Von Albträumen, Ängsten und Vertrauen

Yael Ronen: „Ich arbeite hart daran, dass ich nicht von Ängsten bestimmt bin, versuche herauszufinden, wo sie herkommen und stelle mich ihnen.“

Die israelische Theaterautorin und Regisseurin Yael Ronen hat am Wiener Volkstheater ihr Stück „Gutmenschen“ uraufgeführt. Zwischen zwei Probenterminen traf sie im Café Burggasse 24 Andrea Schurian und sprach über ihr Verständnis von Theater, ihren österreichischen Großvater sowie ihr zwiespältiges Verhältnis zu Israel und Jerusalem.

„Ich kenne in Wien nicht alles“, sagt Yael Ronen und kuschelt sich in das abgewetzte Samtsofa, „aber dies ist hier mein absoluter Lieblingsort. Wenn ich könnte, würde ich ihn mittels copy and paste überall dorthin mitnehmen, wo ich gerade bin. Allein das Feuer im Kamin! Es ist so gemütlich und unkompliziert, man fühlt sich wie auf einer Party daheim bei Freunden.“

Dieser Lieblingsort heißt schlicht nach der Adresse Burggasse 24, ist Vintage-Conceptstore und Kaffeehaus in einem, mit hohen, loftartigen Räumen, pastellfarbenen Wänden, Bar und Wendeltreppe. In einer ehemaligen Lederwerkstatt am Rande des St. Ulrich-Platzes im siebenten Bezirk haben der Fotograf Marco Pauer, der Cafétier Moritz Baier und die Stylistin Angelika Pohl in großstädtisch lässigem Mix aus Industrial und Shabby Chic auf mehreren hundert Quadratmetern ein erweitertes Wohnzimmer für Hipster und (Lebens-)Künstler aller Altersklassen eingerichtet. Und hierher also kommt die israelische Regisseurin und Bühnenautorin, wenn sie am Volkstheater engagiert ist. Stöbert sich durch ein extravagantes Sortiment an Kleidern, Blusen, Hosen, Röcken und Mänteln, die hier streng nach Farbe geordnet sind. Und schreibt im Kerzenschein an dem Stück weiter, das sie gerade probt. Ihre für die Dauer der Proben gemietete Wohnung befindet sich ums Eck. Volkstheater, Wohnung und Burggasse 24, alles in Gehdistanz. Muss so sein, ihre extravagante Arbeitsweise lässt nicht viel Zeit zum Flanieren. Denn das Stück entsteht immer erst während der Proben.

„Manchmal“, sagt sie, „habe ich am Beginn nicht einmal eine konkrete Idee, sondern nur einen Namen, einen Titel, einen Regieeinfall. Erst langsam entsteht, gemeinsam mit den Schauspielerinnen und Schauspielern, das Stück. Anfangs sitzen wir alle zusammen, jeder berichtet über private, aber auch politische Erfahrungen und Erlebnisse, daraus entwickeln sich dann die Charaktere. Wir starten im Nirgendwo und bauen dann das Stück sozusagen Stein für Stein.“ Natürlich sei das eine fordernde und herausfordernde Vorgangsweise für das gesamte Team. Aber Angst, dass sich aus all den vielen Puzzleteilen womöglich doch kein Theaterabend fügen könnte, die hat sie nicht. „Ich arbeite hart daran, dass ich nicht von Ängsten bestimmt bin, versuche herauszufinden, wo sie herkommen und stelle mich ihnen. Aber ich versuche nicht, ihnen aus strategischen Gründen auszuweichen.“ Sie schüttelt ihre roten Locken: „Manchmal, wenn ein Projekt fertig ist, habe ich nachts Albträume, dass ich zur Arbeit gehen muss und nicht weiß, was ich tun soll; dass Proben angesetzt sind, aber ich noch kein Stück habe. Und dann wache ich auf und denke: ‚Ah, das ist ja genauso, wie ich in Wirklichkeit arbeite – ein Albtraum.‘ Ich glaube, diese Ängste tauchen in meinen Träumen auf, weil ich sie mir während der Arbeit nicht erlaube. Ich schiebe sie zur Seite und vertraue darauf, dass mich der kreative Prozess schon wohin führen wird.“

Ob diese angstfreie Haltung typisch ist für Israelis, die mit Terroranschlägen, Bombenangriffen, alltäglichen Bedrohungen zu leben lernen müssen? „Vielleicht. Man kann das nicht generalisieren. Was man aber sagen kann, dass unter wagemutigen Menschen sehr viele Israelis sind. Ich glaube, wir sind ein Volk, das gern forscht und entdeckt.“

