Ob Superman, Captain America oder Batman – viele der populären US-Comichelden haben jüdische Väter. Oft waren es Immigranten, die in ihrer neuen Heimat als Geschichtenerzähler oder Zeichner reüssierten.
Von René Wachtel
Die Geschichte der Comics ist auch eine Geschichte der jüdischen Integration vor allem in den Vereinigten Staaten und damit ihrer Heimstätte. Ende des 19. Jahrhunderts stritten die Familien Hearst und Pulitzer erbittert um die Vorherrschaft am US-Zeitungsmarkt. Die beiden Zeitungsgiganten suchten nach immer neuen Möglichkeiten, um Leser anzusprechen, vor allem die vielen Immigranten aus Europa, die noch Schwierigkeiten mit der englischen Sprache hatten.
So begann Joseph Pulitzer im Jahr 1889, für die New York World eine erste Wochenend-Unterhaltungsbeilage mit Cartoons zu drucken. Sechs Jahre später erschien schließlich The Yellow Kid von Richard Felton Outcault: Der erste Comicstrip, der von einem Buben mit irischen Wurzeln in den Armenvierteln von New York erzählt, war von Anfang an ein voller Erfolg und soll die New York World zur meistverkauften Zeitung des Landes gemacht haben. Wohl auch deshalb hält sich die Legende hartnäckig, dass es dieser Comictitel war, der als Namensgeber für den Begriff „Yellow Press“ diente.
The Yellow Kid hatte alles, was auch heute noch sehr oft einen Comic ausmacht: Sprechblasen, Bildfolgen, die mit einem Gag abgeschlossen werden, pro Leiste vier bis fünf Einzelbilder. Später erschienen in den Tageszeitungen täglich Comicstrips, vielfach als Fortsetzungsgeschichten – ein so einfaches wie durchschaubares Mittel, die Leser an die Zeitung zu binden. Neben The Yellow Kid waren das in den Anfangsjahren Die Katzenjammer Kids des deutschstämmigen Zeichners Rudolph Dirks, von Hearst als Konkurrenz in Auftrag gegeben, sowie Little Nemo (1905–1911) von Winsor McCay.
Die Bildgeschichten fanden großen Anklang, vor allem bei europäischen Immigranten; etliche wurden sogar, in den diversen Sprachen der Einwanderer, vermischt mit Englisch, erzählt. In den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts gab es auch jüdische Cartoons, etwa über den jüdischen Autoverkäufer Abie the Agent, erdacht und umgesetzt von Harry Hershfield. In der jiddischen Tageszeitung Wahrheit erschien Gimpl Beinisch, die Geschichte des alternden Schadchens in New York zählte zu den sogenannten „Funnies“: Sie persiflierte das Leben aus dem Schtetl eingewanderter Juden, die sich plötzlich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zurechtfinden müssen. Der Außenseiter und Loser als Held, auch das ist bis heute ein Merkmal der Comics.
Geburtsstunde der Helden
Nach dem Ersten Weltkrieg traten die ersten Comichefte ihren Siegeszug auch in Europa an und man begann, längere Geschichten zu entwickeln. 1929 eroberten Abenteuercomics wie Tarzan und Prinz Eisenherz den Markt, ein paar Jahre später kam mit Alex Raimonds Flash Gordon die erste Sciencefiction-Comicreihe dazu. Doch viele Zeichner und Storyteller fanden in den USA der Dreißigerjahre keine Jobs in angesagten Verlagen und Werbeunternehmen, weil sie jüdisch waren. Nur „drittklassige“ Comicverlage, auf die andere Verleger herabsahen, interessierten sich für die Arbeiten und Konzepte der Migranten. 1939 wurde in New York der Verlag Marvel Comics gegründet, der zu einem der weltweit größten des Genres aufsteigen und 2009 von Disney übernommen werden sollte. Viele der Erfolgscomics wie Spider-Man, The Fantastic Four, The Avengers, Hulk, Daredevil, Captain America, Iron Man oder X-Men, die erfolgreichste amerikanische Comicserie der Neunzigerjahre, wurden für das Kino adaptiert und lösten eine Superheldenwelle auf der Leinwand aus.
