Strenge Regeln in Wiens Mikwen

Drei Gruppen sind es, die heute für gewöhnlich eine Mikwe aufsuchen, um sich in diesem Bad zu reinigen: Frauen am Vorabend der Hochzeit und verheiratete Frauen nach der Geburt eines Kindes sowie der monatlichen Blutung, sehr gläubige Männer am Freitag vor dem Schabbat oder am Vorabend von Kippur und schließlich drittens Menschen, die sich zum Judentum bekehren. In Wien ist das anders. Denn keine der Mikwen öffnet ihre Türe für Giurim, also Übertritte.
Von Alexia Weiss

Zuletzt mussten die Betroffenen nach Budapest fahren, um dort in die Mikwe zu gehen. Das löste unter manchen Gemeindemitgliedern Erstaunen aus – ist es doch bekannt, dass die Mikwen (bzw. deren Betreiber) teils auch Subventionen aus den Mitteln der Kultusgemeinde erhalten. Vor allem die Agudat Israel erhält hohe Subventionen – und führt dafür religiöse Handlungen durch, wie eben Mikwenbetreuung oder die Aufsicht über das koschere Schlachten. Die Kultusgemeinde solle nur weiter Mittel vergeben, wenn alle religiösen Handlungen – also auch Übertritte – in Wien möglich sind, so die Kritiker des Status quo. Andernfalls wäre zu überlegen, diese Förderungen zu kürzen und eine von der Kultusgemeinde betriebene Mikwe einzurichten.

NU hat dazu mit Robert Liska gesprochen. Liska sitzt derzeit für die Khal Israel im Kultusrat. Ein Subverein dieser Fraktion ist die Agudat Israel, die die so genannte „Teichmann-Mikwe“ in der Tempelgasse betreibt.

Die „Teichmann-Mikwe“, benannt nach Kalman Teichmann, der den Bau bei der Renovierung des Synagogengebäudes vor etwas mehr als zwanzig Jahren zum Großteil finanzierte, ist eine der beiden Wiener Mikwen, die auch Frauen offen steht. Die zweite befindet sich am Fleischmarkt. Wer nicht weiß, wonach er sucht, wird sie nicht finden. Nur das Wörtchen Bad auf einer Gegensprechanlage weist Eingeweihten den Weg. Männern steht darüber hinaus eine weitere Handvoll an Bädern offen. Gemein ist ihnen allen: Geführt werden sie von orthodoxen Vereinen bzw. Gemeinden. Hier liegt auch der Grund, warum Giurim in diesen Bädern nicht stattfinden.

Wobei Liska betont: Dahinter stecke „kein großes Mysterium“ – und: „Die Geschichte ist so alt wie Methusalem.“ Ihren Anfang nahm sie in den sechziger Jahren, als russische Juden in Scharen in Wien Zwischenstation auf ihrem Weg nach Israel machten. Niemand wusste, wer von diesen Menschen tatsächlich – gemäß Halacha – Jude war und wer nicht, so Liska. Also bat die Jewish Agency, dass man in Wien Übertritte quasi im Schnellverfahren durchführt.

In Israel sei das dann besonders in orthodoxen Kreisen stark kritisiert worden „und die Wiener Übertritte sind in Verruf gekommen“. Man habe gesagt, das seien keine Übertritte gewesen, „sondern nur eine Pro-forma-Sache“. „Deshalb ist man heute in Wien sehr genau, passt noch genauer auf als anderswo.“

In Österreich gibt es kein Rabbinatsgericht. Daher führe zum Beispiel David Grünfeld, der Rabbiner der Aguda, auch keine Scheidungen durch, sondern schicke die Betroffenen ins Ausland, wo es entsprechende Rabbinatskollegien gebe. Für eine Scheidung brauche man ein wirklich hundertprozentig anerkanntes Rabbinat und nicht nur einen Rabbiner, betont Liska. Denn sollte die Scheidung angezweifelt werden, gebe es im Fall der Wiederverheiratung der Frau für die Kinder aus dieser Ehe „ein ungeheures Problem“. Ähnliches gelte für Übertritte.

In den hiesigen Mikwen keine Giurim zuzulassen bedeute „einer Sache keinen Vorschub zu leisten, die nachher den Betroffenen Probleme bereitet“, betont Liska. Grünfeld könne in der Teichmann-Mikwe einfach keinen Übertritt zulassen. „Er kann es nicht auf sich nehmen, dass es dann heißt, in einer Mikwe, die unter seiner Aufsicht steht, wurde ein Giur durchgeführt.“ „Und der Oberrabbiner versteht das auch“, ist Liska überzeugt.

Gerade deshalb versuche Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg andere Wege zu finden. „Er schaut drauf, dass das ordentlich gemacht wird.“ Budapest beispielsweise sei eine Gemeinde von 80.000 Juden. Das eröffne andere Möglichkeiten als in Wien, wo die Gemeinde 6.500 Mitglieder zähle.

Dass die Aguda von der Kultusgemeinde Mittel erhält, um u. a. das koschere Restaurant zu beaufsichtigen oder das Bad zu betreiben , bestätigt Liska. Er bestätigt auch, dass die Mittel durchaus nicht nur Peanuts seien – hält allerdings fest: Die Gesamtkosten der Aguda würden bei weitem nicht abgedeckt. Ohne die Beiträge der einigen hundert Mitglieder würde man nicht das Auslangen finden.

 

„Zum großen Jordan“

Die ersten Mikwen bestanden in Wien bereits im Mittelalter. Das Haus „Zum großen Jordan“ am Judenplatz 2 wurde etwa im Jahre 1520 an der Stelle erbaut, an der sich die Mikwe des ersten Wiener Ghettos befand, das im 13. Jahrhundert unter dem Druck der Bürgerschaft errichtet wurde. Eine andere befand sich in der Kleeblattgasse.

„Die Mikwe der Agudat Israel befindet sich im Keller des Hauses der Tempelgasse 3 … Das „lebendige“ Wasser dieser Mikwe ist Regenwasser, das über Fallrohre, die vom Hausdach in den Keller führen, in das Tauchbecken bzw. einen Tank geleitet wird. In der Tempelgasse 5, dem angrenzenden Grundstück, befand sich bis zur „Reichskristallnacht“ ein großer Tempel, der 1835 bis 1858 nach Plänen von L. V. Förster als Ziegelrohbau in arabischen Formen errichtet wurde.“ (Nachzulesen in: Berndt Anwander: „Unterirdisches Wien. Ein Führer in den Untergrund Wiens. Die Katakomben, der Dritte Mann und vieles mehr“, 2. Auflage, Wien 2000, Falter Verlag)

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