Persönliche Wahrheit

Wir treffen einander in der Burggasse 24 zwei Tage vor der Uraufführung ihres Stückes Gutmenschen, einer ebenso komödiantischen wie todtraurigen Satire über Flucht, Immigration, Asyl, Empathie und engagierte junge Menschen, die an sich selbst und der Gesellschaft zweifeln und verzweifeln. Zugrunde liegt, wie immer in Ronens Stück, eine wahre Geschichte – die des irakischen Flüchtlings Yousif, Cousin einer am Volkstheater beschäftigten Schauspielerin, der einen negativen Asylbescheid bekommt und abgeschoben werden soll. „Alles, was man auf der Bühne zeigt, wird zum Symbol für etwas Größeres. Doch damit es nicht auf diesem symbolischen Level bleibt, bestehe ich immer darauf, dass konkrete Charaktere und sehr private Geschichten eine Rolle spielen. Ich versuche nicht, irgendeine Form von Wahrheit oder eine allgemeingültige Geschichte auf die Bühne zu bringen, sondern immer eine ganz konkrete, persönliche Wahrheit.“

Der Beiklang, den der Titel Gutmenschen hat, ist ihr bewusst: „Wir haben ein Äquivalent auf hebräisch – „jaffei nefesh“, schöne Seelen. Im politischen Diskurs wird dieser Begriff verwendet, um linke, humanitär engagierte Menschen zu desavouieren. Es war für mich überraschend, dass es diesen Ausdruck auch im Deutschen gibt. Ich dachte, das sei eine israelische Spezialität.“

Theater, so wie es Yael Ronen versteht, ist immer auch gesellschaftspolitisch relevant, wenngleich sie nicht daran glaubt, dass es für sich allein die Welt verändern kann: „Manchmal hört man von Leuten, die tatsächlich die Welt verändert haben, dass es in ihrem Leben einen Moment der Klarheit gab, der von einem Buch, einem Lied, einem Theaterstück beeinflusst war. Natürlich hofft man, dass man mit seinem Projekt die Menschen so berührt, dass sie sich und damit die Welt ändern, ein bisschen besser machen. Aber Theater, Kunst, Literatur kann immer nur ein Auslöser sein, am richtigen Platz für die richtigen Leute. Ich hoffe es zumindest, aber ich kann es nicht garantieren. Ich würde jedenfalls mit diesem Versprechen keine Tickets verkaufen.“

Heimatlosigkeit

Dass sie einmal am Theater landen würde, war Yael Ronen buchstäblich in die Wiege gelegt: Mutter Rachel Hafler ist Schauspielerin, Vater Ilan Ronen einer der bekanntesten israelischen Regisseure, der seit 2004 als Intendant das israelische Nationaltheater Habimah in Tel Aviv leitet. Auch Yaels älterer Bruder Michael ist als Regisseur international erfolgreich, „Er war der Pionier und ging noch vor mir nach Europa.“– Sie selbst studierte szenisches Schreiben in New York und Regie in Tel Aviv. „Es gab nur eine kurze Periode in meinem Leben, in der ich mich außerhalb des Theaters versuchte: Ich machte ein Katzen-Fotobuch, dann Ayurveda-Massage. Und ich hatte eine sehr kurze Karriere als Kellnerin. Während meines Militärdienstes war ich Radio-Journalistin und tat das, was Sie jetzt tun: Künstler interviewen. Das waren keine schlechten zwei Jahre.“

Zu ihrer Heimat Israel im Allgemeinen und ihrer Geburtsstadt Jerusalem im Besonderen hat sie ein zwiespältiges Verhältnis: „Ich kann Israel nicht aus mir herausreißen. Ich habe zu lange dort gelebt, um zu behaupten, Israel sei kein Teil von mir. Aber Jerusalem ist für mich der Teil der israelischen Identität, mit dem ich mich überhaupt nicht identifiziere – sowohl, was den religiösen Aspekt betrifft, als auch das Nationalistische, Fundamentalistische. Für mich ist Jerusalem das Sammelbecken aller Probleme, die ich mit Israel habe. Die Ungerechtigkeit, der Konflikt mit den palästinensischen Israelis in all seiner Komplexität wird hier besonders gut sichtbar. Ich war etwa acht Jahre alt, als wir aus Jerusalem fortzogen. Das war noch vor der Intifada, und das Jerusalem meiner Kindheit war ein ganz anderes als das heutige, eine viel stärker säkulare Stadt, es gab viel mehr Verbindungen zwischen Israelis und Palästinensern. Mit den Jahren wurde Jerusalem für mich immer unerträglicher, ich würde dort nicht mehr leben wollen und besuche es auch nur mehr sehr selten. Überhaupt fahre ich im Augenblick nur ungern nach Israel zurück. Ich möchte an einem Ort leben, mit dessen Werten ich mich identifizieren kann, wo ich stolz wäre, den Pass dieses Landes zu besitzen. Das ist derzeit in Bezug auf Israel sicher nicht der Fall.“

