Als postkolonialer Diskurs maskierter Antisemitismus ist radikal schick. Den Beweis dafür liefert immer wieder die Wiener Akademie der bildenden Künste mit ihrer Einladungspolitik.
Von Andrea Schurian
Man gendert. Schreibt Asteriske. Spricht glottal plosive Pausen. Mobbt Lehrende so lange als transphob, bis sie, wie die britische Philosophieprofessorin Kathleen Stock, den Job hinschmeißen. Lädt Referenten wie die Biologin Marie-Luise Vollbrecht aus, die an der Berliner Humboldt-Universität unter dem Titel „Geschlecht ist nicht gleich (Ge)schlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ eigentlich eh nur biologisches Faktenwissen weitergeben wollte. Schreit die Feministin Alice Schwarzer als antimuslimische Rassistin nieder, so geschehen an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Nur bei Antisemitismus gibt es in der Kunst- und Wissenschaftsszene offenbar wenig Berührungsängste, wobei zeitgenössische Judenfeindlichkeit gern in der Maskerade des postkolonialen Diskurses daherkommt. Mit BDS zu sympathisieren, ist radikal schick. BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) ist das Gemeinschaftsregelwerk von 171 palästinensischen Organisationen, zahlreiche NGOs unterstützen die Absichtserklärung, Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu vernichten.
Zuletzt hat sich die Kasseler Weltkunstausstellung Documenta 15 mit einer ganzen Reihe judenfeindlicher Werke von Kunstkollektiven aus dem globalen Süden den wenig schmeichelhaften Beinamen „Antisemita“ (© Der Spiegel) redlich verdient. Nun werden die dafür verantwortlichen Vertreter des insgesamt fünfzigköpfigen indonesischen Kuratorenkollektivs Ruangrupa geradezu begeistert in der westlichen Kunstwelt weitergereicht, weil: ach so radikal! Unter anderem ist Ruangrupa in der aktuellen Gruppenausstellung Loving Others im Wiener Künstlerhaus vertreten, von der Hamburger Kunstuniversität wurden zwei von ihnen als Gastlektoren engagiert. „In der westlichen Welt ist der Antisemitismus rechts, ewiggestrig und modrig konnotiert, der Antizionismus hingegen gilt als links, verantwortungsbewusst, zeitbezogen“, schreibt die Politologin Barbara Serloth auf der Online-Plattform Mena-Watch, einem in Wien ansässigen Nahost-Thinktank. Und siehe da, die Wiener Akademie der bildenden Künste tritt mit ihrer Einladungspolitik regelmäßig den Wahrheitsbeweis für diese Diagnose an: Anfang Oktober durfte Ruangrupa zum Thema Post-Documenta: Wo stehen wir? laut über mangelnde Reife Europas für ihr kuratorisches Konzept nachdenken. Zu ihrem „Aktionstag Secessionsgarten“ wenige Wochen später lud die Akademie unter anderem auch den schwedischen Humanökologen und Umweltaktivisten Andreas Malm ein (und nach Protesten dankenswerterweise wieder aus), um „Überlegungen zu nachhaltigem Agieren, zivilem Ungehorsam und alternativen Formen der Aneignung von öffentlichen Räumen“ anzustellen. Friedliche Proteste findet Malm öde, er präferiert zur Klimarettung gezielte Sachbeschädigungen nach Terroristenart. Wie man sich das vorstellen darf, wird gerade in Museen weltweit gezeigt: Aktivisten und Aktivistinnen schütten Paradeissoße oder Erdäpfelpüree auf Meisterwerke. Bringt zwar keine Sympathiepunkte für die Klimabewegung, aber macht nichts. Und, ja, wäre sicher bombig geworden, wenn Malm Passagen aus seinem Buch vorgelesen und darüber informiert hätte, Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen. Als Inspirationsquelle für diese 2020 in Buchform gegossene Handlungsanleitung zu gewaltbereitem Widerstand dienen dem bekennenden Hamas-Aficionado, der Israel als „zionistische Entität“ ablehnt und jüdische Israelis konsequent als „Siedler“ bezeichnet, palästinensische Sabotageakte. Alter Schwede! Echt jetzt?
Zu den schärfsten Kritikern von Andreas Malm, der 2010 der trotzkistischen „Sozialistischen Partei“ seines Landes beitrat, zählt übrigens just die trotzkistische Alliance for Workers’ Liberty: Malm verfolge eine autoritäre Klimapolitik und kaschiere mit marxistischer Phraseologie eine durch und durch antidemokratische, arbeiterfeindliche Position: „Aber sein abscheulichster Fehler ist der Vorschlag, palästinensischen ‚Widerstand‘ vom Typ Hamas in die Klimapolitik zu importieren.“
Johan F. Hartle, seit 2019 Rektor der Akademie, sah das freilich diametral anders. Solche Diskurse seien „absolut notwendiger Bestandteil einer dringend notwendigen Debatte zur Klimakrise, deren Folgeschäden nur wenige so drastisch beschreiben wie Malm“, schreibt er in einem Standard-Gastkommentar: „Wer sich wissenschaftliche und politische Debatten wünscht, in denen es keine Ambivalenz und keine Fehler gibt, wünscht sich in Wahrheit keine Debatten… Wir haben in den Universitäten die Möglichkeit, kritisch hinzuschauen, zu kommentieren und zu rahmen. In dieser Situation rahmen wir bewusst und stellen zur Diskussion – vor allem das, was gesagt wird.“
Ja dann! Könnte ja nächstes Mal eh auch ein rechtsradikaler Holocaustleugner kunstakademisch gerahmt werden. Er muss halt nur scharf genug vor Erderwärmung und Klimakollaps warnen.