„Wichtiger als die Sinuskurve“

„Es ist doch allen klar, dass man mit Hilfe von Spindoktoren, Agenturen und Fake News Wahlen manipulieren und Gesellschaften spalten kann.“ Wahlberlinerin Franzsika Weisz macht sich Gedanken über die Wahl 2024. ©AEDT / Action Press / picturedesk.com

Von Gabriele Flossmann

Manche Rollen haben eine derartige Faszination, dass man nicht lange überlegt, ob man sie annehmen möchte. So wie jene der Magda Goebbels. Als Franziska Weisz das Drehbuch von Führer und Verführer in die Hand bekam, überlegte sie nicht lange, wenngleich ihr viele Teile der Persönlichkeit von Goebbels bis zuletzt unverständlich blieben. „Ich habe mich vor allem gefragt, wie man als Frau die eigenen (sechs, Anm. d. Red.) Kinder umbringen kann. Und da war es mir besonders wichtig, eine mögliche Erklärung zu finden“, so Weisz, „vor allem, weil diese in allen bisherigen Verfilmungen total vernachlässigt wurden.“

Um das Leben der Frau an der Seite des Nazi-Propagandaministers verstehen zu können, besuchte Weisz zur Recherche für die Rolle die Orte des Geschehens in Berlin. Miterzogen von ihrem Adoptivvater Richard Friedländer, einem jüdischen Kaufmann, trug Magda eine Kette mit Davidstern und überlegte sogar, mit ihrer Jugendliebe nach Palästina auszuwandern. Nach einer ersten Ehe mit dem vermögenden Unternehmer Günther Quandt heiratete sie Adolf Hitlers Propagandaleiter Joseph Goebbels.

„Sie hat ihre Kinder geliebt. Da bin ich mir ganz, ganz sicher“, so Weisz, „aber sie hat Hitler und seinen Visionen mehr geglaubt. Ich habe ja schon einmal so eine fanatische Frau gespielt, im Film Kreuzweg. Aus religiösem Fanatismus wird die Tochter für den Glauben geopfert. Und so muss es auch bei Magda Goebbels gewesen sein. Ihr war bewusst, es wird eine Welt nach Hitler geben – aber keine, in der sie sich ihre Kinder vorstellen konnte. Das heißt nicht, dass ich diese Frau liebenswert darstellen wollte, aber ich wollte sie verstehen, und das wollte ich auch dem Publikum ermöglichen.“

Goldener Käfig

Der deutsche Journalist, Filmregisseur und Autor Joachim A. Lang taucht mit seinem Film in die alltäglichen Reibereien der NS-Größen ein und wagt es, die Massenmanipulation der Nazizeit als einen fatalen Schritt in das heutige Fake-News-Zeitalter darzulegen. Führer und Verführer, aus Kostengründen in Bratislava gedreht, beginnt mit einer überraschenden Szene: Man hört Hitler im Originalton nicht mit der geifernden, scharfen Stimme sprechen, die man von seinen Reden kennt, sondern in einem weichen, nahezu sanften Tonfall. Auf diese Weise möchte Lang im Kino, wie er erklärt, die Selbstinszenierung Hitlers entzaubern. „Das war auch für mein Verständnis von Magda Goebbels interessant und bedeutsam“, so Weisz. „Denn man muss sich das einmal vorstellen: Sie war eine gebildete, weltoffene Frau, die von ihrer ersten Liebe enttäuscht wurde. In der Ehe mit einem reichen Industriellen suchte sie einen Weg an die Spitze der Gesellschaft und landete in einem goldenen Käfig. Den Kriegsbeginn erlebte sie in Belgien und traf dann in Berlin auf einen Mann, der nach dem Ende des ‚totalen Kriegs‘ den ewigen Frieden in einem ‚Tausendjährigen Reich‘ versprach. So habe ich für mich zumindest einen Teil von ihrer Hitler-Faszination erklärt.“