Als Geburtsstunde der Superhelden und des Goldenen Comiczeitalters gilt jedoch 1938, als am Vorabend des Zweiten Weltkriegs die Comics ihr Schmuddelimage verloren und Joe Shuster (geboren 1914 in Toronto) und Jerry Siegel (geboren 1914 in Ohio) mit Superman einen der bis heute populärsten Helden seiner Art schufen. Siegels Eltern waren litauisch-jüdische Einwanderer, auch Shusters Eltern kamen aus Europa. Die meisten Väter der Comichelden waren, wie Shuster und Siegel, Juden der zweiten Einwanderergeneration.
Im Krieg gegen die Nazis
Als die beiden jüdischen Verleger Harry Donenfeld und Jack Liebowitz auf ihrer Suche nach lizenzfreier Comicware waren – sie hatten pornografische Hefte publiziert, bis New Yorks katholischer Bürgermeister Fiorello La Guardia diese „Schundblätter“ verbieten wollte –, dauerte es nicht lange, bis sie auf Superman stießen. Donenfeld und Liebowitz fanden diese Heldenfigur zunächst zwar einigermaßen merkwürdig, doch weil sie schnellstmöglich mit dem neuen Business durchstarten wollten, suchten sie die Zusammenarbeit mit Shuster und Siegel. Diese waren zwar auch nicht gerade angetan vom Angebot, nahmen es aber an, da sie vorher nur Absagen kassiert hatten. Der Vertrag besagte, dass es sich um eine Auftragsarbeit handelte und alle Rechte an den Verlag gingen. Schon das erste Superman-Heft wurde zum Verkaufshit, die Erstauflage von 200.000 Stück war binnen Tagen ausverkauft.
Viele der Figuren, die Superman folgten, hatten jüdische Erfinder: Robert Kahn alias Bob Kane (geb. Robert Kahn, 1915–1998) entwickelte Batman, Stanley Lieber alias Stan Lee (1922–2018) The Fantastic Four und Spider-Man. Noch bevor die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, erklärten jüdische Comicautoren Hitler und Nazi-Deutschland den Krieg. Jack Kirby, 1917 als Jacob Kurzberg in New York geboren, ließ 1940 seinen Captain America auf dem ersten Titelblatt des gleichnamigen Comics gleich einmal Adolf Hitler besiegen. Ebenfalls 1940 wird Hitler in How Superman Would End the War vor das Weltgericht gestellt. „Ich würde dir gern einen eindeutig nichtarischen Faustschlag versetzen!“, so der US-Held. Mit dem Hinweis, dass Superman ein Jude sei, untersagte daraufhin Josef Goebbels die Veröffentlichung in Deutschland. Ein Jahr später traten die USA in den Zweiten Weltkrieg ein.
Künstlerischer Anspruch
Etliche der Figuren tragen biblische Züge. Superman selbst heißt eigentlich Kal-El („Stimme Gottes“). Er versucht, sein Volk vom Planeten Krypton zu retten, überlebt aber als einziger dessen Zerstörung, kommt auf die Erde und rettet die Menschheit. The Hulk wiederum, ein Marvel-Comic von Stan Lee und Jack Kirby, erinnert an den Golem. Ebenfalls bei Marvel erschienen Stan Lees und Jack Kirbys X-Men; eine der Figuren, Magneto, hat eine jüdische Vergangenheit: Man sieht ihn im Warschauer Ghetto oder bei der Flucht aus dem Vernichtungslager Auschwitz. Gemeinsam ist all diesen Superhelden, dass sie anders sind als die Gesellschaft, teilweise angefeindet und ausgegrenzt werden. Doch immer wieder retten sie – mit wenigen Ausnahmen – die Welt vor dem Bösen.
Will Eisner, dessen Vater aus Österreich-Ungarn stammte, schuf in den 1940ern mit The Spirit eine Mischung aus Krimi, Liebesgeschichte, Horror, Mystery, Drama und Komödie. Die gestalterischen Mittel und die Ästhetik – Perspektiven, Licht-Schatten – waren stark vom Kino inspiriert. 1978 schrieb und zeichnete Eisner das Buch Ein Vertrag mit Gott, vier Stories über jüdische Bewohner eines US-Mietshauses, und kreierte dafür die Bezeichnung Graphic Novel – einen Begriff, der für künftige Comics einen künstlerischen Anspruch reklamierte. Art Spiegelmans Maus – Die Geschichte eines Überlebenden, in der er die Geschichte seines Vaters während des Holocaust erzählt, sollte als erste Graphic Novel mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet werden.