Die Sammlung des Jüdischen Museums Budapest war im Krieg versteckt und wurde in den 90er-Jahren gestohlen. Heute kämpft das Museum mit seiner Mission gegen den Antisemitismus und plant eine neue Dauerausstellung.
VON IDA LABUDOVIĆ (TEXT UND FOTOS)
Es ist sicher nicht die Größe des Museums oder das Konzept, das eine viertel Million Besucher pro Jahr überzeugt. Auch ist der Museumskatalog momentan nur auf Ungarisch erhältlich. Dennoch ist das Museum, das sich in der Dohánystraße neben der Großen Synagoge von Budapest befindet, ein Besuch wert. Bewahrt hat es die nostalgische Note der vergangenen Zeiten, als die 800.000 in Ungarn lebenden Juden einen bedeutenden Einfluss auf die ungarische Gesellschaft hatten. Und es hat eine klare Mission: „Eine Kommunikationsbrücke zwischen der ungarischen jüdischen Gemeinde, die eine der größten in Europa ist, und der ungarischen Gesellschaft zu sein“, betont Direktorin Szilvia Peremiczky. „Wir wollen eine positive Nachricht vermitteln, die Herz und Seele der Menschen gegen den wieder erwachenden Antisemitismus gewinnen soll“, sagt die gebürtige Budapesterin, die seit fünf Jahren das Museum leitet. Die dynamische Literaturwissenschaftlerin hat sich vorgenommen, das Museum in eine neue Ära zu führen: „Ein ideenreiches, pädagogisch ausgerichtetes Museumsprogramm wird bald an die jüngeren Generationen von Ungarn herangebracht werden.“ Die Arbeiten für eine museologische Modernisierung haben bereits begonnen. Die neugestaltete Dauerausstellung soll die Freuden des jüdischen religiösen Lebens zeigen, sie wird aber auch ein beeindruckendes Panorama der enormen Beiträge bieten, die Juden in Ungarn auf den Gebieten der Wirtschaft, der Kultur und der Wissenschaft geleistet haben.
Die Geschichte des Museums und der Kunstdiebstahl
Anlässlich der Budapester Millenniumsausstellung im Jahr 1896 wurde die Sammlung des zukünftigen Jüdischen Museums erstmals ausgestellt. Die Judaica-Sammlung hatte damals einen derartig großen Erfolg, dass entschieden wurde, sie zu ergänzen und einen Raum dafür zu errichten. Doch der Erste Weltkrieg verhinderte die Umsetzung des Planes, und so wurde das Museum erst im Jahr 1932 eröffnet. „Das Originalkonzept war, die zweitgrößte europäische Judaica- Sammlung zu zeigen, aber nur mit minimalen Hinweisen auf die lange Anwesenheit und auf den Einfluss der Juden auf die Modernisierung in Ungarn“, so Peremiczky. Als der Zweite Weltkrieg begann, wurden die Bestände des Museums in Holzkisten verpackt, die von zwei Angestellten des Ungarischen Nationalmuseums in dessen Keller versteckt wurden. Nach Kriegsende wurde die Sammlung der Jüdischen Gemeinde zurückgegeben. Die Dauerausstellung in ihrer heutigen Form wurde im Jahr 1984 einschließlich eines Holocaustmemorials realisiert.
Im Jahr 1993 gelang es Dieben, während Sanierungsarbeiten an der Synagoge in das Museum einzudringen und die gesamte Sammlung mit Ausnahme einer Thorakrone zu stehlen. Unter dem Titel „Raub auf Bestellung?“ berichtete die Tageszeitung Neues Deutschland, dass Gegenstände aus Gold und Silber im Wert von rund 150 Millionen Mark entwendet worden waren. Auch die Frankfurter Allgemeine beschrieb den angeblich größten Kunstdiebstahl in der Nachkriegsgeschichte Ungarns. Die Auffindung des Diebesgutes schildert der Museumsführer Miklós Ébner in exzellentem Deutsch: „Die Diebe haben die Sammlung in der Nähe von Bukarest liegengelassen, bedingt möglicherweise durch die große internationale Aufmerksamkeit, die dieser Tat gewidmet wurde. Die Sammlung wurde mit kleineren Beschädigungen zurückgebracht, aber man weiß bis heute nicht, wer die Diebe gewesen sind.“
Schabbat, Feiertage und Lebenszyklus
Miklós Ébners Leben ist eng mit dem Bezirk um Museum und Synagoge verbunden. Er hat in der Dohánystraße gewohnt und hat seine Bar Mizwa, die religiöse Mündigkeit, im Dohánytempel gefeiert. Ébner fühlt sich hier zuhause, und er macht die Tour durch die vier Museumsräume zum Erlebnis. Der Mann im schwarzgestreiften Anzug bewegt sich elegant von einer Vitrine zur nächsten und erklärt souverän die Ausstellungsobjekte. Oft unterbricht er seine Erläuterungen mit scherzhaften Fragen: „Wissen Sie, warum die Challa, das Schabbat-Brot, bedeckt ist?“ Er lässt dem Besucher ein wenig Zeit zum Nachdenken und fährt dann fort: „Dass es sich nicht schämen soll, dass zuerst der Wein gesegnet wird und dann das Brot.“ Erst als das Erstaunen des wissenden Zuhörers nicht enden will, klärt er auf: „War nur ein Scherz.“
Anhand der rituellen Objekte erklärt Ébner die Geschichte der Juden und ihre Gebräuche. Es sind diese Erzählungen, die den Besuch so interessant machen, wie zum Beispiel, was er über den 200 Jahre alten Schrank für die Thorarolle (Aron ha-Kodesch) berichtet. Der Schrank gehörte ursprünglich zu einer aus Holz erbauten Synagoge in einer Ortschaft in der Nähe von Bratislava. Bevor die Synagoge im Krieg zerstört wurde, nahm ein Mann christlichen Glaubens den Schrank zu sich und gab ihn nach dem Krieg der Jüdischen Gemeinde zurück.