Pakt mit dem Teufel

Mit ihrem Ausstieg aus dem Tatort – der Neujahrsfall „Was bleibt“ war ihr dreizehnter und letzter Auftritt als Bundespolizistin Julia Grosz – und ihrem jüngsten Kinofilm schließt sich für Franziska Weisz, die zufällig zur Schauspielerei kam, ein Kreis. Aufgewachsen in Breitenfurt bei Wien, begann sie nach der Matura Betriebswirtschaftslehre zu studieren und hatte mit der Schauspielerei nichts am Hut. Über Umwege landete „die Franzi“, wie sie im Freundeskreis bis heute genannt wird, beim Vorsprechen für einen Film. Daraus wurde sehr schnell ihr Schauspieldebüt in Ulrich Seidls Drama Hundstage. Ein einmaliger Glücksgriff, dachte sie sich damals – und packte ihre Sachen, um in England Internationale Beziehungen und Medien zu studieren. Damit wollte sie „etwas in der Hand haben“, falls die Schauspielerei floppen sollte. Doch diese Angst war unbegründet. Schon während ihres Studiums ergatterte das Naturtalent weitere Rollen in Film und Fernsehen und beschloss nach ihrer beeindruckenden Hauptrolle im Psychodrama Hotel von Jessica Hausner, für die sie bei der Berlinale 2005 mit der Auszeichnung „European Shooting Star“ geehrt wurde, sich ganz auf die Karriere vor der Kamera zu konzentrieren.

Zehn Jahre danach geschah für sie auch privat „etwas Großes“. Sie gab dem Regisseur Felix Herzogenrath, den sie 2012 bei Dreharbeiten zur ZDF-Serie Die Bergretter kennengelernt hatte, das Ja-Wort. Das private Glück gab und gibt Franziska Weisz die Sicherheit, in Berlin ihren festen Wohnsitz zu etablieren und sich herausfordernden Rollen zu stellen. Wie nun jene der Magda Goebbels.

„Ich bin davon ausgegangen, dass sie – wie die meisten Menschen – dachte, gut zu sein. Ihr war sicher nicht bewusst, dass sie einen Pakt mit dem Teufel einging. Sie hat die Nazis als Elite gesehen, der sie auch angehören wollte. Wäre es nicht so, dann wäre sie ein Monster gewesen – und ein Monster kann ich als Mensch nicht darstellen. Es gibt vielleicht auch Menschen, die sich vornehmen, etwas Böses zu tun. Aber die meisten handeln aufgrund irgendeiner Verblendung. Goebbels hat ihren kometenhaften Aufstieg zur ersten Frau des Reichs, die Nähe zum Führer und den Luxus um sich herum richtig genossen. Das macht sie irgendwie begreiflich – und somit spielbar“, so Weisz.

Aufschlussreiche Lehren

Doch wie konnte eine kleine Gruppe von Menschen die Massen derart manipulieren und instrumentalisieren? „Es ist uns doch allen heute klar, dass man mit Hilfe von Spindoktoren, Agenturen und Fake News Wahlen manipulieren und Gesellschaften spalten kann“, meint Weisz. „Dafür ist die Machtergreifung Hitlers ein erschreckend aktuelles Beispiel. Nicht nur weil Russland gerade einen Krieg gegen die Ukraine führt, mit einem Präsidenten, der mit an Gehirnwäsche grenzenden Fake News die russische Bevölkerung auf diesen Krieg einschwört und mit Wahlmanipulationen und via Internet verbreiteten Verschwörungstheorien die westlichen Demokratien in Europa und den USA zu destabilisieren versucht“. Aus der Geschichte von Hitler und Goebbels könne man aufschlussreiche Lehren für die heutige Welt ziehen.

Im Hinblick auf das Wahljahr, auch in ihrer Heimat Österreich, ist sie über die vergleichsweise Gleichgültigkeit der Bevölkerung erschreckt. „Meine in Österreich lebenden Freunde haben mir beteuert, dass sie den Rechtsruck furchtbar und schrecklich finden. Sie sind aber tatenlos. Nun meine ich nicht, dass alle zu Demonstrationen gehen müssen. Aber beim Gedanken, dass die FPÖ rund 30 Prozent der Wähler gewinnen könnte, stellt sich die Frage:, Wo ist die Mehrheit der anderen, die versucht, sich für die Demokratie und gegen ihre Zerstörung durch die Rechten einzusetzen?‘“

Aus all diesen Gründen wünscht sie sich, dass Führer und Verführer von möglichst vielen Menschen gesehen und vor allem an den Schulen gezeigt wird. Vielleicht auch in einem Kontext, der sich mit Medienbildung beschäftigt. „Desinformation ist Propaganda in neuem Gewand, und wir können von unseren Kindern nicht erwarten, dass sie bei den Unmengen an Informationen, die minütlich auf sie einprasseln einen Instinkt dafür haben, was wahr ist und was nicht. Dieses Wissen wird für die Zukunft unserer Gesellschaft sehr viel entscheidender sein als die Berechnung einer Sinuskurve“.

„Führer und Verführer“ startet am 11.7. in den österreichischen Kinos.

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