Zusperren und Aufmachen

Vergangenheit und Zukunft des israelischen Fernsehens: Während der öffentlich-rechtliche Sender IBA zusperren soll, hat die private Station i24News vor kurzem geöffnet. Ein Lokalaugenschein.
VON LUKAS WIESELBERG (TEXT UND FOTOS)

Romema im Nordwesten von Jerusalem. Die Adresse ist gut, aber das 60er-Jahre-Gebäude mit seinen fünf Stockwerken und doppelt so hohen Antennen hat schon bessere Tage gesehen. Von den Mauern bröckelt der Verputz, das Weiß der Innenwände war auch einmal weißer. Dann beim Hinaufgehen in den zweiten Stock: Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen blicken alle freundlich lächelnd von ihren Bildschirmen auf. Aber die Sessel, auf denen sie sitzen, die Tische, an denen sie schreiben, sie sehen alle eher abgelebt aus. Ebenso das technische Equipment, das herumliegt, die Aufnahmegeräte, Kameras und Kabel.

„Jede Demokratie braucht eine öffentliche Rundfunkanstalt“
März 2014, Besuch bei der International Broadcasting Authority (IBA), der öffentlichen Rundfunkanstalt Israels. Wenige Tage zuvor hat Kommunikationsminister Gilad Erdan das Ende der IBA bekannt gegeben. Innerhalb eines Jahres soll die Knesset die dafür nötigen Gesetze beschließen. Der Sender soll aufgelöst und durch einen kleineren ersetzt werden. Die Rundfunkgebühr von rund 75 Euro pro Jahr – im Vergleich zu anderen Ländern ein Schnäppchen – will Erdan abschaffen. Über 1.000 der rund 1.800 Mitarbeiter des Hauses droht die Kündigung oder Frühpension. Der Sender soll ab 2015 nur noch Nachrichten und Dokumentationen selbst produzieren, den reduzierten öffentlich-rechtlichen Rest „vom Markt“ zukaufen.

„Besorgniserregend“ findet David Witzthum diese Entwicklung. Witzthum ist ein Urgestein des israelischen Fernsehens, langjähriger Deutschland- Korrespondent und dabei auch immer wieder Berichterstatter aus Österreich. „Jede Demokratie braucht eine öffentliche Rundfunkanstalt“, sagt er in perfektem Deutsch. Die öffentlichen Anstalten sind – zumindest in der Theorie – die Garanten unabhängiger Information, eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer Demokratie. Jeden Abend kommentiert Witzthum im „Channel 1“ das Weltgeschehen: Ukraine, Boko Haram, israelische Innenpolitik – was da so kommt. In dem kleinen, in die Jahre gekommenen Büro im zweiten Stock des IBA-Gebäude kommentiert er diesmal in eigener Sache: „Der Beschluss, den Sender einzustellen, ist das Ergebnis einer zu engen Beziehung zwischen der Anstalt und der Politik. Wir sollten näher am Publikum und den Kunstschaffenden sein, und weniger nahe an der Regierung und den Bürokraten.“

Offizielle Hauptargumente für die Schließung oder „Schrumpfung“ der IBA sind Ineffizienz und Quotenschwäche. In der Tat ist die Zuschauerresonanz der öffentlich-rechtlichen IBA-Flotte – drei TV-Kanäle und acht Radiosender, die in mehreren Sprachen senden – überschaubar. Die Quoten liegen im einstelligen Prozentbereich. Das war vor 20 Jahren, als es noch keine private Konkurrenz gab, ganz anders. Seit 1993 gibt es sie – Israel hat damit nur knapp früher privatisiert als Österreich –, und seither geht es mit den Quoten munter bergab. Heute bestimmen die kommerziellen Sender die TV-Landschaft, allen voran „Channel 2“. Beigetragen dazu hat die Politik, die die Bedingungen für die Privaten laufend verbessert und am Budget der Öffentlichen gespart hat.

