Vor mehr als dreißig Jahren beschloss die damals 50-jährige Katholikin Friederike Habsburg-Lothringen, sich den jüdischen Glauben nicht mehr von Christen, sondern von Juden erklären zu lassen. Und zu konvertieren. Ein Gespräch über Toleranz, Festtagsstress, Synagogenbesuche und wie schwierig es ist, in Kärnten die Koscher-Gesetze einzuhalten.
VON ANDREA SCHURIAN (TEXT) UND FERDINAND NEUMÜLLER (FOTOS)
Sie Jüdin, er Katholik, beide adelig: Erzherzog Ulrich von Habsburg-Lothringen und seine Frau Friederike, geborene von Klinkowström, sind der lebende (und liebenswürdige) Beweis, dass auch gegensätzliche Lebensentwürfe und Glaubensgrundsätze einer großen Liebe nichts anhaben können.
Respekt und Toleranz nennen sie als die wichtigsten Zutaten ihres Ehelebens. Dass sie mit ihrer selbstbestimmten Lebensweise mitunter für Unverständnis sorgen, ist ihnen klar.
Ulrich Habsburg, Urenkel des letzten Großherzogs Ferdinand IV. von Toskana und Neffe dritten Grades von Otto Habsburg-Lothringen ist studierter Land- und Forstwirt, Gutsbesitzer und Autor. Er setzte sich für die Rechte der Kärntner Slowenen ein, war lange Jahre für Die Grünen als Gemeinderat in Wolfsberg tätig und engagierte sich dafür, dass auch Angehörige aus regierenden und/oder ehemals regierenden Häusern wie etwa Habsburg, Hohenlohe und anderen bei der Bundespräsidentenwahl kandidieren dürfen: „In Österreich darf jeder alles werden, auch ehemalige Nationalsozialisten. Nur mir wird das Amt des Bundespräsidenten verwehrt.“ 2011 wurde das Kandidaturverbot tatsächlich gestrichen.
Friederike Habsburgs Wurzeln liegen väterlicherseits in Schwedisch-Pommern. Erstmals urkundlich erwähnt wurden die Klinkows im Jahr 1320, die unter dem Namen Klinkowström im 17. Jahrhundert in den Adelsstand erhoben wurden. In Pommern zählte die Familie zu den ersten Protestanten. Der nach Wien ausgewanderte Ururgroßvater konvertierte zum Katholizismus, seine Nachfahrin Friederike wiederum viele, viele Jahre später zum Judentum. Dass es in der Familie auch eine jüdische Urgroßmutter gab, entdeckte Friederike Habsburg-Lothringen erst nach dem Übertritt.
NU: Was war eigentlich ausschlaggebend, dass Sie vor dreißig Jahren zum Judentum konvertiert sind?
Friederike Habsburg-Lothringen: Das ist schwer zu sagen. Zuerst haben mich die politischen Aspekte des Judenhasses interessiert, später kamen die religiösen Aspekte dazu. Unsere Silberne Hochzeit haben wir in der Kirche gefeiert, der Priester gab mir als Geschenk einen kleinen Siddur. Was ich da las, faszinierte mich. Ich wollte mir das Judentum nicht mehr von Christen erklären lassen, sondern von Juden. Und sehr bald wusste ich, dass ich konvertieren muss. Ich war mir nur unsicher, wie ich es meinem Mann sage.
Wie hat Ihr Mann reagiert?
Er war gar nicht sonderlich erstaunt über meinen Entschluss. Begeistert war er vielleicht nicht, aber ich habe ihn nie so genau gefragt, denn es stand für mich außer Zweifel.
Ulrich Habsburg: Als meine Frau übertreten wollte, waren wir bei einer Veranstaltung in Graz. Beim anschließenden Empfang hat mich Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg gefragt, was ich zu den Plänen meiner Frau sage. Und ich habe geantwortet: „Es wäre mir schon recht, wenn sie übertreten könnte. Sonst hab ich ja jeden Tag das Geseire zu Hause.“
F.H: Und dann habe ich den Prozess begonnen und bin schließlich in Israel übergetreten. Freilich bin ich erst im Laufe der Zeit draufgekommen, was das bedeutet, vor allem hier in Wolfsberg. Ich muss vorausplanen, für die Feiertage nach Wien fahren. Das ist umständlich, zumal wir ja beide über achtzig sind. Aber alles ist machbar.
