Ben Gershon ist ein Meister des koscheren Comics. Seit 16 Jahren erzählt er, mit welchen Schwierigkeiten Jewy Louis, eine Art Otto Normaljude, mitunter in einer nichtjüdischen Umgebung zu kämpfen hat.
Von Andrea Schurian
Genie, behauptete der Erfinder Thomas Alva Edison (1837–1932), sei 99 Prozent Transpiration und ein Prozent Inspiration. Auf den Comiczeichner Ben Gershon (Jahrgang 1985) trifft offenbar das Gegenteil zu. Mit dem Bleistift in der Hand sitze er an seinem Schreibtisch und warte darauf, dass der liebe Gott ihm eine gute Idee schenke: „Ich kann Inspiration aus allen möglichen Dingen schöpfen: aus Unterhaltungen, aus etwas, das ich gelesen habe, wenn ich auf Reisen bin, wenn ich auf einer jüdischen Veranstaltung bin, ja sogar, wenn ich schlafe.“ Gershons erfolgreichste Erfindung, Jewy Louis, erblickte im Jahr 2004 in einer niederländischen jüdischen Wochenzeitung das Licht der Öffentlichkeit; bald erheiterten Ben Gershons Geschichten über den kleinen, bartlosen Nickelbrillenträger mit Pejes und gestreifter Kippa auch die Leserinnen und Leser des San Diego Jewish Journal in den USA, des Schweizer Wochenmagazins Tachles und seit 2012 der Jüdischen Allgemeinen in Deutschland.
„Ich kenne die orthodoxe Welt“, sagt Gershon, „viele Freunde meiner Eltern sind sehr orthodox, aber meine Eltern sind keine gläubigen Juden.“ Er selbst sieht sich als liberalen Juden. Unter dem trefflichen Titel Schalömchen hat der Comickünstler vor zwei Jahren Jewy Louis’ jüdischen Alltag in einer nichtjüdischen Umwelt inklusive aller daraus resultierenden Missverständnisse als kleines, feines Büchlein zusammengefasst und beim Ariella-Verlag herausgebracht. Sein Held Jewy Louis, eine Art liebenswürdiger Otto Normaljude, lebt in einer modernen Gesellschaft, die nicht immer zusammengeht mit jahrtausendealten Regeln und Traditionen. Da fragt zum Beispiel Jewy Louis den Rabbi, ob es sich denn für Juden schicke, den Valentinstag zu feiern. „Nein, nein, nein!“, ruft der Rabbi entsetzt, ein ursprünglich christliches Fest könne niemals koscher sein. Beide schweigen. Niedergeschlagen fragt Jewy Louis: „Lassen Sie mich raten. Sie haben auch keine Valentinskarte erhalten, oder?“ – „Nein“, antwortet der Rabbi mit traurigem Gesicht. Oder: Stehen sich ein Krokodil und ein Zebra gegenüber. Das Krokodil: „Eines Tages werde ich eine Handtasche sein!“ Das Zebra: „Und ich werde ein Tallit!“
Am Anfang war die Tapete
Gershon nimmt mit seinen Comics so ziemlich alle und alles liebevoll aufs Korn: orthodoxe Rabbiner, die jüdischen Mammes als Meisterinnen der Schuldgefühle, Anders- und Leichtgläubige ebenso wie im Glauben nicht unbedingt sattelfeste Juden, Sitten, Gebräuche, Feste, erste Lieben, letzte Wege. In einem Interview für das Comic-Jahrbuch Icom erzählte der studierte Steuerrechtler und Jurist, dass er sein erstes Kunstwerk bereits im zarten Alter von eineinhalb Jahren schuf – und zwar auf der Tapete seines Kinderzimmers: „Eine Darstellung von Ernie und Bert aus der Sesamstraße. Ich habe schon von Beginn an Zeichnungen angefertigt, die in einer gewissen Art und Weise ‚kommuniziert‘ haben oder eben irgendetwas Cartoonhaftes an sich hatten. Im Alter von zwölf Jahren zeichnete ich dann meinen ersten jüdischen Comic. Ich war zur Bat Mizwa einer Freundin eingeladen, und alle Gäste waren gebeten worden, etwas Kreatives zu einem Gästebuch beizusteuern, das dem Mädchen als Erinnerung an ihren speziellen Tag geschenkt werden sollte. Also zeichnete ich einen kurzen Comic für sie.“
Ihm gehe es darum, jahrhundertealte Traditionen aus einem neuen Blickwinkel zeichnerisch einzufangen. Seine Comicstrips würden, so Gershon, zum einen die extreme Anpassungsfähigkeit von Juden illustrieren und zum anderen ihren außergewöhnlichen Sinn für Humor.
Ben Gershon
Jewy Louis – Schalömchen. Witzige koschere Comics
Ariella Verlag, Berlin 2018
66 S., EUR 12,95