld sei zwar ein wichtiges Mittel, aber kein Ziel. „Wenn nur über Geld gesprochen wird, wo bleibt die Botschaft an die Jugend unserer Gemeinde, Inhalte, Ideale, Werte?“ Die Richtung, die er nun eingeschlagen habe, sei damit auch im Licht des Friedens zu sehen, betont Biderman. Statt intern zu streiten und sowieso de facto ausgeschlossen zu werden, sei es besser, eigene Wege zu gehen. Biderman hält fest: Aus seiner Sicht soll eine jüdische Gemeinde „auch eine moralische Instanz sein, die ihren Mitgliedern Geistigkeit und soziale Gerechtigkeit in gleichem Maße vermittelt.
Die Gemeinde soll Integrität, jüdische Würde und Souveränität besitzen und ausstrahlen, nach innen und nach außen“. Und: „Eine solche Körperschaft würde selbstverständlich auch nicht polarisieren, weder innerhalb der Gemeinde noch zwischen den Gemeinden und deren Umgebung. Die Vertreter dieser jüdischen Religionsgemeinschaft sollen mit Würde auftreten, integer, souverän – mit jüdischer Würde, nicht zu verwechseln mit Chuzpe und Arroganz.“ Der Antrag auf Einrichtung einer anerkannten jüdischen Körperschaft öffentlichen Rechts, ausgestattet mit den notwendigen Dokumenten und Unterstützungsunterschriften, liege jedenfalls bereit, bestätigt Biderman.
Noch sei aber nichts finalisiert, nichts entschieden. Der Weg zeige in diese Richtung – das Ende sei aber ein offenes.
Ob es eine Alternative wäre, wenn er im Kultusvorstand vertreten wäre? Er persönlich würde derzeit diesem Gremium, das sich als Autorität sehe, nicht angehören können, antwortet Biderman. Schließlich würden dort nicht alle Entscheidungen auf Konformität mit dem Schulchan-Aruch- Kodex, also dem Grundbuch der Halacha, geprüft, wie es aus religiöser Sicht für den Vorstand einer jüdischen Gemeinde erforderlich wäre. Und das ist nicht im Sinn von Rabbiner Jacob Biderman.