Von Rainer Nowak
NU: Österreich hat sich nach der Terrorattacke der Hamas bedingungslos hinter Israel gestellt. Gibt es diese Position noch?
Karl Nehammer: Israel ist nach dem 7. Oktober in einer neuen Realität erwacht. Die Bilder des Terrorangriffs der Hamas waren von unvorstellbarer Grausamkeit und Barbarei. Österreichs Position ist seither ganz klar: wir stehen an der Seite Israels und des israelischen Volkes. Das Recht auf Selbstverteidigung Israels im Einklang mit dem Völkerrecht steht außer Frage.
Kritiker an Israels harter Reaktion in Gaza werfen Österreich vor, damit eine Carte Blanche auszustellen.
Wie schon erwähnt, findet das Selbstverteidigungsrecht seine Grenzen im Völkerrecht, daher handelt es sich nicht um einen Blankoscheck.
Österreich hat in der UN-Vollversammlung als einiger von wenigen Staaten gegen die Gaza-Resolution gestimmt. Wie ist das mit der Neutralität vereinbar?
Gegenüber Terror gibt es keine Neutralität. Gerade Österreich ist gut beraten, in einer Situation, in der Israel von einer terroristischen Mörderbande wie der Hamas angegriffen wird, deren erklärtes Ziel die Auslöschung des israelischen Staates ist, ganz klar Haltung zu zeigen In der ersten Resolution kurz nach dem barbarischen Terrorangriff mit über 1.200 Toten wurde die Hamas nicht einmal beim Namen genannt. Das ist beschämend. Bei der zweiten Resolution haben wir einen Vorschlag eingebracht, explizit von der Hamas zu fordern, dass alle Geiseln sofort freizulassen sind. Auch dafür hat sich in der UNO keine Mehrheit gefunden. Insofern haben wir uns zwei Mal gegen diese Resolutionen ausgesprochen, da diese alles andere als ausgewogen waren, und das war richtig so.
Wieso tun sich so viele Österreicher schwer damit, die Position und Selbstverteidigungsnotwendigkeit Israels zu verstehen?
Der Großteil der Bevölkerung steht hinter der klaren Haltung der Bundesregierung. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Land von Terroristen überfallen wird, wahllos gemordet und jegliche Grenze überschritten wird.
Österreich hat seine betont palästinenserfreundliche Nahostpolitik, die noch unter Bruno Kreisky begonnen wurde, mit der Regierung von Sebastian Kurz diametral geändert. Passiert ist das ohne große Debatte. Hätte man dies nicht breit diskutieren müssen?
Nur um das klarzustellen: Wir haben nichts gegen die Palästinenser, wir haben etwas gegen Terroristen, die wahllos Menschen abschlachten. Es ist die Hamas, die hier jegliche Grenze überschritten hat und das palästinensische Volk als Schutzschild für ihre barbarischen Machenschaften verwendet.
Ihre Einstellung zu Israel entspricht offenbar der Ihrer beiden Vorgänger.
Man versteht dieses Land viel besser, wenn man dort war. Wenn man spürt, dass man in einem Land ist, dass seit Jahrzehnten um seine Existenz kämpfen muss, das jederzeit in der Lage sein muss, sich selbst zu verteidigen. Ich habe bei dieser Reise zum ersten Mal konkret gespürt, was das im Alltag für die Menschen bedeutet. Ich war danach noch öfter in Israel, auch in der Gedenkstätte Yad Vashem. Ich will Ihnen aber noch einen Moment schildern, der mich emotional sehr berührt hat. Kurz nach meinem Amtsantritt als Bundeskanzler haben wir am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts eine Gedenkfeier in Mauthausen veranstaltet. Mit dabei war auch der damalige israelische Außenminister Yair Lapid, dessen Großvater in Mauthausen umgebracht wurde. In meiner Rede habe ich mich bei Yair Lapid dafür im Namen Österreichs entschuldigt und versprochen: Wir werden alles, was in unserer Macht steht, tun, um Antisemitismus in unserem Land zu bekämpfen. Es war ein hochemotionaler Moment für ihn und auch für mich, als er mich – mit Tränen in den Augen – spontan umarmt und sich dafür bedankt hat. Österreich hat eine Geschichte und eine historische Verantwortung in dieser Hinsicht. Und dieser Verantwortung werde ich immer nachkommen.
Sehen Sie, wenn schon keine Lösung, doch zumindest einen Weg in Richtung Frieden?
Kurzfristig gesehen braucht es humanitäre Waffenpausen, um die Geiseln, unter denen auch ein Österreicher ist, zu befreien und um verstärkt humanitäre Hilfe nach Gaza zu bringen. Mittelfristig braucht es einen Plan für Gaza mit einer zivilen palästinensischen Verwaltung, die den Menschen ein Leben in Sicherheit und Würde bietet. Und langfristig unterstützen wir eine Zweistaatenlösung, bei welcher ein selbstbestimmter palästinensischer Staat und Israel mit den entsprechenden Sicherheitsgarantien in Frieden und Freiheit nebeneinander leben können. Die Voraussetzung für alles ist aber, dass die Hamas endlich alle Geiseln freilässt.
Das heißt kein Frieden ohne Zustimmung Israels zur Zweistaatenlösung?
Auch wenn eine Zweistaatenlösung derzeit noch weit entfernt wirkt, erscheint langfristig keine andere Option vorstellbar.