„Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler“, wusste bereits Robert Musil. Die Denkmalstürze in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien, ausgelöst durch die Black-Lives-Matter-Bewegung, sorgen auch in Wien erneut für eine Diskussion über die Statue von Wiens antisemtischem Bürgermeister Karl Lueger, der von 1897 bis 1910 die Stadt regierte. Nach der Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings in Universitätsring und den bereits angedachten Umgestaltungsversuchen fordert nun eine Petition der jüdischen österreichischen HochschülerInnen den Abriss des Lueger-Denkmals. Pro und Kontra zweier junger Wiener Juden.
Falsche Glorifizierung
Von Noah Scheer
Antisemitismus in Österreich ist ein jahrhundertealtes Problem. Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde er jedoch maßgeblich verändert – und der Grundstein für das schrecklichste Jahrhundert in der jüdischen Geschichte gelegt. Karl Lueger war einer der Pioniere des politischen Antisemitismus und eines der Vorbilder Adolf Hitlers. Ein Mann mit seinen Ideologien darf nicht mitten im Wien des 21. Jahrhunderts glorifiziert werden. Auch heute müssen wir immer noch gegen Antisemitismus kämpfen; ein wichtiger Teil davon ist es, mit der Geschichte aufzuräumen und Licht auf Schatten zu werfen.
Der öffentliche Raum, den jede Gesellschaft mitgestalten können muss, ist ein wichtiger Bestandteil der Lebensrealität aller Menschen. Das Denkmal von Karl Lueger steht mitten im ersten Wiener Gemeindebezirk. Es ist notwendig, das Denkmal einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des österreichischen Antisemitismus zu unterziehen. Der Wille, den Status quo zu verändern, und eine öffentliche Ausschreibung für die Gestaltung des Ortes wären die erforderlichen ersten Schritte.
Es ist wichtig, dass die Stadt ihre Geschichte erzählt, doch Wien hat sehr viel mehr zu bieten als antisemitische Bürgermeister. Es ist ein Akt der Notwendigkeit und Dringlichkeit, mehr Straßennamen und Denkmäler denen zu widmen, die bisher vergessen wurden. So könnte ein Denkmal für Widerstandskämpfer und -kämpferinnen am Lueger-Platz stehen. Durch Veränderung könnte somit ein Ort der vielfältigen und komplexen Geschichte Wiens geschaffen werden.
Mahnmal statt Denkmal
Von Mark E. Napadenski
Denkmäler als zeitgeschichtliche Relikte verraten natürlich nicht nur etwas über die Person, der zu Ehren die Statue errichtet wurde. Sie sagen sehr viel aus über den historischen Kontext und über die Gesellschaft, in der sie entstanden sind. Das gilt auch für die umstrittene Lueger-Statue. Als Wiener Bürgermeister warnte er vor der „Verjudung“ der Universitäten und vertrat unleugbar antisemitische Positionen. Die Statue zeigt dennoch auf, wie beliebt er war und welche Bedeutung ihm in der Zeit der Entstehung zugeschrieben wurde. Diese Tatsache ist – leider – ein integraler Bestandteil der weit über die NS-Zeit zurückreichenden Geschichte des Antisemitismus in Österreich. Das Denkmal erinnert – auch – an das Ausmaß von Luegers diskriminierender Politik, nicht zuletzt deshalb darf dieser Schandfleck der österreichischen Geschichte nicht einfach verschwinden. Es wurden bereits zu Recht repräsentative Orte umbenannt, Statuen verstellt und auch abgerissen. Aber nicht jedes Relikt soll aus dem öffentlichen Raum entfernt und dadurch unsichtbar gemacht werden. Jede Erinnerung an die Täter und Täterinnen in ein Museum zu stellen, widerspricht der Forderung einer kritischen Auseinandersetzung mit der Thematik in einer breiten Öffentlichkeit.
Weniger als Denkmal, sondern eher als Mahnmal betrachtet, sollte der Ort, an dem die Statue momentan steht, dafür genutzt werden, Geschichte nicht schönzuschreiben, sondern aufzuzeigen. Es geht um das Sichtbarmachen einer Entwicklung, welche die Stadt vollzogen hat.
Noch fehlt diese Form der Auseinandersetzung! Es gibt wohl eine kleine Tafel, die allerdings schwer zu entdecken ist und auch nur wenig Einblick in Luegers Politik und die Historie von Statue und Stadt gibt. Es braucht bessere Konzepte, Interventionen, kreative und wissenschaftliche Ansätze, um diesen Ort zu einem Platz des Diskurses umzufunktionieren. Antisemitismus und Rassismus gibt es in Österreich auch heute noch. Ein kontextualisiertes Lueger-Denkmal, in dem sich die verhetzende, rassistische Politik der Ersten Republik manifestiert, könnte einen Beitrag leisten zu einem lauteren, öffentlichen Diskurs über Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus in Österreich heute. Geschieht dies nicht, ist auch dies wiederum ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.