Ungewöhnlich wie die Orgel in der Budapester Dohány-Synagoge sind die mit Glasmalerei geschmückten Fenster im Museum, die Kirchenfenstern nicht unähnlich sind. Sie stammen vom Glaskünstler Miksa Róth und wurden während des Krieges ebenfalls in Holzkisten im Nationalmuseum aufbewahrt. Weitere Prunkstücke dieses Künstlers findet man auch im Budapester Parlament. Die Fenster zeigen bekannten Szenen aus der Bibel und das Licht, das durch die Fenster dringt, erzeugt eine angenehme Atmosphäre.
In den ersten beiden Museumsräumen erfährt der Besucher Wissenswertes über den Schabbat und die jüdischen Feiertage. Thorarollen, prunkvolle Kerzenleuchter, Kidduschbecher und andere wertvolle Kultgegenstände werden dort ebenso präsentiert wie Gebetsbücher und Gewänder.
Ein festlich gedeckter Sedertisch für Pessach, den Feiertag, an dem die Juden den Auszug aus Ägypten feiern, befindet sich in einer Glasvitrine in der Mitte des großen zweiten Museumsraums. Zwei Porzellanteller aus der Manufaktur Herend schmücken den Tisch. Der jüdische Eigentümer Moritz Fischer nahm im Jahr 1851 an der Londoner Weltausstellung teil und überzeugte mit der Qualität und Schönheit seiner Produkte auch Queen Victoria, die ein Speiseservice mit Pfingstrosen- und Schmetterlingsdekor bestellte. Seither wird dieses Dekor „Victoria“ genannt.
An den Wänden des großen Museumsraums ist eine Serie hervorragender Grafiken des Malers und Holocaustopfers Imre Ámos zu sehen, der mit wenigen Strichen Szenen aus dem jüdischen Leben schuf: der Freitagabend und die Hawdala, die Verabschiedung des Schabbat oder das Blasen des Schofar am Neujahrstag.
Im dritten Raum geht es um das jüdische Alltagsleben und wichtige Phasen im Lebenszyklus: Brit-Mila, die Beschneidung, Bar Mizwa, Hochzeit und Beerdigung. „Hier befindet sich auch die Büste des berühmten Rabbiners Samuel Kohn, der in der Großen Synagoge zum ersten Mal in ungarischer Sprache predigte“, erklärt Ébner, ein Liebhaber des Ungarischen.
Numerus clausus als erste antisemitische Einschränkung im Nachkriegs-Europa
Der letzte Raum des Museums ist dem Schicksal der ungarischen Juden im Holocaust gewidmet. Ungarn war 1920 der erste Staat in Europa, der eine Einschränkung der Bürgerrechte der Juden – durch einen Numerus clausus an den Hochschulen – einführte. „In den Jahren 1938 bis 1942 wurden noch weitere Judengesetze in Ungarn in Kraft gesetzt, die stufenweise die Rechte und Möglichkeiten von Juden praktisch auf Null reduzierten“, sagt Ébner. Der Besucher stößt im Gedenkraum auf eine Liste, auf der die genaue Anzahl von Juden in den verschiedenen Ländern angeführt ist. „Die Listen wurden mit deutscher Genauigkeit angefertigt. Die Deutschen hatten sich vorgenommen, fast alle Juden aus Ungarn zu vernichten“, Ébners Stimme wird bei diesen Worten leiser. Beinahe hätten sie es auch geschafft. Miklós Ébner selbst hat die Jahre des Schreckens als Kleinkind mit seiner Mutter überlebt.
Im Holocaust-Gedenkraum ist es dunkel. Die Wände sind mit schwarzweißen Fotografien bedeckt, mit Dokumenten, Porträts von Menschen, die Juden geholfen haben, und Szenen aus dem Ghetto. Einige Gegenstände aus dem Konzentrationslager strahlen in der Dunkelheit, wie eine Hanukkia, die aus Brotkrümeln angefertigt wurde. Eine Büste von Raoul Wallenberg, der durch seinen Einsatz zur Rettung ungarischer Juden bekannt wurde, dominiert diesen Teil des Raumes.
Das Jüdische Museum, das an der Stelle steht, wo sich einst das Geburtshaus von Theodor Herzl befand, zeigt im oberen Stockwerk Wechselausstellungen. Die Vernissagen und Finissagen stellen dabei bedeutende Ereignisse in Budapest dar. „Die österreichischen Besucher sind herzlich eingeladen, ab Juli die neue Ausstellung über die jüdischen Piloten in der k. und k. Monarchie zu sehen“, kündigt Szilvia Peremiczky an. Ein Grund mehr, das Museum zu besuchen.
Magyar Zsidó Múzeum
Dohány utca 2, 1075 Budapest
Öffnungszeiten:
März bis Oktober:
Sonntag – Donnerstag 10 bis 18 Uhr,
Freitag 10 bis 16 Uhr
November bis Februar:
Sonntag – Donnerstag 10 bis 16 Uhr,
Freitag 10 bis 14 Uhr