Ein jüdischer Hochzeitsfilmer verliebt sich in eine Klezmer-Musikerin. „The Klezmer Project“ ist Dokumentation und Spielfilm, Roadmovie und kulturwissenschaftliche Schnitzeljagd.
Von Gabriele Flossmann
Vielleicht lässt sich The Klezmer Project am besten als kleines Wunder beschreiben, das durch das frische Talent seiner Autoren und Regisseure Paloma Schachmann und Leandro Koch geschaffen wurde. Es ist gleichzeitig eine fesselnde Reise durch Zeit, Raum und die Seelen seiner Protagonisten, eine Dokumentation über Klezmer-Musik und ein hochpolitischer Film, der den aktuellen Zustand jüdischen Kulturerbes hinterfragt. Dazu angeregt wurden die Filmemacher durch ihren Landsmann Giora Feidman, einen der bedeutendsten Klezmer-Musiker unserer Zeit. „A freylekhs shtikele“ – ein fröhliches Stückchen – sagt man auf Jiddisch zu dem von ihm besonders hingebungsvoll musizierten Freilach, einem Tanz im 2/4-Takt.
Ihre Recherchen führten Koch und Schachmann in die Ukraine, nach Rumänien und Moldau. Auf der Suche nach Menschen, die noch die alten Klezmer-Melodien kennen und spielen können, klopften sie an Türen, besuchten Feste, sprachen mit den Menschen über den Gartenzaun.
Viele verschiedene Erzählstränge verweben sich zu diesem zum Nachdenken anregenden, herzlichen, witzigen und unterhaltsamen Film. Als Haupthandlungsstrang dient eine fiktive Version der realen Beziehung des Regieduos: Leandro, ein junger Filmemacher, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, jüdische Hochzeiten in Buenos Aires zu filmen, verliebt sich in Paloma, eine schöne, talentierte Klarinettistin, die bei jüdischen Hochzeiten in einer Klezmer-Band spielt. Um das Interesse des Mädchens aufrechtzuerhalten und ihre Beziehung zu festigen, schließt sich Leandro, der zunächst sein Interesse an diesem Thema vortäuscht, ihrem Projekt an: einen Dokumentarfilm über Klezmer-Musik zu drehen, die traditionelle und langsam aussterbende Instrumentalmusik der aschkenasischen Juden Mittel- und Osteuropas.
Eine zweite Erzählebene liefert eine Off-Screen-Frauenstimme, die Jiddisch spricht und behauptet, der Teufel selbst zu sein. Diese Stimme erzählt eine faszinierende, Anfang des 20. Jahrhunderts datierende Geschichte über ein anderes Paar, den Totengräber Yankel und die schöne Tochter des Rabbiners Taibele. Sowohl der Teufel als auch der jüdische Philosoph Baruch Spinoza sind stark in ihre Romanze verwickelt.
Mehr und mehr vermischen sich im Klezmer Project die fiktionalen Elemente mit wahren Begebenheiten: Als die Klarinettistin Paloma zu einem Gastspiel nach Österreich eingeladen wird, lernt Leandro einen österreichischen Filmproduzenten kennen, der bereit ist, den musikalischen Roadtrip quer durch den Osten Europas zu finanzieren.
NU: Wie würden Sie als Musikerin und Mitglied einer Klezmer-Band die Besonderheit dieser jiddischen Musik beschreiben?
Paloma Schachmann: Ich bin durch die Klarinette auf die Klezmer-Musik gekommen. Denn von Anfang an war mir klar, dass die besonderen Klänge, die man damit erzeugen kann, für eine ganz individuelle Art von Musik stehen. Das Instrument ist eng mit der jüdischen Kultur verbunden. Für mich ist diese Musik eine Mischung aus Trauer, Liebe und Bewegung. Sie ist voller Süße und Seufzern. Trauriges klingt in dieser Musik viel trauriger, Lebenslustiges viel lebenslustiger – und mittelmäßige Gefühle sind darin streng verboten (lacht). Klezmer ist auch für mich als Musikerin ein Wechselbad der Gefühle. Eine Streicheleinheit mit Gänsehaut-Atmosphäre. Kaum eine Musik steht mehr für emotionsgeladene und kraftvolle Hingabe an die Höhen und Tiefen eines ganzen Lebens als Klezmer und jiddische Lieder. Beim Spielen wie auch beim Zuhören ist man auf einer ständigen Gratwanderung zwischen Lebensfreude, Melancholie und Sinnlichkeit. Wenn ich Klezmer beschreiben soll, dann kommen mir die Worte wild, zärtlich, verrückt, funky, frech, witzig, sphärisch in den Sinn. Man kann sie auch mit einem Wort beschreiben: Meschugge.
Wie sind Sie als Filmemacher auf die Klezmer-Musik gekommen?
