War der Kaufhauskönig Helmut Horten ein Nachkriegs-Wirtschaftswunder? Oder ein gnadenloser Ariseur? Heidi Goëss-Horten beauftragte den an der Universität Würzburg lehrenden Historiker Peter Hoeres, die NS-Vergangenheit ihres 1987 verstorbenen ersten Mannes zu durchleuchten. Anlässlich der Eröffnung der Heidi Horten Collection war Peter Hoeres in Wien.
Von Andrea Schurian
Ein „exzentrisches Kleinod“ nannte es Almuth Spiegler in der Tageszeitung Die Presse: Seit Anfang Juni ist Wien um ein erlesenes Museum reicher. Im Hanuschhof, in nächster Nachbarschaft zur Albertina, präsentiert die Kunstsammlerin Heidi Goëss-Horten ihre Heidi Horten Collection. Weniger als zwei Jahre haben Next Enterprise Architects für ihren Umbau eines unscheinbaren Stöckelgebäudes zu einem lichtdurchfluteten Museum gebraucht.
Direktorin Agnes Husslein weiß, wie erfolgreiche Museumsarbeit geht: Sie war unter anderem Gründungsdirektorin des Salzburger Museums der Moderne und pushte als Belvedere-Chefin in ihrer neunjährigen Amtszeit die Besucher von 400.000 auf mehr als 1,3 Millionen. Mit der Multimillionärin verbindet sie eine langjährige Freundschaft, Husslein hat Horten auch bei Kunstkäufen beraten. Die Museumsgründerin war in erster Ehe mit dem Kaufhauskönig Helmut Horten verheiratet. Schon im Vorfeld wurde deshalb weniger über die Kunst diskutiert, als über Hortens Verstrickungen in der NS-Zeit. Heidi Goëss-Horten beauftragte deshalb einen Historiker mit der Aufarbeitung. Die Untersuchung von Peter Hoeres, der an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg den Lehrstuhl für Neueste Geschichte leitet, und dessen wissenschaftlichem Mitarbeiter Maximilian Kutzner ist öffentlich einsehbar.
NU: Ist ein bestelltes Gutachten nicht riskant für einen Wissenschaftler? Hatten Sie nicht Sorge um Ihren guten Ruf als unabhängiger Historiker?
Peter Hoeres: Diese Form der Auftragsforschung ist nicht ungewöhnlich und folgt gewissen Standards. Entscheidend ist, dass man wissenschaftliche Unabhängigkeit vertraglich fixiert. Und dass sich der Gutachter nichts dreinreden lässt. Das ist die wichtigste Bedingung für einen Historiker, der etwas auf sich hält.
Sind Sie spezialisiert auf die Nazizeit?
Ich habe mich in meinen Forschungen auf einen erinnerungskulturellen Ansatz spezialisiert: Wie geht man mit Erinnerungen an Diktaturen um, nicht nur in Deutschland.
Durften Ihre Recherchen ergebnisoffen sein?
Völlig. Und in jede Richtung. Ich habe belastende Dinge herausgefunden, die vorher völlig unbekannt waren, wie etwa Hortens Beschäftigung von Zwangsarbeitern im Flugzeugwerk Johannisthal, aber eben auch entlastende Punkte. Ich sehe mich nicht als Richter, sondern als Historiker, der die Fakten recherchiert und historisch einordnet.
Dennoch: Wie ist Ihre persönliche moralische Einschätzung? War Horten Mitläufer? Profiteur? Ariseur? Täter?
Es ging ihm immer um den geschäftlichen Erfolg. Ich würde sagen: Er hat sich immer den Bedingungen angepasst. Für ihn zählte das Primat des Ökonomischen, er war in erster Linie Unternehmer. Um seine Ziele zu erreichen, hat er sich auf die Spielregeln im Dritten Reich eingelassen, das muss man schon deutlich sagen. Er profitierte davon, dass Juden Repressalien ausgesetzt waren und daher ihre Geschäfte verkaufen mussten, um emigrieren zu können.
