Noa Szőllős ist gebürtige Ungarin, die bei Skirennen für Israel an den Start geht und in Österreich die Schule besucht und trainiert: im Herbst etwa auf dem Kaunertaler Gletscher.
Von René Wachtel
Bei herrlichem Wetter sitze ich mit Noa Szőllős im Kaunertal auf 2700 Meter Seehöhe auf der Terrasse des Gipfelrestaurants. Sie kommt gerade von ihrem Schneetraining. Schon seit sieben Uhr in der Früh ist sie mit ihrem persönlichen Trainer Michael Stocker auf der Piste, „da war es noch dunkel und richtig kalt“. Es sind die letzten Vorbereitungen auf dem Gletscher für die kommende Skiwettkampfsaison.
An diesem Samstag ist aufgrund der Eröffnung des Snowboard-Parks viel los auf dem Gletscher. „In den letzten Tagen war es richtig ruhig, außer mir waren nur ein paar andere Skirennläufer zum Trainieren da. Weil es am Donnerstag geschneit hat, gibt es ideale Schneeverhältnisse. Da macht das Skifahren für mich mehr Spaß, als wenn wir alleine auf der Piste sind.“ Es ist ziemlich laut in der Hütte, kein Wunder: Wenn Snowboarder unterwegs sind, gibt der DJ den Ton und die Musik vor. Rund um uns tummeln sich Snowboarder und Skifahrer, viele sind aus Deutschland angereist. Noa trinkt zum Aufwärmen heißen Tee. Für das Training ist sie im dünnen Skidress der israelischen Nationalmannschaft unterwegs, jetzt ist sie dick eingemummt. Neben ihr ein großer Rucksack für den Helm und die anderen Rennutensillien. Als Skirennfahrerin benötigt man immer viel Zeugs. Der Bus, mit dem sie unterwegs ist, ist vollgestopft mit Skiern, Stangen und diversen anderen Materialien. Ihr Ausrüster, der Skihersteller Kästle, hat ihr für diese Saison ein Dutzend Skier zum Testen bereitgestellt.
Schon der Papa war Skirennfahrer
Noa Szőllős, geboren 2003 in Budapest, aufgewachsen im steirischen Murau, stand schon im zarten Alter von zwei Jahren auf Skiern. Die Liebe zu den zwei Brett’ln und einem g’führigen Schnee liegt in der Familie, auch Papa Peter Szőllős war Skirennfahrer. In den 1990er Jahren startete er für Israel, sammelte einige Weltcuperfahrungen, vertrat Israel bei den Skiweltmeisterschaften 1993 – und infizierte nicht nur Noa, sondern auch ihre älteren Brüder Benjamin (Jahrgang 1996) und Barnabas (Jahrgang 1998) mit dem Rennvirus.
Allerdings ist nun die kleine Schwester die erfolgreichste Skirennläuferin der Familie und hat bereits olympische Geschichte für Israel geschrieben, als das Land erstmals bei einem olympischen Winterbewerb Medaillen einheimsen konnte: Bei den Olympischen Jugend-Winterspielen in Lausanne 2020 fuhr sie Läuferinnen aus den großen Skinationen wie Österreich, Schweiz oder Frankreich davon und gewann Silber in der Alpinen Kombination sowie Bronze im Super-G. Dabei bestand ihr Betreuer-„Team“ aus einer einzigen Person, nämlich ihrem Trainer Michael Stocker.
Im Gipfelrestaurant am Kaunertaler Gletscher erinnert sie sich, wie sie gemeinsam mit Stocker in der Hotelgarage die Skier präparierte, während für die anderen Rennläufer und -läuferinnen professionelle Teams mit viel technischem Know-how die besten Voraussetzungen schufen. „Aber trotzdem“, sagt sie fröhlich, „habe ich zwei Medaillen für Israel geholt.“
Größter internationaler Erfolg
Ihr bisher größter internationaler Erfolg waren gewiss die Olympischen Jugendspiele, persönlich wichtiger aber waren ihr voriges Jahr die ersten FIS-Punkte in ihrer Lieblingsdisziplin, dem Riesentorlauf, in San Giovanni di Fassa in Italien. Und, ja, klar sind die Eltern megastolz. Samt Hund Corti sind sie auch jetzt im Kaunertal dabei, während sich die beiden großen Brüder in Italien auf die kommende Wintersaison vorbereiten.
