Das Stadtmuseum von Bad Ischl, 1989 eröffnet, erzählte lange nur die Geschichte bis zum Tod des Kaisers 1916. Mit der Neugestaltung anlässlich des Kulturhauptstadtjahres reicht die Darstellung nun bis in die Gegenwart. Der NS-Zeit und den „Arisierungen“ ist viel Raum gewidmet.
Von Thomas Trenkler
Marie-Theres Arnbom machte sich 2017 nicht unbedingt beliebt im Salzkammergut. Denn die Wiener Historikerin hinterfragte in ihrem Buch „Die Villen von Bad Ischl“ (Amalthea Verlag) die Zäsur, die der „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich im März 1938 mit sich gebracht hatte.
Viele stattliche Immobilen gehörten einst jüdischen Intellektuellen und Industriellen, die Jahr für Jahr zur Sommerfrische nach „Ischeles“ kamen. Sie hatten sich assimiliert, trugen Tracht, waren Österreicher. Und dann, im Sommer jenes Schicksalsjahres, wurde erlassen, dass Juden „das öffentliche Tragen von (…) Lederhosen, Joppen, Dirndlkleidern, weißen Wadenstutzen usw. verboten“ sei.
Zuvor schon, gleich nach der Annexion, hatte – wie überall sonst in der „Ostmark“ – die „Arisierung“, eine Form der Enteignung, eingesetzt. Die Besonderheit im Falle von Bad Ischl war, dass sie von einer einzigen Person durchgeführt wurde. Und zwar vom „Entjudungsbeauftragten“ Wilhelm Haenel. Der stramme Nationalsozialist, ein gebürtiger Brandenburger, bot sich den jüdischen Eigentümern, die zur Flucht gezwungen waren, als „Verwalter“, ja Retter an. Und er profilierte sich, so Arnbom, „als Meister“ der „wilden Arisierungen“, die er geradezu „fanatisch“ betrieb.
Ende November 1938 wurden dem Ischler Anwalt Franz Konrad, mit dem Haenel eng zusammengearbeitet hat, insgesamt 21 „Kaufverträge“ zwischen jüdischen Eigentümern und dem Gau Oberdonau mit der Bitte um grundbücherliche Durchführung übermittelt – das entsprach einem Drittel der Villen in jüdischem Besitz. Rege beteiligt an den Erpressungen war nicht nur der Gau, sondern auch die Ischler Sparkasse: Sie kaufte die Villa Mendl der Familie Dirsztay um 15.000 Reichsmark – wenig später wurde ein Wert von 24.000 Reichsmark errechnet.
Das System von Haenel erwies sich insgesamt als äußerst effizient: 1940 erteilte ihm der Reichsstatthalter von Oberdonau die Vollmacht, als Treuhänder für die noch nicht enteigneten Villen zu fungieren. Und Haenel zweigte immer wieder etwas von den Einrichtungen für sich ab, darunter den Nachlass von Alexander Girardi.
Nach dem Zweiten Weltkrieg behauptete er dreist, die Gegenstände nur verwahrt zu haben. Sie würden daher nicht, wie die Villen, unter die Rückstellungsgesetze fallen. Und er weigerte sich zunächst, sie zurückzugeben. Für die Bevölkerung war das in Ordnung so: Haenel galt bis zu seinem Tod 1967 als „angesehener Bürger“.
Zumindest die Liegenschaften wurden samt und sonders restituiert – „ungern, meist ohne Mobiliar und sehr oft in verlottertem Zustand“; manche Verfahren zogen sich bis in die Mitte der 1950er-Jahre hin, im Fall der Villa Spiegl sogar bis 1959. Und in der Regel waren die Besitzer oder Erben, die nun im Ausland lebten, gezwungen, die Villen zu verkaufen – erneut unter dem einstigen Wert.
Im Stadtmuseum von Bad Ischl an der Esplanade erfuhr man von alledem nichts. Wiewohl es erst 1989, also 44 Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs, im sogenannten „HOTEL AUSTRIA“ eröffnet worden war. Dieses war ursprünglich das Erbhaus der Salzfertigerfamilie Seeauer gewesen. 1834 bezog die Familie des Erzherzogs Franz-Carl und seiner Frau Sophie das erste Stockwerk, im August 1853 fand hier die Verlobung von Kaiser Franz Joseph, dem Sohn, und seiner Elisabeth in Bayern, genannt Sisi, statt. 1878, nach dem Ableben des erzherzoglichen Paares, baute Samuel Sonnenschein das Gebäude zum Hotel um. Ein solches blieb es, auch unter anderen Besitzern, bis 1982.
