Das Ehepaar Irene und Paul Hellmann gehörte rund um den Ersten Weltkrieg nicht nur zu den wichtigsten Kunstmäzenen Österreichs, sondern unterstützte auch wesentlich die Salzburger Festspiele. Das tragische Schicksal der Familie im Nationalsozialismus löschte die Erinnerung an sie fast völlig aus.
Es gibt vermutlich nicht allzu viele Österreicher, denen die Namen Irene und Paul Hellmann etwas sagen. Das Ehepaar ist zwar einigen Restitutionsexpertinnen und -experten bekannt; womöglich weiß der eine oder andere Literaturhistoriker vom Briefwechsel zwischen den Hellmanns und Hugo von Hofmannsthal; und Musikkennerinnen erinnern sich vielleicht daran, dass ein bekanntes Lied von Richard Strauss (Schlechtes Wetter, Opus 69, Nr. 5) Irene Hellmann zugeeignet ist. Aber aus dem kollektiven Gedächtnis der Kulturnation ist diese Familie weitgehend verschwunden – so wie es etwa auch die Ephrussis oder die Gallias waren, ehe Edmund de Waal und Tim Bonyhady diese Familiengeschichten aufschrieben und sie aus der Vergessenheit zurückholten.
Dabei war die Familie Hellmann eine jener jüdischen Familien Wiens, die sowohl ideell als auch materiell maßgeblich dazu beitrugen, dass Österreichs Kunst und Kultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre beste Zeit hatten. Das vielfältige Engagement des Ehepaars schloss auch die Salzburger Festspiele mit ein, in deren Frühgeschichte die Hellmanns eine wesentliche Rolle spielten, die dennoch jahrzehntelang vergessen wurde und ungewürdigt blieb.
Klavierauszüge im Salon
Der 1876 geborene Paul Hellmann und seine um sechs Jahre jüngere Frau Irene, eine geborene Redlich, entstammten beide jüdischen Industriellenfamilien und waren idealtypische Vertreter des kunst-, literatur- und musikbegeisterten Großbürgertums um 1900. Das äußerte sich unter anderem darin, dass die Eheleute, ab 1901 verheiratet, enge Kontakte und Freundschaften mit Schriftstellern wie Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal, Jakob Wassermann oder Arthur Schnitzler sowie zu Musikern wie Gustav Mahler, Richard Strauss oder Egon Wellesz hatten, um nur die prominenteren zu nennen.
Gustav Mahler nützte das Anwesen der Redlichs in Göding (heute Hodonice in Tschechien) zum Komponieren. Dort arbeitete er unter anderem an seinem letzten großen Werk Das Lied von der Erde, das angeblich in Klavierauszügen im Wiener Salon der Hellmanns zur Uraufführung kam. In der repräsentativen Wohnung in unmittelbarer Nähe der Votivkirche fanden regelmäßig Dichterlesungen und Hausmusikabende statt, an denen Paul Hellmann selbst aktiv mitwirkte: Der vermögende Textilfabrikant war ein exzellenter Geiger, besaß drei besonders kostbare Stradivaris und unterstützte unter anderem auch seinen Lehrer, den Geigenvirtuosen Adolf Busch.
In der Wohnung in der Günthergasse 1 wurde Franz Strauss, dem Sohn des Komponisten Richard Strauss, „liebevolle Pflege“ zuteil, und er blieb 1918 „mit viel Cognac von einer Grippe verschont“, wie sich der Pflegling noch Jahrzehnte später erinnerte. 1918 war auch das Jahr, in dem Richard Strauss die Heinrich-Heine-Vertonung Schlechtes Wetter Irene Hellmann widmete. Der Komponist war aber auch immer wieder Gast in der Sommerresidenz der Familie in Altaussee, wie auch auf etlichen Fotografien dokumentiert ist.