Aber wie ist die gebürtige Ungarin eigentlich nach Österreich gekommen? „Gute Frage“, lacht sie, „der Papa ist schuld. Außerdem kann man in Ungarn nicht professionell Skifahren.“ Als Vater Peter bemerkte, dass alle drei Kinder nicht nur extrem begabt sind, sondern auch die nötige Portion Leidenschaft mitbringen, stellten er und seine Frau das Familienleben voll auf die Kinder ein. Die Familie übersiedelte in die Nähe von Wien, wo die Kinder richtig trainieren konnten. Noas erster Skiclub war der ÖSV Edelweiss in Wien, ihre ersten Skirennen fuhr sie mit sieben. Später übersielte die Familie nach Murau, Noa und ihre Brüder sollten dort die Skihauptschule besuchen. Deshalb spricht Noa auch mit leichtem steirischen Akzent. Der Vater war beruflich viel unterwegs, Mutter Dora kümmerte sich um die drei Kinder in Murau. Nach Abschluss der Hauptschule wechselte die skinarrische Tochter ans Trainingszentrum Waidhofen an der Ybbs (TZW), wo sie nächstes Jahr auch maturieren wird: „Das TZW ist das ideale Umfeld für mich – sowohl sportlich als auch schulisch, denn es ist voll auf junge Skirennsportler eingestellt“, erzählt sie und zählt stolz auf: „In der Schule waren auch schon Anton Steiner, Thomas Sykora, Hannes Trinkl, Katharina Zettl und Katharina Gallhuber.“
Erfolg durch harte Arbeit
Mittlerweile ist man am TZW auch stolz auf Noa: Wenn man die Homepage der Schule anklickt, poppt gleich auf der Startseite ihr Foto mit ihren Olympischen Medaillen auf. Was sie nach der Matura machen wird, weiß sie noch nicht: „Der Papa will unbedingt, dass ich einen ordentlichen Beruf erlernen soll. Er sagt immer, vom Skifahren wird man nicht leben können.“ Vielleicht wird Noa ja – wie ihre Brüder – ein Fernstudium beginnen. Irgendwann. Aber jetzt und in den nächsten Jahren gilt ihre Konzentration nur dem Skifahren. Da hat sie zwar keine Vorbilder, aber Ivica Kostelić war immer ihr Lieblingsskifahrer.
Erfolg, das hat sie bereits gelernt, ist das Ergebnis harter Arbeit: „Das Training am Gletscher ist wirklich sehr anstrengend. Wir beginnen immer in aller Früh. Und man spürt die Höhenmeter schon sehr. Heute konnten wir mit einem Skidoo das gesamte Material auf knapp dreitausend Meter hinaufbringen, von halb acht bis halb elf haben wir trainiert. Michael, mein privater Trainer, ist wirklich genau und arbeitet intensiv mit mir an meiner Technik. Dann wird auch im Renntempo trainiert – aber nur auf einer kurzen Strecke von bis zu 30 Sekunden. Mehr geht in dieser Höhe nicht. Nach drei Stunden ist das Training am Gletscher vorbei.“
Noa und ihr kleines Team sind viel unterwegs: Vor dem Kaunertaler trainierte sie am Hintertuxer Gletscher. Und weil die Bedingungen im Sommer in den Alpen suboptimal sind, fuhr man im Bus mehr als tausend Kilometer nach Peer in der belgischen Provinz Limburg, wo sich eine der größten Indoor-Skihallen Europas befindet. Zuletzt waren Noa, ihr Bruder Barnabas und ihr Trainer im September dort. „Wir trainieren dort in zwei Sessions, jeweils zwei Stunden am Vormittag und am Nachmittag.“ Zu Barnabas hat sie eine besonders innige Beziehung, wiewohl er mittlerweile aus der gemeinsamen Wohnung in Waidhofen ausgezogen ist, weil er nach der Matura in Wien zu studieren begann.
