Fanny von Arnstein, Wiens wohl berühmteste Salonière, nutzte ihr diplomatisches Geschick für ihre politischen und gesellschaftlichen Anliegen. Und für die Erlangung der bürgerlichen Rechte ihrer jüdischen Glaubensgenossen.
VON HOMA JORDIS
Der Wiener Kongress 1814/15 sollte für sie zum Glücksfall werden. Von den Machthabern bewundert, stand sie bei der Neuordnung Europas an erster Stelle im Rampenlicht. Denn Fanny von Arnstein war mit hoher Musikalität, einer beachtlichen Sopranstimme, einer profunden, vielsprachigen Ausbildung und einem unglaublichen Reichtum ausgestattet. Mit diesen Ressourcen und ihrem Talent als Netzwerkerin stieg sie als Salonière empor.
Zu diesem Zeitpunkt war die gebürtige Berlinerin bereits über 50 Jahre alt. Geboren als Franziska Arnstein vermutlich im September 1758 – die Daten variieren – wuchs die Tochter des Händlers Daniel Itzig und der aus Dessau stammenden Miriam Wulff in einer äußerst wohlhabenden und behüteten Umgebung auf. Während die Mutter aus einem angesehenen Rabbinerhaushalt stammte, verdiente sich der Vater als Lieferant der beliebten „Remontepferde“ am Hof Friedrichs II. Doch rasch stieg er zu Friedrichs Hoffaktor und Privatbankier auf: Itzig wurde zum „Judenfürsten“ Preußens.
Derart angesehen konnte er sich bald ein Palais an der Spree leisten. Franziska hatte geschätzt 15 Geschwister und trug den Spitznamen „Veigele“, also Vögelchen. Philosophen sowie Künstler und Musiker gingen im Salon ihrer Eltern ein und aus; engster Freund der Familie war Moses Mendelssohn. Durch ihn erfuhr Veigele ihre geistige Prägung, die ihr weiteres Leben bestimmen sollte.
Im Alter von knapp 16 Jahren wurde Fanny nach jüdischem Ritus mit dem ursprünglich aus Arnstein bei Würzburg stammenden Nathan Arnsteiner verheiratet. Fanny bekam eine Tochter; Judith, ihr einziges Kind, sollte sich später nach ihrer Konversion Henriette nennen. Doch sofort nach der Trauung mussten Fanny und Nathan Arnsteiner aufgrund der Judenverordnungen Berlin verlassen.
Im ebenfalls judenfeindlich gesinnten Wien Maria Theresias landete Fanny im Haus ihrer Schwiegermutter, Sybilla Gomperz, am Graben. Fanny, schon als Mädchen ein Querkopf, weigerte sich, den Scheitel zu tragen. Als ein Gast des Hauses, ein Talmudschüler, dies sah, kam es zum ersten Eklat mit der eigensinnigen Fanny. Heute ist hier, schräg gegenüber vom Meinl am Graben, die Pension Nossek untergebracht.
Da Juden neben anderen Schikanen zu dieser Zeit kein Niederlassungsrecht hatten, durften sie, wenn überhaupt, nur in Miete wohnen. Damals bezog Wolfgang Amadeus Mozart im selben Haus ein Untermietzimmer, wo er auch Teile seiner Entführung aus dem Serail komponierte. Und von hier aus lief er in den Stephansdom, um heimlich sein Stanzerl zu heiraten. Obwohl sich Mozart gern der jüdischen, vor allem auch Fannys Netzwerke bediente, war das Musikgenie, wie aus seinen Briefen an den Vater hervorgeht, kein Freund der Juden. „Eskules, die Judensau“ nannte er beispielsweise Fannys Schwester Cäcilie. Diese war mit Bernhard Eskeles verheiratet, der gemeinsam mit Fannys Ehemann Nathan das Bankhaus Arnstein & Eskeles begründet hatte. Das Palais Eskeles ist heute der Sitz des Jüdischen Museums Wien.
Nach dem Vorbild ihrer Eltern etablierte Fanny ihren ersten musikalisch-literarischen Salon im Haus am Graben. Später mietete sie mit ihrem Mann das Palais Natorp neben der Ankeruhr. Das Gebäude wurde im Krieg zerbombt und danach abgerissen, heute steht an seiner Stelle ein nichtssagender Bau aus den 1960er Jahren.
