Von der Quarantäne in den Lockdown, oder: Warum vieles anders ist, aber manches trotzdem wie immer. Ein persönlicher Erfahrungsbericht aus Israel.
Von Deborah Engelberg (Tel Aviv)
Mein Auslandsjahr in Israel begann Anfang September mit einer zweiwöchigen Corona-Quarantäne. Ich verbrachte diese Zeit in einem winzigen Raum in meiner Unterkunft in Tel Aviv. Zumindest durch das geöffnete Fenster konnte ich einen Hauch an Verbindung zur Außenwelt halten. Ein Fixpunkt war das tägliche Facetime-Gespräch mit meinen Eltern in Wien und meinen Geschwistern in den USA. Wenigstens auf diesem Weg konnte ich ein klein wenig meinen 18. Geburtstag feiern.
Nur wenige Stunden nach dem Ende meiner Quarantäne am 18. September begann um 14 Uhr der landesweite Lockdown. Es war nicht irgendein Tag, sondern Rosch ha-Schana, der Beginn des Neujahrsfests. Ein Abend, an dem üblicherweise eine große Feier im Familienkreis stattfindet. „Last minute“ war hier nicht nur eine Floskel, denn buchstäblich bis zur letzten Minute liefen die Israelis noch hektisch durch die Geschäfte, um letzte Einkäufe zu erledigen. Doch auch als der Lockdown begonnen hatte, ließen sich die Menschen nicht davon abhalten, ihre Häuser zu verlassen. Anweisungen nicht zu befolgen und Regeln zu missachten, gehört in Israel zum Alltag.
Weil auch die meisten Geschäfte zusperren mussten, schmiedeten die Besitzer Pläne, um den Lockdown zu umgehen und weiterhin ihre Waren zu verkaufen. So blieben die Türen vieler Geschäfte „zufälligerweise“ offen, auch die Eigentümer waren „zufällig“ da. Wenn man etwas kaufen wollte, legten die Besitzer die Waren bereitwillig auf die nächste Bank und holten von dort auch das deponierte Geld.
In einem der geöffneten Supermärkte hielt sich eine Gruppe Jugendlicher nicht an den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand. Daraufhin rief der Besitzer ihnen lautstark zu, dass sie sich doch an die Covid-Regeln halten sollten. Laut konnte er deshalb rufen, weil er selbst keine Maske trug. Ein anderes Mal beobachtete ich Mitarbeiter eines Supermarktes, die Masken in die Regale schlichteten, während sie selbst keine aufhatten.
Auch am Strand versammelten sich die Menschen trotz der Absperrbänder entlang der gesamten Küste. Wenn die Polizei gelegentlich vorbeifuhr, liefen die Leute in alle Richtungen auseinander, nur um wenige Minuten später wieder an genau dieselbe Stelle zurückzukehren.
Ausgenommen von der Maskenpflicht und der Ausgangsbeschränkung von einem Kilometer rund um das eigene Wohnhaus waren sportliche Aktivitäten. Weshalb sich plötzlich fast alle Fußgänger in Spitzensportler verwandelten, um damit Strafen zu vermeiden. Die Sportkleidung der Fußgänger scheint die Polizisten jedenfalls milde gestimmt zu haben: Meistens verzichteten sie darauf, die „Sportler“ zu bestrafen.
In einer Ausnahmezeit wie dieser war es für mich wichtig, meinen Optimismus zu behalten. Auf meiner täglichen – tatsächlichen – Laufstrecke betrachtete ich die leeren Straßen mit besonderer Aufmerksamkeit, denn es war ein Bild, das es in Israel vermutlich so oft nicht mehr geben wird.
Weil trotz der Ausgangsbeschränkungen meine Studienkolleginnen und -kollegen Freiwilligenarbeit leisten durften, verbrachte ich einige Zeit in einem Kibbuz, um bei der Ernte und der Produktion von Arganöl mitzuhelfen. Dort halfen wir einem Mann, der allein für seinen fünf mal fünf Kilometer großen Bereich im landwirtschaftlichen Betrieb zuständig war. Wir sammelten genügend Nüsse für mehr als 50 Liter Öl. Mein erster Einblick in die landwirtschaftliche Arbeit bedeutete vollen Einsatz.
Durch den Lockdown hatte ich immerhin die Chance, die anderen Hausbewohner viel schneller kennenzulernen, als es sonst der Fall gewesen wäre und mich zumindest auf diese Weise in das Leben in Israel zu integrieren. Beeindruckend war zu beobachten, wie die Synagogen aus den Gebäuden in den Stadtraum übersiedelten und abends die Gebete im Freien zusammen gesungen wurden: ein besonders stimmungsvolles Erlebnis, das eine einzigartige Atmosphäre der Gemeinschaft verströmte.
Obwohl meine ersten Monate im Land nicht so verliefen, wie ich sie mir vorgestellt hatte: Israel in einem solchen außerordentlichen Zustand zu erleben, erweist sich als nachhaltige Erfahrung. Und diese Zeit werde ich nie vergessen.