Von Michael Margules
„Wie ist es möglich, dass das gesamte Spendenaufkommen für den Stadttempel 20.000 Euro pro Jahr beträgt und der Stadttempel ein Defizit von 380.000 Euro pro Jahr hat?“ (Aus: Die Gemeinde Nr. 552, Juli 2003) – Es ist unmöglich, weil unwahr!
Die Kündigung des langjährigen Oberkantors Shmuel Barzilai gilt für die IKGFührung als eine der wichtigsten Maßnahmen zur Sanierung der Finanzen. Nicht nur menschlich, sondern auch sachlich gesehen ist dieser Schritt jedoch völlig verfehlt. Denn ähnlich wie die Annahme, man könne über die Restitutionszahlungen der Republik die akuten Geldprobleme der Gemeinde lösen, ist auch die Kündigung des Oberkantors das Resultat einer (falschen) Milchmädchenrechnung. Absurd daher auch der Vorschlag des IKGPräsidenten, wer den Oberkantor wolle, solle dafür selbst aufkommen*.
Betrachtet man die Budgetziffern der IKG, so weist der Wiener Stadttempel (im Rahmen der Kostenstellenübersicht der IKG unter der Position „Kultus“ geführt) für 2003 ein (geplantes) Defizit von 356.000 Euro aus. Dabei fließen gerade dem Stadttempel hohe Einnahmen zu. Und wenn man die Zahlen genau liest, so zeigt sich auch, dass dieses behauptete Defizit in keinster Weise der Realität entspricht. Die Einnahmen: Aus dem Verkauf der Tempelkarten lukriert die IKG einen Betrag von jährlich 110.000 Euro. Die Spenden betragen rund 60.000 Euro, wovon aber nur 20.000 Euro dem Tempel zugute kommen – ein Umstand, der den Tempelvorstand jetzt dazu veranlasste, ab sofort die innerhalb des Tempels ausgesprochenen Spenden ausschließlich dem Tempel zukommen zu lassen.
Die Ausgaben: Der Löwenanteil sind Personalausgaben in der Höhe von 418.000 Euro. Dabei sind die Ausgabenposten „(Ober)Kantor“, „Tempelchor“, „Schammes“ und auch teilweise das Servicepersonal eindeutig dem Tempel zuzurechnen, ebenso die Ausgabenposten „Kidduschim“ sowie „Gottesveranstaltungen“. Der verbleibende, nicht unbeträchtliche Rest aber bezieht sich auf Aktivitäten, die mit dem Tempel wenig zu tun haben, wie etwa die Bezahlung der Religionslehrer in den Schulen, die (volle) Zuordnung des Oberrabbiners zum Stadttempel, inklusive der primär durch das Oberrabbinat verursachten Repräsentationskosten, die Position „Mieten“ sowie mehrere hunderttausend Euro als Subventionen an diverse Bethäuser und religiöse Vereinigungen (z. B. Khal Israel, Misrachi etc.).
Wenn man nur die Ausgaben berücksichtigt, die wirklich dem Stadttempel zuzuordnen sind, kommt man auf Ausgaben von maximal 250.000 Euro, davon abgezogen die Einnahmen aus Verkauf der Tempelkarten und Spenden (insgesamt 170.000 Euro) ergibt ein tatsächliches Defizit von 80.000 Euro – und nicht 356.000 Euro, wie von der Gemeindeverwaltung behauptet.
Hier wird also, bewusst oder unbewusst, mit falschen Zahlen operiert. Daher sei die IKG-Führung an dieser Stelle an das Statut der IKG, Punkt II (Aufgaben der Kultusgemeinde) erinnert, der da lautet: „Insbesondere sorgt die Kultusgemeinde: a) für die Errichtung, den Bestand und die Erhaltung gottesdienstlicher Anstalten und ritueller Einrichtungen, für die regelmäßige Abhaltung des öffentlichen Gottesdienstes …“
Wo, wenn nicht in diesem Stadttempel, will die IKG diesem essentiellen Auftrag Folge leisten?