Nächster Halt Peking
Doch die beiden eint, abseits des Skifahrens, eine weitere gemeinsame Leidenschaft: Sie sind große Metallica-Fans. Derzeit ist die ungarische Band Leander kills ihr Favorit. Irgendwann wollen die beiden auch zum Wacken-Musikfestival nach Norddeutschland, doch vorher geht es im Februar 2022 zu den Olympischen Winterspielen nach Peking. Noa hat sich – ebenso wie ihre Brüder – für Israel qualifiziert. Die medizinischen Checks finden im November in Israel statt. „Die Spiele in China werden sicher ein besonderes Erlebnis“, sagt sie, schränkt allerdings ein: „Sportlich kommt es für mich ein bisschen früh. Ich denke, bei den Spielen 2026 werde ich größere Chancen haben. Aber aufregend wird es sicher!“
Vielleicht wird sie ja auch bei der Eröffnung als Fahnenträgerin die israelische Flagge tragen. Sie ist stolz, für Israel zu starten, obwohl sie das Land eigentlich kaum kennt. Nur anlässlich einer Hochzeit hat sie es bereist und dabei auch ihre israelischen Verwandten kennengelernt. Damals besuchte sie Jerusalem und Tel Aviv, war am Toten Meer und in Massada. Doch am besten kennt sie in Israel das Wingate-Institut für medizinische Tests oder Trainingsabstimmungen.
Meine Frage, ob sie im Skizirkus auch offenen Antisemitismus bemerkt hat, verneint sie: „Nein, überhaupt nicht, das war bis jetzt kein Problem. Hier im Skizirkus sind wir alle so fokussiert auf den Erfolg. Ich glaube, da kommen die Athleten gar nicht auf solche Gedanken.“ Das bestätigt wenig später Vater Peter, auch er hatte in seiner aktiven Zeit nie ein Problem mit Antisemitismus im Skirennsport. Mit ihren Kolleginnen, speziell des NÖ-Skiverbandes, versteht sich Noa sehr gut. Man versucht auch, gemeinsame Trainings zu organisieren. Aber wenn die Verhältnisse nicht passen, fahren Noa und ihr Trainer mit ihrem Bus einfach an einen anderen Trainingsort. Bisher war die junge Skirennläuferin nie schwer verletzt, „hoffentlich bleibt das auch so.“ Denn von ihren Kolleginnen weiß sie, wie anstrengend es ist, nach einer Verletzung wieder den Anschluss zu finden. Neuerdings hat Noa auch einen Mentaltrainer: Denn trotz toller Erfolge im letzten Jahr hatte sie am Ende der Saison einen emotionalen Durchhänger.
Peking ist noch Zukunftsmusik, zuerst kommt die Skisaison in Europa. „Ich will bei den ersten FIS-Rennen genügend Punkte sammeln, damit ich, wenn die Saison gut läuft, Ende März die ersten Weltcupstarts haben werde.“ Ihre Paradedisziplin? „Natürlich Riesentorlauf!“, braucht Noa nicht zu überlegen. In den nächsten Jahren will sie jedoch auch Abfahrt und Super-G intensivieren, „aber da müssen noch deutlich mehr Trainingsstunden dazukommen.“ Natürlich ist das auch eine finanzielle Angelegenheit: Ihr bisheriger Hauptsponsor ist die Firma Nivelco, das Unternehmen ihres Großvaters, seit Kurzem sind die Szőllős auch bei Kästle unter Vertrag. Und für Olympia hilft auch das Israelische Olympische Komitee noch aus. „Aber wenn die Familie nicht dahinterstehen würde, dann könnte man nicht mehr als 150 Tage im Jahr unterwegs sein.“