Sigmund Freuds Judentum

Was ist an dir noch jüdisch, wenn du all diese Gemeinsamkeiten mit deinen Volksgenossen aufgegeben hast? Diese Frage beschäftigt die Psychoanalytik auf der Suche nach ihrer jüdischen Identität bis heute.
Von Martin Engelberg

Was machte das Judentum Sigmund Freuds aus? Wie waren seine Gefühle zum Jüdisch-Sein; wie lebte er es; was dachte er dazu? Im Vorwort, welches Sigmund Freud 1930 – 74-jährig – für die hebräische Übersetzung seines Werkes „Totem und Tabu“ schrieb, fasste er seine Gefühle so zusammen: „Keiner der Leser dieses Buches wird sich so leicht in die Gefühlslage des Autors versetzen können, der die heilige Sprache nicht versteht, der väterlichen Religion – wie jeder anderen – völlig entfremdet ist, an nationalistischen Idealen nicht teilnehmen kann und doch die Zugehörigkeit zu seinem Volk nie verleugnet hat, seine Eigenart als jüdisch empfindet und sie nicht anders wünscht.“ Freud fährt dann jedoch mit einer Feststellung fort, die viele, vor allem auch Psychoanalytiker, auf der Suche nach einer Definition für jüdische Identität bis heute sehr beschäftigt: „Fragt man ihn: ,Was ist an dir noch jüdisch, wenn du alle diese Gemeinsamkeiten mit deinen Volksgenossen aufgegeben hast?‘, so würde er antworten: ,Noch sehr viel, wahrscheinlich die Hauptsache.‘ Aber dieses Wesentliche könne er gegenwärtig nicht in klare Worte fassen. Es wird sicherlich später einmal wissenschaftlicher Einsicht zugänglich sein.“ In weiteren Briefen, Reden und überlieferten privaten Äußerungen hält er fest, er habe nur eine rudimentäre religiöse Erziehung im Judentum genossen, die jüdische Religion sei in seinem Elternhaus nur ansatzweise und beiläufig praktiziert worden und schließlich könne er weder Hebräisch noch Jiddisch. Tatsächlich stammte Freud – väterlicherseits – aus einer sehr orthodoxen jüdischen Familie Galiziens. Sein Vater Jakob gab wohl schon die Orthodoxie auf und wurde zu einem Anhänger der Haskala. Diese Bewegung war jedoch keine agnostische oder gar atheistische, assimilatorische, sondern lehnte vielmehr lediglich religiösen Fanatismus, chassidischen Aberglauben und kulturelle Hermetik ab, nicht jedoch das Judentum an sich. Im Hause der Eltern Freuds wurden jüdische Feiertage abgehalten. In Gesprächen und persönlichen Briefen Freuds zeigt sich eine Kenntnis jiddischer Worte und Aussprüche, die über den „Alltagswortschatz“ wie Schnorrer und meschugge hinausgehen, wie „Leben in Dalles (Armut)“ oder „tomer doch“ (= vielleicht doch?). Bis zu seinem 7. Lebensjahr wurde Freud von seinem Vater in das Studium der Bibel eingeführt: wohl anhand Ludwig Philippsohns zweisprachiger illustrierter Bibelausgabe – was also nicht dem orthodoxen Ideal entspricht –, die jedoch in ihrem Kommentar durchaus konservativ und traditionell bleibt. Schließlich war da jene Bibel, neu in Leder gebunden, die Vater Jakob Sigmund zum 35. Geburtstag schenkte. Mit einer Widmung ganz in „Melitsa“ geschrieben, jener Stilform, die wie in einem Mosaik, Fragmente und Wendungen aus der Tora, der rabbinischen Literatur und der Liturgie zusammenfügt und die ein umfangreiches und tiefes Wissen über das breite Spektrum des Tanachs, also der fünf Bücher Moses, aber auch der Propheten bis hin zum Talmud, seitens des Schreibers – aber letztlich auch des Adressaten – voraussetzt. So eine Widmung hätte er „eher aus der Feder z.B. des Belser Rebben, gerichtet an dessen Sohn“ erwartet, wie ein befragter Rabbiner beeindruckt feststellte. Freud schreibt seiner zukünftigen Frau einerseits, er würde sie zur „Heidin“ machen und bestehe darauf, dass sie bereit sein müsste, Schinken zu essen und auch andere Vorschriften zu missachten. Andererseits war seine Wahl eben auf Martha Bernay gefallen, Enkelin des angesehenen Hacham von Hamburg, Isaac Bernay, die also in einem streng orthodoxen Haushalt aufgewachsen war. So konzedierte Freud in einem anderen Brief: „Wenn die Form, in der die alten Juden sich wohl fühlten, auch für uns kein Obdach mehr bietet, etwas vom Kern, das Wesen des sinnvollen und lebensfrohen Judentums, wird unser Haus nicht verlassen“.

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SIGMUND FREUD-VORLESUNGEN 2006

„Der kleine Hans“ – Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben, Haus Wittgenstein, 1030 Wien, Parkgasse 18 22.4.2006, 10–20 Uhr

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