Wäre es leichter gewesen, wenn Sie beide übergetreten wären?
F.H.: Sicherlich. Aber das stand nie zur Debatte. Es geht auch so, es braucht halt alles seine Zeit. Wir leben beide Religionen. Mein Mann ist sehr tolerant, ich bin lange nicht so tolerant wie er. Meine Freunde in der Synagoge sind immer begeistert, wie sehr mein Mann teilnimmt. Eine Jüdin und ein nicht konvertierter Mann: Das ist an und für sich im Judentum nicht so gern gesehen, vor allem wegen der Kinder. Aber wir waren schon alt, unsere Kinder erwachsen, als ich übergetreten bin.
U.H.: Beim Sederabend gibt es eine Stelle, da heißt es, dass kein unbeschnittener Mann am Tisch sein sollte. Da fühle ich mich jedes Mal betroffen.
F.H.: Wir saßen Tisch an Tisch mit Rabbiner Hofmeister. Er war auch schon bei uns zu Besuch, wir haben ein herzliches Verhältnis. Ich denke, es war kein Problem für ihn, dass du am Sederabend dabei bist. Oder zumindest lässt er es uns nicht spüren.
Sie sind nach wie vor auch kirchlich engagiert, Herr Habsburg?
U.H.: Ja, und das war meine Frau früher auch. Auch unsere Söhne sind religonsnahe aufgewachsen, haben ministriert. Mich hat Mitte der 1970er Jahre der hiesige Kaplan angesprochen, ob ich nicht das katholische Bildungswerk für Wolfsberg übernehmen möchte. In dieser Funktion habe ich sehr unterschiedliche Leute hierhergebracht, den konservativen Bischof Laun, aber auch Norbert Leser oder Kurt Schubert, der den Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit gegründet hat.
F.H.: Ich war damals noch Christin, und Professor Schubert hat mich für den jüdisch-christlichen Koordinierungsausschuss engagiert. Nach meiner Konversion habe ich das zurückgelegt, denn ich dachte, dass es für alle einigermaßen verwirrend sein könnte. Nach einigen Jahren war ich dann doch wieder dabei, jetzt auf jüdischer Seite und mein Mann auf christlicher.
Sind Ihre Söhne konvertiert?
F.H.: Sie sind christlich. Wenn sie oder unsere Enkelkinder uns besuchen, feiern wir gemeinsam Schabbat. Aber eine Konversion war für sie nie ein Thema. Ich bin ja, wenn man so will, eine spätberufene Jüdin, ich war fünfzig beim Übertritt. Damals haben meine Söhne schon nicht mehr zu Hause gewohnt, insofern war es für sie kein großes Thema. Und ich habe mir auch nicht den Kopf zerbrochen, was es für meine Söhne bedeuten könnte. Ich war sehr auf mich konzentriert. Nur unser jüngster Sohn, er war damals ein bisschen über zwanzig, hat gesagt: „Aha, Mami, das heißt, dass du nicht mehr an Jesus als Erlöser glaubst.“ Und, ja, kurzgefasst ist es tatsächlich genau das.
Wie feiern Sie als interkonfessionelle Familie religiöse Feste?