Nein, auch Deutschland sei dieser Ort „definitiv“ nicht, wiewohl sie seit 2013 Hausregisseurin am Maxim-Gorki-Theater in Berlin ist, dessen Ensemble zu einem Großteil Migrationshintergrund hat und das, wie Yael Ronen sagt, ein Abbild des heutigen Berlin sei. Sie selbst habe sich in den letzten Jahren nirgends zu Hause gefühlt, aber wenn sie es sich aussuchen könnte, könnte Costa Rica diese Heimat sein: „Es ist das einzige Land der Welt ohne Militär, es hat eine wunderbare Natur und Menschen, die einander freundlich und mit Respekt begegnen. An einem Ort, an dem die Menschen in Harmonie mit der Natur leben, findet man Spiritualität. Leider lebe ich nicht in Costa Rica, sondern in Europa, nicht zuletzt deshalb, weil ich glaube, dass ich dort nicht jenes Theater machen kann, das ich hier mache.“

„Alles, was man auf der Bühne zeigt, wird zum Symbol für etwas Größeres.“

Mischehe

Bis vor zwei Jahren war Yael Ronen mit dem christlich-palästinensischen Schauspieler Yousef Sweid verheiratet, „das war in meiner engeren Umgebung nicht so ungewöhnlich. Ich lebte in Tel Aviv in einer Künstlerblase, die offen und liberal ist. Ich war auch nicht die einzige, die in einer Mischehe lebte. Und wir sind beide areligiös.“ Und in welcher Religion wächst ihr gemeinsamer Sohn auf? „Als Buddhist“, sagt sie und lacht. „Nein. Als Freigeist!“ Als Yael und Yousef nach Berlin übersiedelten, war der Sohn vier Jahre alt, mittlerweile geht er in eine deutsche Schule, singt deutsche Lieder, hat deutsche Freunde, „er ist, man kann es drehen und wenden wie man will, ein kleiner Deutscher.“ Für ihre Familie ist das kein Problem, „denn sie sieht, dass es ein anderes Land ist als jenes, aus dem sie fliehen musste. Ich glaube, meine Eltern haben einen sehr realistischen Blick auf Deutschland, auf Österreich, überhaupt auf Europa. Und mein Vater sieht es eher als siegreiche Rückkehr denn als Erziehungsfehler.“

Yael Ronens Großvater war Österreicher, „er hatte eine Hassliebe zu diesem Land. Er musste vor den Nazis fliehen. Aber nach dem Krieg fuhr er jedes Jahr nach Österreich auf Urlaub. Er unterrichtete in Israel Sprachen, darunter auch Deutsch, er hatte eine starke Verbindung zu Österreich und zur deutschen und österreichischen Kultur. Wenn man ihn fragte, woher er kam, sagte er allerdings nicht, er käme aus Österreich, sondern er sagte, er stamme aus Österreich-Ungarn. So hat er für sich den Konflikt aufgelöst. Für meine polnische Großmutter war das völlig anders, sie wollte nie mehr in dieses Land zurückkehren und sprach auch nie mehr polnisch.“

Sie selbst spräche Deutsch „nur im Geheimen, wenn niemand es hört“, sagt sie mit einem spitzbübischen Lächeln. „Ich dachte auch nicht, dass ich für das Theater in einer anderen Sprache als Hebräisch schreiben könnte. Und dann passiert dieses Wunder, dass ich Stücke in einer Sprache schreibe, die ich nicht spreche. Ich schreibe auf Englisch und es wird ins Deutsche übersetzt. Aber ich verstehe genug, um es dann zu inszenieren.“

Draußen ist es bereits dunkel, Kerzen verbreiten ein schummriges Licht, leise, soulige Musik. Yael Ronen nimmt einen letzten Schluck Tee, ehe sie wieder zurück zu den Proben ins Volkstheater eilt.

„Diese wunderbare Burggasse 24“, sagt sie zum Abschied, „ist mit Sicherheit das Erste, das ich vermissen werde, wenn ich nach der Premiere wieder zurück in Berlin bin.“

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