Mit dem Wiener Kongress zog Fanny von Arnsteins Salon schließlich das Interesse internationaler Prominenz auf sich. Das Haus Habsburg war nach permanenter Kriegsführung finanziell am Boden, nun sollte die Neugestaltung Europas just in Wien stattfinden. Da mussten die wenigen wohlhaben Juden und die wenigen reichen Adeligen einspringen. Der Kaiser benötigte jede Hilfe, um die politische Elite Europas und ihre Entourage zu empfangen und zu bewirten. Neuneinhalb Monate lang empfing Fanny täglich bis zu vierhundert Gäste. Staatskanzler Metternich schätzte sie über alle Maßen, aber er wusste auch um ihre Macht und fürchtete ihren Einfluss. Deswegen ließ er mit seiner Geheimpolizei alle Gäste und auch Fanny rund um die Uhr bespitzeln: Die Dienerschaft diente Metternich ebenso zur Informationsbeschaffung wie Prostituierte oder Aristokraten. Kein Mistkübel, kein Aschenbecher, kein privates Gemach blieb verschont. Heute dienen diese Spitzelakte nach wie vor als wichtige Zeitdokumente, obgleich ein Großteil 1927 beim Brand des Justizpalastes vernichtet wurde.
Fanny von Arnstein nutzte den Wiener Kongress – und die Kongressdiplomatie – für ihre politischen, sozialen, gesellschaftlichen, karitativen und emanzipatorischen Anliegen: die Bürgerrechte für Juden, die Unterstützung der Tiroler Freiheitskämpfer gegen Napoleon und die Klärung der Preußisch-Sächsischen Frage. Die Bürgerrechte mündeten in weiteren Judenpatenten von Josef II. und nach Fannys Tod schließlich in der völligen bürgerlichen Gleichstellung. Doch den Stein ins Rollen gebracht hatte Fanny von Arnstein.
Nathan Arnstein wurde als erster nicht konvertierter Jude nobilitiert und durfte sich mittels eines kaiserlichen Patentes Baron von Arnstein nennen. Anders als der „alte Adel“ und der „Uradel“ zählten diese nobilitierten Juden zur sogenannten „Zweiten Gesellschaft“ der geadelten Bourgeoisie. Fanny überwand damit als erste nicht-konvertierte Jüdin die starren gesellschaftlichen Barrieren und Standesgrenzen. Doch sie setzte sich nicht nur für die jüdische, sondern auch die weibliche Emanzipation ein, wobei ihr auch bei diesem Bemühen ihre prominente Rolle als Salonière zunutze kam.
Fanny von Arnstein scheute keine Kosten und Mühen, dem Kaiser zu dienen – auch, um ihre eigenen Ideen umzusetzen. Nach dem Wiener Kongress gingen die Lichter im Salon aus und es wurde ruhig um die Salonière. Am 8. Juni 1818, fast auf den Tag genau drei Jahre nach Ende des Wiener Kongresses, am 9. Juni 1815, starb sie, in ihrem Sommersitz am Braunhirschengrund (heute 15. Bezirk, Arnsteingasse) an einer Lungeneiterung.
Fanny, die begnadete Netzwerkerin, wurde am Jüdischen Friedhof in Währing beerdigt. Ihrem Glauben blieb sie bis zum Schluss treu.
Buchtipp:
Homa Jordis: Fanny von Arnstein. Eine Salonière als Mediatorin europäischer Machtpolitik. Erfahrungsräume, Netzwerke und Leitmotive der Fanny von Arnstein in der Zeit vor und während des Wiener Kongresses. Buchschmiede, 2022.
Hilde Spiel
Networking im besten Sinne würde man heute das bezeichnen, was die Wiener Salons zwischen 1780 und den frühen 1930er Jahren ausmachte. Diese – meist von jüdischen Gastgeberinnen geprägten – Kommunikationsräume waren in zweifacher Hinsicht Orte der Emanzipation und der Ermächtigung: für Frauen, die von der Öffentlichkeit ausgeschlossen waren, und für die Entwicklung einer bürgerlich-kritischen Zivilgesellschaft. Als „Pionierin“ unter den Wiener Salonièren hatte Fanny von Arnstein den Weg aus ihrer Heimatstadt Berlin nach Wien angetreten, um hier als junges Mädchen verheiratet zu werden. Anstatt sich ihres Schicksals zu fügen und in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter aufzugehen, wurde sie zu der Vorreiterin der prägenden Wiener Frauenpersönlichkeiten. Gerade weil es von Fanny von Arnstein nur wenige Zeugnisse gibt, galt bisher die exzellente Biografie über sie, geschrieben von der großen österreichischen Schriftstellerin Hilde Spiel (1911–1990) aus dem Jahr 1978, als eines der raren Atteste für das Leben dieser ganz speziellen Frau. Spiel stellt in diesem faszinierenden Werk Fanny von Arnsteins Leben detailreich vor und bietet damit Einblicke in die Politik und Gesellschaft der Zeit, von den Gedanken der Aufklärung über den Siebenjährigen Krieg bis zum Wiener Kongreß. „Ideen sterben nicht mit und gleich den Menschen, denen sie ihr Leben verdanken. Sie mögen mit ihnen zu Grabe getragen werden, doch bewegen sie sich im dunklen Erdreich fort, um in verwandelter Form wieder zutage treten“, so Spiel in ihrer Biografie über eine der interessantesten Frauen Europas.