F.H.: Wir feiern alles, aber schön getrennt. Das diesjährige Pessach war diesbezüglich entsetzlich (lacht). Sederabend in Wien, am Freitag – das ist eigentlich der zweite Feiertag – wieder zurück nach Wolfsberg. Am Abend Schabbat-Beginn. Samstag Schabbat. Tags darauf Ostersonntag für den katholischen Teil der Familie. Am Ostermontag machen wir immer ein Familienessen. Und am Dienstag war schon der letzte Feiertag von Pessach. Ja, das war ein bissl viel. Aber die Feste vermischen mag ich nicht. Voriges Jahr beispielsweise war Chanukka vor Weihnachten, aber ein paar Jahre davor ist ein Chanukka-Tag auf den Weihnachtsabend gefallen. Dann feiere ich zuerst Chanukka, und dann wird Weihnachten gefeiert. Ich gehe nur selten in die Kirche, aber zu Weihnachten begleite ich meinen Mann. Es ist ein Familienfest, ich fände es traurig, wenn er in dieser Nacht allein in die Kirche gehen müsste.
Sie, Frau Habsburg, gehen selten in die Kirche, aber Sie, Herr Habsburg, begleiten Ihre Frau immer in die Synagoge?
U.H.: Natürlich! Soll ich allein zu Hause sitzen? In manchen Wochen verbringe ich drei Tage in Gotteshäusern: Am Freitag feiern wir Schabbes, am Samstag auch noch. Und am Sonntag gehe ich bei uns in die Kirche. Und da werde ich oft gebeten, eine Lesung zu übernehmen. Ich nehme immer die Erste Lesung, denn die ist aus dem Alten Testament.
F.H.: Wenn mein Mann mit mir in die Synagoge geht, hört er ja nichts, was ihn in seinem Glauben stören könnte. Über den Ewigen sprechen die Christen ja auch. Aber ich muss mir Geschichten über Jesus und Maria und den Kreuztod anhören, die gegen meine Glaubensgrundsätze gerichtet sind. Heute ist es für mich nicht mehr so problematisch, aber lange Zeit war es das schon. Ich war bei der Konversion keine junge und unreife Person. Aber den Weg zu finden, mich als Person im Judentum zurechtzufinden, war eine Herausforderung. Und in dieser Zeit des Findens hatte ich eine viel heftigere Abwehrhaltung als heute. Unsere Freunde aus dem jüdischen Umfeld tolerieren unsere Art zu leben. Sie lieben meinen Mann und achten ihn, weil er sich so engagiert.
Leben Sie koscher?
U.H.: Sie ist meine Chefköchin.
F.H.: Eine widerwillige Chefköchin! Ja, ich koche koscher, aber das ist gar nicht so einfach hier in Kärnten. Ich besorge immer größere Mengen koscheres Fleisch in Wien und friere es dann ein. Auch das Mazzebrot kriege ich hier nicht. Wenn ich nicht mehr genug koscheres Fleisch habe, bekommt mein Mann ein anderes Fleisch, dann jongliere ich zwischen koscher für mich und nicht-koscher für ihn, zwischen milchig und fleischig.
U.H.: Wir haben einen fleischigen und einen milchigen Kühlschrank.
F.H.: Ja, aber da bin ich nicht so streng. Es muss für uns lebbar sein. Und ich will meinen Mann nicht überfordern. Natürlich wäre es in Wien anders. Aber dort würde ich nicht mehr leben wollen. Ich bin zwar in Wien aufgewachsen, aber es reizt mich nicht.
Herr Habsburg, reizt es Sie immer noch, für die Wiedereinführung der Adelstitel zu kämpfen?
U.H.: Das war zunächst nur aus Spaß. Ich habe bei einem Vortrag vorgeschlagen, Adelstitel nach Rang gestaffelt wie ein Wunschkennzeichen für zehn Jahre zu verkaufen: Fürsten um so und so viel Euro, Grafen ein bissl billiger. Tatsächlich empfinde ich die Abschaffung durch das Adels-Aufhebungsgesetz in der Ersten Republik ungerecht. Wobei es für Militärs und Industrielle besonders ungerecht war, die ab 1830 für ihre Verdienste zwar kein Geld bekommen haben, aber dafür einen Adelstitel. Der wurde ihnen, ohne dass sie dafür entschädigt worden wären, durch das Adels-Aufhebungsgesetz wieder weggenommen. Die große Sozialistin Adelheid Popp, nach der u.a. eine Straße und ein Park benannt sind, hat bei der Parlamentsdebatte zum Aufhebungsgesetz besonders heftig gegen den Adel und die Juden agitiert. Am ärgsten hergezogen ist sie allerdings über geadelte Juden.