Leandro Koch: Vor diesem Film habe ich nichts darüber gewusst. Und eigentlich war es Paloma, die mich darauf gebracht hat, eine Doku über Klezmer-Musik zu machen. Die uninteressierten, oft auch ziemlich dummen Fragen, die ich in unserem Film über die jüdische Kultur und Musik stelle, waren leider echt. Ich wollte nur einen Film gemeinsam mit Paloma mache, das war das Einzige, das ich wusste. Egal über welches Thema.
Wie weit ist die Reise des Klezmer-Projekts eine Suche nach der eigenen Identität, nach Erinnerungen und verlorenen Spuren der eigenen Vorfahren?
Leandro Koch: Bei der Recherche entdeckten wir, dass Klezmer wie eine kleine Tür war, die zu einer riesigen Welt führt, einer riesigen Kultur, der jiddischen Kultur, die in Vergessenheit geraten und von der nur Klezmer übriggeblieben ist. Wir wunderten uns. Natürlich denken wir alle, dass der Hauptgrund dafür der Holocaust war, nicht wahr? Den von uns gefundenen Statistiken zufolge wurden durch den Holocaust zwei Drittel der in Osteuropa lebenden Juden getötet. Aber was geschah mit dem überlebenden Drittel, und wohin ging ihr Jiddisch? Was ist genau passiert? Das war der Ausgangspunkt der eigentlichen Suche. Dieser ganze Prozess hatte einen starken Einfluss auf mein Privatleben, da ich in der jüdischen Gemeinde von Buenos Aires aufgewachsen bin, mich aber nie mit ihr verbunden gefühlt habe.
Wie waren Ihre Erfahrungen und Erlebnisse während der Dreharbeiten? Welche Erkenntnisse ergaben sich daraus für Ihre eigene Identität?
Paloma Schachmann: Die jüdische Gemeinde von Buenos Aires besteht aus Menschen aus verschiedenen Ländern Europas. Es ist wichtig, zwischen Institutionen und Menschen zu unterscheiden, aber im Allgemeinen haben Menschen, die sich mit der jüdischen Gemeinde in Buenos Aires identifizieren, eine bestimmte Denkweise über eine bestimmte politische Haltung und eine allgemeine Einstellung, die ich als „endogam“ bezeichnen würde. Eine gesellschaftspolitische Gegebenheit, die daraus erfolgt, dass die Menschen immer nur innerhalb „ihrer“ Gruppe heirateten und sich fortpflanzten. Für mich persönlich war es wichtig, einmal beide Seiten dieser Medaille zu sehen. Und es war auch interessant und bewegend, die jüdische Musik, die ich kannte, von Roma und Sinti interpretiert zu bekommen.
Sie sagten, dass Sie vor ihrem Treffen mit Paloma nichts oder zumindest nur wenig über die Klezmer-Musik wussten. Welche Eindrücke von der jüdischen Kultur wurden Ihnen vermittelt?
Leandro Koch: Mein Großvater erzählte mir immer viele Geschichten über das Judentum sowohl in seiner Heimat als auch in Buenos Aires, als die ersten Migranten ankamen. Als ich mir diese Geschichten anhörte und sie mit meinen eigenen Erfahrungen in der jüdischen Gemeinde von Buenos Aires verglich, hatte ich den Eindruck, dass im Laufe der Jahre eine bedeutende Veränderung stattgefunden hatte. Kulturen verschwinden nicht von allein. Sie werden auf natürliche Weise von Generation zu Generation weitergegeben, es sei denn, es gibt den konkreten Wunsch, ihnen ein Ende zu setzen. Meiner Meinung nach liegt der Grund dafür in der Gründung des Staates Israel, der eine neue Kultur hervorbrachte: die israelische Kultur. Dies hatte nicht nur tiefgreifende Auswirkungen auf den Staat Israel selbst, sondern auch auf die Juden der Diaspora. In den jüdischen Schulen in Buenos Aires lernte man nicht mehr Jiddisch, sondern Hebräisch, was die Identität der Menschen und die Wahrnehmung ihrer eigenen Kultur drastisch veränderte.
Haben Sie die Absicht, ihre musikalische Spurensuche fortzusetzen und noch weitere Filme zu diesem Thema zu machen?
Paloma Schachmann: Durchaus! Aber ich möchte darüber keinesfalls meine Musik vernachlässigen.
Leandro Koch: Ich möchte gerne noch viele Filme mit Paloma machen (lacht). Aber wenn Sie damit meinen, dass ich Filme drehen soll, um Antworten auf alle Fragen über das Wesen der jüdischen Kultur zu suchen, die Klezmer Project offengelassen hat, dann muss ich doppelt so alt werden wie Manoel De Oliveira. Der wurde 106 Jahre alt und hat mit 103 seinen letzten Film gedreht.
„The Klezmer Project“ startet am 26. Jänner 2024
in den österreichischen Kinos.