Andererseits war er aber auch störrisch. Er trat 1937 der NSDAP bei, weil es aus seiner Sicht opportun war. Aber 1944 wurde er ausgeschlossen und sogar ein paar Wochen inhaftiert, weil er politisch unzuverlässig war. Das heißt nicht, dass er Widerstandskämpfer war. Er hat Juden entlassen, so wie es verlangt war. Aber er hat eben auch einige beschützt und zu einigen weiterhin heimliche Geschäftsbeziehungen unterhalten. Als ihm die jüdischen Besitzer Lauter und Strauß ihr Traditionskaufhaus Alsberg in Duisburg anboten: Wäre es moralischer gewesen, wenn er nicht gekauft hätte? Die Besitzer brauchten den Erlös für die Emigration. Bei der Suche nach einem Käufer traten sie an Horten heran. Die Bedingungen, zu denen er das Kaufhaus erwarb, waren weitgehend angemessen. Ähnlich in Wattenscheid. Da hat das Gauwirtschaftsamt den Deal sogar beanstandet, weil er aus NS-Sicht zu positiv für die jüdischen Alteigentümer ausfiel.
In Ihrem Dossier ist nachzulesen, dass er nach dem Krieg die jüdischen Vorbesitzer entschädigt hat, ja, mit ihnen befreundet war. Kann man wirklich von Freundschaft sprechen?
Befreundet ist vielleicht zu viel, Horten war ja ein distanzierter Mensch. Aber sie hielten Kontakt zueinander, baten einander um Gefallen. Die Familie Lauter stand mit Horten bis in die 1970er Jahre auf gutem Fuß. Allerdings muss man strikt unterscheiden zwischen den Warenhausbesitzern in Westen, also in Duisburg und Wattenscheid, und den Unternehmungen in Ostpreußen. Im Westen hat er die Voreigentümer nicht übervorteilt, im Osten sieht die Sachlage anders aus. Man kann nicht sagen, dass er dort geraubt hat, aber er hat die Notlage stärker zu seinen Gunsten ausgenutzt.
Bildeten die Arisierungen den Grundstock für Hortens Vermögen?
Das ist die wirklich interessante Frage. Seine Kaufhäuser in Ostpreußen waren nach dem Krieg verloren, ebenso seine Beteiligung am Flugzeugwerk in Berlin. Im Westen war das Kaufhaus in Duisburg zerstört. Das baute er nicht wieder auf, vielmehr errichtete er an anderer Stelle ein neues Kaufhaus, den „Bau der 100 Tage“, mit den Voreigentümern schloss er Vergleiche und trat später eigene Ansprüche aus dem Lastenausgleich an sie ab. In Wattenscheid gab er die Immobilie an den jüdischen Vorbesitzer zurück und pachtete sie dann gleich wieder, eine durchaus ungewöhnliche Art der Wiedergutmachung.
Horten war ja zwei Jahre im britischen Lager interniert, allerdings wurde er nie angeklagt. Die Briten dachten, dass er ein NS-Wirtschaftsführer gewesen war, was nicht zutraf. Als er freigelassen wurde, kam es im Zuge der Währungsreform zu einer Abwertung von 1:10. Sein Bestand an Grundstücken, Immobilien, Waren und Geld war also empfindlich reduziert. Der Grundstock für sein Vermögen war eher sein Name, die Marke, seine Beziehungen. Er baute zunächst wieder auf Kredit auf.
Die eigentliche Gründung seines Imperiums war 1953/54, als ihm zwei jüdische Warenhausbesitzer ihre Unternehmen verkauften: Salman Schocken wurden nach dem Krieg seine Merkur-Kaufhäuser restituiert, doch seine Söhne waren nach Israel ausgewandert und wollten mit Deutschland nichts zu tun haben. 1954 erwarb Horten die Defaka-Kaufhauskette zu marktüblichen Konditionen von Jacob Michael, der nach New York emigriert war.
Hatten Sie Einsicht in den Briefverkehr? Warum wollten jüdische Besitzer nach dem Krieg just einem ehemaligen Ariseur und Profiteur ihre Unternehmen verkaufen?
Tatsächlich waren diese Transaktionen quasi sein Persilschein, er hat sie immer zu seinen Gunsten ausgelegt. Die Verkäufer haben sich freiwillig und persönlich mit Horten eingelassen. Die Verkäufe waren keine Zwangsmaßnahmen. Aber indirekt waren sie natürlich ebenfalls Folgen der Nazizeit: Denn die jüdischen Vorbesitzer hatten emigrieren müssen und verkauften nach dem Krieg ihre Unternehmen, weil sie nicht mehr in das ehemalige Nazi-Land zurückwollten.
„Heidi Horten Collection“
Palais Goëss-Horten
Hanuschgasse 3, 1010 Wien
Time-Slot-Ticket erforderlich