F.H.: Das ist schon erstaunlich, dass man zwar zurecht über Karl Lueger schimpft, aber so etwas wie die antisemitischen Äußerungen von Popp offenbar toleriert.
Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Aristokratie?
F.H.: In beiden Gesellschaften achtet man auf Bildung und auf Manieren. Da wie dort gibt es, meist aus religiösen Gründen, mehr Kinder. Es werden Werte weitergegeben, wobei es im Judentum natürlich religiöse Werte sind.
U.H.: Und man heiratet in der Sippe, das ist bei Juden wie bei Aristokraten oder auch bei Großbauern und Industriellen so: Nicht hinauszuheiraten, sondern unter seinesgleichen zu bleiben. Wenn man halbwegs wirtschaftet, kommt es fast zwangsläufig zu Vermögensbildung.
F.H.: Man kann natürlich Pech haben und es passt überhaupt nicht zusammen. Aber es ist einfach so, dass eine gewisse Grundeinstellung, eine ähnliche Erziehung verbindet. Wobei ich diesbezüglich einmal unserem alten Familienoberhaupt, dem verstorbenen Otto, deutlich widersprach, als er sinngemäß sagte, die Habsburger hätten das gleiche Schicksal wie die Juden, beide würden verfolgt. Das ist natürlich blanker Unsinn. Die Habsburger wurden vielleicht angefeindet, aber nicht verfolgt. Man kann die Habsburger Gesetze nicht mit der systematischen Ermordung von Juden gleichsetzen. Er war zu sehr Herr, um ungehalten auf meinen Einwand zu reagieren.
Wie hat man in Ihren adeligen Elternhäusern über den Krieg und die Judenverfolgung gesprochen?
U.H.: Ein Onkel von mir, auch aus der toskanischen Linie wie ich, hat sich über Hitler lustig gemacht und saß deshalb ein halbes Jahr in Dachau. Er war mein Taufpate, aber ich habe ihn nie mehr lebend gesehen. Sonst ist bei uns über den Krieg nicht geredet worden.
F.H.: Meine Eltern hatten großes Verständnis für das Judentum, wie ich es in meiner Jugend woanders ganz sicher nicht erlebt hätte. Eine Schwester meiner Mutter war zweimal mit einem Juden verheiratet; ihr erster Mann starb, der zweite musste 1939 nach England fliehen, sie selbst war Christin und ging nach Südtirol. Meine Eltern übernahmen in Wien ihre Wohnung; ihre Tochter, also meine Cousine, lebte während des Kriegs bei uns. Eine ihrer Tanten väterlicherseits wurde in Theresienstadt ermordet. Ich habe im Internet ihren Totenschein gefunden. Als mein Vater aus dem Ersten Weltkrieg zurückkam, dachte er, er würde als Aristokrat Medizin studieren, auch Offizier war eine Option. Stattdessen machte er in einer Art Abiturientenkurs eine Handelsausbildung und arbeitete in einer Metallwarenfabrik der Gebrüder Deutsch. Als sie vor den Nazis fliehen mussten, bekam mein Vater die Prokura von ihnen. Und nach dem Krieg wurde er von den Alliierten zum öffentlichen Verwalter bestellt. In dieser Funktion hat er auch die Restitution der Firma beobachtet und über die Ergebnisse allen Besitzern nach Australien berichtet. Meine Familie war gegenüber dem Judentum immer positiv eingestellt.
Buchtipps:
Ulrich Habsburg-Lothringen: „Verortungen“.
Mit Vorworten von BP Alexander Van der Bellen und LH Peter Kaiser.
183 S., der Wolf Verlag.
Janko Ferk: „Ulrich Habsburg-Lothringen: Aristokrat, Demokrat, Grüner“.
208 S., Styria Verlag.