Fotograf im Direktorium
Zur Vernetzung der Hellmanns mit Kulturschaffenden um 1900 trugen einige Verwandte bei, wie Irenes Bruder Josef Redlich, renommierter Jurist und zweifacher kurzzeitiger Finanzminister. Paul Hellmanns Onkel Isidor Singer wiederum war Mitgründer der Zeit, der wichtigsten Literatur- und Kulturzeitschrift in Wien um 1900, deren Redaktion sich ebenfalls in der Günthergasse 1 befand. Paul Hellmanns Schwager war Fritz Waerndorfer, der Mitbegründer und Finanzier der Wiener Werkstätte, in die auch Paul Hellmann viel Geld investierte.
Die Kontakte der Hellmanns zu Hugo von Hofmannsthal waren besonders eng. Das ist nicht zuletzt durch insgesamt 67 Schreiben an Irene und Paul Hellmann dokumentiert. Anfang Dezember 1919 war Paul Hellmann einer der ersten Adressaten von Hofmannsthals Programmschrift Die Salzburger Festspiele. Im Begleitbrief verlangte es den Dichter, mit dem Mäzen „über die Organisation dieser Salzburger Sache zu sprechen“. Am 21. August 1920 wurde Hellmann dann auf Initiative von Emil Ronsberger bei der dritten Generalversammlung in das Direktorium der Salzburger Festspielhausgemeinde gewählt.
Davon zeugt unter anderem eine Fotografie des 14-köpfigen Gremiums sowie der Briefnachlass Paul Hellmanns im Archiv der Salzburger Festspiele. Dort sind noch einige weitere Aufnahmen Hellmanns erhalten: Der Industrielle war nämlich auch begeisterter Amateurfotograf und fertigte zahlreiche Porträts von Protagonisten der Salzburger Festspiele an. Die Fotos – unter anderem von Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss – wurden immer wieder gern im Zusammenhang mit den Festspielen abgedruckt.
Die Hellmanns wurden in den ersten Jahren der Festspiele durch Hofmannsthal immer wieder über dessen Pläne informiert und sollten Kontakte zu wichtigen Unterstützern und Finanziers herstellen. Zugleich fungierte Paul Hellmann als Geldgeber für die Festspiele und als eine Art Vermögensberater für Hugo von Hofmannsthal, den er bei der Verwaltung seines Aktiendepots unterstützte. Als es aufgrund des Bruchs zwischen der Wiener und der Salzburger Sektion der Festspielhausgemeinde zu deren Neukonstituierung in Salzburg kam, schied Hellmann Ende 1924 wegen seiner Solidarität mit der Wiener Sektion aus.
Flucht und Ende
Etwa um diese Zeit begann auch der langsame finanzielle Abstieg der Familie, die der Kunst- und Kulturszene dennoch verbunden blieb. Während Sohn Bernhard, der beste Freund des Verhaltensforschers Konrad Lorenz, Anfang der 1930er Jahre in die Niederlande auswanderte und Tochter Ilse, die Psychologie studierte, noch rechtzeitig nach England emigrieren konnte, harrten die Hellmanns nach dem „Anschluss“ in Wien aus. Paul Hellmann starb am 9. Dezember 1938, seine Witwe verließ ihre Heimatstadt Anfang 1939. Sie zog allerdings nicht zu ihrer Tochter nach London, sondern fatalerweise zu ihrem Sohn Bernhard nach Rotterdam.
Nach der Besetzung der Niederlande durch die Nationalsozialisten im Mai 1940 waren die beiden im Land gefangen, und es dauerte nicht lange, bis sie sich vor den Machthabern verstecken mussten. Bernhard wurde im Frühjahr 1943 verraten, ins Vernichtungslager Sobibor deportiert und dort und am 2. April 1943 noch vor seinem 40. Geburtstag ermordet. Das Ende seiner Mutter Irene war nicht weniger tragisch: Sie wurde Anfang Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und am 6. Mai, am Tag ihrer Ankunft, getötet.
Bernhard Hellmanns einziger Sohn Paul, der 1935 in Rotterdam geboren wurde, hat dank einiger glücklicher Zufälle die NS-Zeit überlebt. Der niederländische Kulturjournalist hat in den vergangenen Jahren drei Bücher über die tragische Geschichte seiner Familie verfasst. Das jüngste handelt von seiner Großmutter Irene. Alle drei Bücher sind bis heute nicht ins Deutsche übersetzt.