Sender i24News: Auf der Höhe der Zeit
Szenenwechsel. Ein ultramodernes Gebäude, direkt am malerischen Hafen von Jaffa gelegen. Wenn die IBA die Gegenwart oder Vergangenheit des Fernsehens darstellt, dann könnte dies ein Bild seiner Zukunft sein. In dem Gebäude befindet sich der Nachrichtensender i24News. Ein Rundgang zeigt: Die Mitarbeiter sitzen zwar gedrängt wie Hendeln in einer Legebatterie in ihren kleinen, transparenten Redaktionsräumen. Aber Technik, Design und Struktur sind auf dem neuesten Stand. An Geld mangelt es hier offenkundig nicht. Gesorgt haben dafür vor allem der französische Milliardär Patrick Drahi und der Medienprofi Frank Melloul, der erste i24News- Generaldirektor. „Der Sender wurde zwischen März und Juni 2013 in Rekordzeit errichtet“, erklärt Irit Segev, die Pressesprecherin. Sie steht inmitten des großen, abgedunkelten Newsrooms mit Dutzenden Arbeitsplätzen. Auffallend junge Redakteure und Redakteurinnen sitzen an den halbrunden Tischen und blicken auf ihre Monitore. „Unser Altersdurchschnitt liegt unter 30“, erklärt Lee Gal, die – ebenfalls noch sehr junge – Chefproduzentin.

Über den Köpfen hängen Bildschirme, die Programme aus aller Welt zeigen, an der Wand entlang läuft eine blaue Leuchtschrift. Über allem thronen drei helle Studios, in denen parallel in drei Sprachen moderiert wird: Englisch, Französisch und Arabisch. Iwrit wird live nicht gesprochen, denn das Zielpublikum sitzt nicht in Israel, sondern im Ausland. „Wir verstehen uns als eine Antwort auf Al-Jazeera und liefern Weltnachrichten aus der Sicht Israels“, sagt Irit Segev. Sprachrohr der Regierung wolle man dennoch nicht sein. Und auch eine eindeutige politische Schlagseite habe der Sender nicht, ergänzt Adar Primor, der Chefredakteur der Internet-Abteilung. Zuvor hat er lange bei der Tageszeitung Haaretz gearbeitet, heute ist er einer von rund 250 Angestellten von i24News. „Wir haben liberale Kommentatoren, aber auch konservative“, versichert der Sohn des ehemaligen Botschafters in Berlin. Die Kurzzusammenfassung der Senderinhalte: 70 Prozent internationale Berichte, 30 Prozent nationale; TV und Internet werden nicht getrennt voneinander gedacht, sondern sind gleich wichtig; gesendet wird aufgrund der Monopolgesetze ausschließlich über Satellit – via „Hotbird“ übrigens auch nach Österreich.

Wie der Rest des Senders ist auch die Cafeteria schick. „Fernsehen“ macht Spaß, wenn man wie hier aus den Fenstern auf das blaue Meer und die Skyline von Tel Aviv schaut. Auf dem Gang zur Cafeteria stolpert man allerdings über eine seltsame Tafel: die „i24News-Charter“, die von allen Mitarbeitern unterschrieben werden muss. Darunter sind selbstverständliche Punkte wie „Wir sind unparteiisch“, oder „Wir überprüfen alle Informationen sorgfältig“, aber auch eher schwer zu erfüllende, so „Wir hören immer auf unsere Zuseher oder User“, oder gar sektiererisch anmutende wie „Wir sprechen mit einer Stimme“.

Wo es bei öffentlichen Rundfunkanstalten Gesetze oder Redakteursstatute gibt, setzt die private Konkurrenz auf fragwürdige Selbstbauregeln. Ob und wie sich das auch auf ihre Sendeinhalte auswirkt, kann nach den beiden Lokalaugenscheinen nicht beurteilt werden. Fakt ist: Sender wie i24News sind in vielerlei Hinsicht auf der Höhe der Zeit. Die für Demokratien wichtige Produktion und Verbreitung von Nachrichten zunehmend in die Hände privater Eigentümer zu legen, ist dennoch eine bedenkliche Entwicklung. Denn so sehr Politiker überall versuchen, auf öffentliche Sender Einfluss zu nehmen, müssen sie dabei doch immer im Rahmen von Gesetzen handeln. Ihre Einflussnahme ist nicht so direkt wie die von privaten Besitzern.

Noch sind auch die Gesetze nicht ausgehandelt, die die IBA zusperren bzw. verkleinern sollen. IBA-Urgestein David Witzthum sieht deshalb noch nicht schwarz: „Es hat in der Vergangenheit schon 14 Ausschüsse zur IBA im Parlament gegeben. Ich hoffe, dass auch die aktuellen Pläne in der Bürokratie versanden.“

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