Von Erwin Javor
Ich kenne einen Foxterrier, der, wenn man „sitz!“ zu ihm sagt, prinzipiell gedankenverloren herumschlurft. Minuten später und völlig unerwartet legt er sich dann nieder, aber nur dann, wenn man es nicht von ihm verlangt. Er ist mein unerreichtes Vorbild. Ich hätte so große Lust mich zum x-ten Mal über die undifferenzierte und zwanghafte Berichterstattung der internationalen Medien über Israel zu echauffieren. Ich würde auch furchtbar gern meinen Senf zu den Vorgängen im Jüdischen Museum dazugeben. Aber damit langweile ich nicht nur Sie, sondern sogar mich selber. Damit würde ich reflexartig Erwartungen erfüllen, ich bin aber lieber so wie mein Freund, der Foxl. Also habe ich mir diesmal ein ganz neues Thema vorgenommen. Diesmal schreibe ich zur Abwechslung über Israel.
Sie kennen ja vielleicht Carlo Strenger, den bekannten Schweizer-Israelischen Psychologen, Philosophen und Psychoanalytiker. Er ist für die liberale „Haaretz“ was Thomas Friedmann für die „New York Times“ ist. Seine Kommentare sind so kontroversiell, wie sie spannend sind.
Sprenger hat sich gefragt, warum die meisten Israelis im Gegensatz zum Rest der Welt davon überzeugt sind, dass für Ägypten und die anderen arabischen Staaten Demokratie eine Illusion ist, und zwar nicht nur wegen der wirtschaftlichen Lage, den Bildungssystemen oder dem dort praktizierten Umgang mit den Menschenrechten. Der Grund, warum Israelis sich nicht von ihrer Angst abwenden und zu hoffen beginnen können, liegt tiefer, meint er. Es hat damit zu tun, dass alle drei monotheistischen Weltreligionen aus dem Nahen Osten stammen und sich jahrhundertelang genau in diesem Gebiet miteinander konkurriert haben. Davor, in der Tradition des Polytheismus, war man noch flexibler. Man hatte ja viele Götter und konnte so auch mehrere Religionen nebeneinander dulden. Erst durch die Verkündung der absoluten Wahrheit, die jede der drei monotheistischen Religionen für sich gepachtet haben will, wurde dann Koexistenz illusorisch und von jahrhundertelangen blutigen Kriegen abgelöst.
Spätestens seit den 1970er-Jahren gibt es eine parallele Entwicklung der Fundamentalisten im Judentum, im Christentum und im Islam. Die meisten Prophezeiungen dieser Bewegungen haben sich natürlich nicht erfüllt. Weder ist Christus zurückgekehrt, noch hat Mahdi das Kalifat wiederhergestellt, noch ist Messias gekommen. Aber die, die daran glauben, werden weiterhin tief und unerschütterlich von ihrem Weg und vor der allein seligmachenden Wahrheit überzeugt und von weiterem Blutvergießen oder möglichen internationalen Konsequenzen völlig unberührt bleiben.
Leider gibt es überall in der Region nur Politiker, aber keine Staatsmänner, die wüssten, wie man diesen Irrationalitäten einen wirksamen Widerstand entgegensetzen könnte. Dadurch entsteht etwas noch Schlimmeres, nämlich das kollektive Gefühl bei allen: „Wir haben recht, alle anderen haben unrecht“. Sprenger bringt die Konsequenz dieser Emotion auf den Punkt, wenn er meint, dass die internationale Existenzberechtigung Israels nicht das Haus von David, der erste oder zweite Tempel wäre, sondern eine funktionierende Demokratie, die die Menschenrechte respektiert. Es wäre entweder Hebron oder Demokratie. Beides geht nicht. Damit hat Sprenger vollkommen Recht. Entweder wird sich der Großteil der israelischen Bevölkerung mit gesundem Menschenverstand durchsetzen oder Israel wird à la longue von außen dazu gezwungen werden. Schon jetzt gelten wir in den Augen vieler Kritiker als neuer Schurkenstaat. Die Gründer Israels von Herzl über Ahad Ha’am waren liberale Pragmatiker. Herzl war nicht fixiert auf heilige Orte, es ging ihm vor allem um ein geistiges Zentrum für Juden in Palästina.
Vielleicht sind wir alle paranoid. Aber leider sind die Shoah und Ahmedinejad gute Argumente, dass sich auch säkulare Juden Sorgen machen sollten.
Wie schon Woody Allen und andere kluge Juden festgestellt haben, ist die Tatsache, dass jemand paranoid ist, noch lange kein Beweis dafür, dass ihn nicht doch jemand umbringen will.