In jenem Jahr erwarb Bad Ischl die Immobilie und machte daraus das Stadtmuseum (samt Trauungssaal). Die dargestellte Geschichte – ein Sammelsurium mit vielen Objekten des Heimatvereins und der Saline – endete 1916: mit dem Tod des Kaisers, der von 1849 an jeden Sommer in Ischl verbracht und just hier, in seiner mit Jagdtrophäen vollgestopften Villa, 1914 die Kriegserklärung an Serbien unterfertigt hatte. Alles, was danach folgte, kehrte man mit großem Hang zum Revisionismus einfach unter den Teppich.
Derart rückwärtsgewandt und verklärend hätte sich das Museum auch im Kulturhauptstadtjahr von Bad Ischl zusammen mit 22 weiteren Gemeinden des Salzkammerguts präsentieren sollen: An eine Neuaufstellung war im Zuge der Planungen nicht einmal gedacht worden. Erst die in der Not und fast zu spät bestellte Intendantin Elisabeth Schweeger verlangte eine solche. Und Museumsleiterin Herta Neiß machte sich mit dem Historiker Michael John begeistert an die Arbeit: Im Juli wurde das neue Stadtmuseum eröffnet.
Das Konzept ist simpel: Die bisher breit ausgewalzte, mit zu vielen Schaustücken illustrierte Geschichte wurde gehörig eingedampft. Man erfährt dennoch mehr als genug über den Aufstieg der Stadt durch die Salzgewinnung und später, im 19. Jahrhundert, als Kurort und Hotspot der Sommerfrische. Es gibt nun digitale Fotoalben, interaktive Stationen – und mit einem Augenzwinkern werden mitunter die Eigenheiten kommentiert. Im Stiegenhaus liest man in riesengroßen Lettern den Text einer Postkarte: „In Ischl ist es wunderschön, wie auf dem Bild zu seh’n. Doch fänden wir’s bedeutend netter, wär’ jetzt nicht so ein Regenwetter!“
Im ersten Stock wird noch immer gebührend dem Kaiser, der Schratt (seiner Geliebten) und der widerspenstigen Sisi (mit Veilchentapete!) gehuldigt. Aber Neiß thematisiert auch den Ersten Weltkrieg mit eindrücklichen Fotos, mächtig aufgeblasen.
Ein eigener Bereich ist dem Kurmittelhaus, 1929 bis 1932 nach den Plänen von Clemens Holzmeister errichtet, gewidmet. Es wäre, denkt man sich beim Betrachten der sehr grafischen Architekturfotografien unmittelbar nach der Fertigstellung, hoch an der Zeit, die Therme originalgetreu zu sanieren. Von der einstigen Einrichtung konnte Neiß leider nur ein schäbiges, weißes Tischchen auftreiben.
Noch schwieriger war es, sprechende Objekte zur Darstellung des Austrofaschismus und der NS-Zeit zu finden. Neiß musste sich daher zum Beispiel mit einer Steyr-Maschinenpistole behelfen, die während des Bürgerkriegs im Februar 1934 in Steyr eingesetzt worden war.
Für die Machtübernahme durch das Hitler-Regime fand Neiß ein sehr eingängiges Objekt: einen Liegestuhl mit NS-Emblem. Die neuen Machthaber machten es sich gemütlich im Salzkammergut – ganz besonders in den enteigneten beziehungsweise „arisierten“ Villen. Die Judenverfolgung stellt Neiß unter anderem am Fall Fritz Löhner-Beda dar: Der Schlagertexter und Librettist von Franz Lehár wurde gleich nach dem „Anschluss“ 1938 verhaftet, seine Villa Schratt „arisiert“. Am 4. Dezember 1942 wurde Löhner-Beda im KZ Auschwitz von einem Aufseher erschlagen, seine Ehefrau und deren beide Töchter waren bereits drei Monate zuvor in Maly Trostinec ums Leben gekommen.
Als Sinnbild für die Vertreibung jüdischer Villenbesitzer, wie die „Verwertung“ der Besitztümer durch Wilhelm Haenel und Franz Konrad, hat Hans Kropshofer, der Ausstellungsgestalter, ein bedrückendes Büro eingerichtet – mit einem Schreibtisch, der einschüchtert, und vielen Aktenordnern.
Bad Ischl hat sich nun also schonungslos dem ruhmlosen Kapitel gestellt. Und Marie-Theres Arnbom wird nicht mehr angefeindet. Sie ist auch eine der Autorinnen der hervorragend zusammengestellten Begleitpublikation „Sehnsucht Salzkammergut“, herausgegeben von Neiß und John (Böhlau Verlag).
Der Text über das Stadtmuseum von Bad Ischl erschien im KURIER und wurde für NU erweitert.