Der berühmteste jüdische Nobelpreisträger ist zugleich das populärste Genie aller Zeiten. Weniger bekannt ist, dass die Ikone Albert Einstein 1952 die Präsidentschaft des jungen Staates Israel angeblich tief bewegt ablehnte. Auch unsere sechs ausgewählten Favoriten hatten zum Glück anderes vor Augen oder unter dem Mikroskop.
Geboren 1921 als Tochter von Simon und Clara Sussmann in New York. Schon in frühen Jahren war sie von Physik angetan und studierte an der Columbia University, wo sie auch ihren späteren Mann Aaron Yalow kennenlernte. Nach ihrem Physikstudium bekam sie eine Assistenzstelle an der Universität von Illinois – als einzige Frau unter 400 Studenten. 1945 schloss sie ihr Studium der Nuklearphysik ab, vier Jahre später begann ihre bahnbrechende Zusammenarbeit mit Solomon Aaron Berson, die mehr als 20 Jahre dauern sollte und die Meilensteine im Bereich der Medizinforschung hervorbrachte. Die beiden konzentrierten sich auf den Nachweis von Peptiden im Blut und erkannten, dass Diabetiker bei der Behandlung mit Insulinpräparaten Antikörper gegen tierische Insuline bilden. Damit konnte man Methoden zur Messung des Insulinspiegels entwickeln. Berson und Yalow ließen sich ihre Ergebnisse jedoch nie patentieren, weil sie der Meinung waren, diese sollten allen frei zugänglich sein. Nachdem Berson 1972 in jungen Jahren starb, wurde das gemeinsame Labor an der New Yorker Mount Sinai School of Medicine auf Yalows Wunsch in Solomon Berson Research Laboratory umbenannt. Als erst zweite Frau erhielt sie 1977 den Nobelpreis für Medizin für ihre Entwicklung radioimmunologischer Methoden zur Bestimmung von Peptidhormonen. Sie lehrte bis 1985 an der Yeshiva University und lebte bis zu ihrem Tod 2011 mit ihrer Familie in Riverdale bei New York.
Hohe Rechenleistung: Walter Kohn Chemie (1998)
Geboren 1923 in Wien. Besuchte das Akademische Gymnasium und entkam mit einem Kindertransport nach England, während seine Eltern und viele Verwandte im Holocaust ermordet wurden. Er reiste 1940 nach Kanada und absolvierte ein Mathematikstudium an der University of Toronto, 1948 promovierte er in Harvard in theoretischer Physik. Schon in jungen Jahren schlug er die akademische Karriere ein und lehrte in der Folge an zahlreichen Universitäten. International bekannt wurde er durch die Entdeckung der nach ihm benannten Kohn-Anomalie, die er 1959 – zwei Jahre, nachdem er die US-Staatsbürgerschaft erhalten hatte – veröffentlichte. Danach begann er mit seinen Forschungsarbeiten zur Dichtefunktionaltheorie. Diese wird zur Berechnung grundlegender Eigenschaften von Molekülen und Festkörpern verwendet. Mit Hilfe dieser Theorie konnte er den Aufwand der Rechenleistung stark senken – so wurden Berechnungen von Systemen mit über zehn Elektronen erst möglich. Für diese Entdeckung wurde er 1998 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. In den 1990er Jahren lehrte er an der University of California, wo er auch emeritierte. Seine Beziehung zu Wien hielt er zeit seines Lebens aufrecht, so stiftete er dem Zwi-Peres-Gymnasium und dem Akademischen Gymnasium den Walter-Kohn-Preis für Arbeiten auf dem Gebiet der Menschenrechte und Naturwissenschaften. Er starb 2016 im Alter von 93 Jahren in Santa Barbara, Kalifornien.
Schockgefrorener Stickstoff: Ada Yonath Chemie (2009)
Geboren 1939 in Jerusalem als Tochter von polnischen Juden, die 1933 nach Palästina kamen. Sie studierte ab 1959 an der Hebräischen Universität in Jerusalem, anschließend am Weizmann-Institut, und schrieb 1968 ihre Dissertation über Röntgenkristallografie. Sie lehrte am Weizmann-Institut, daneben an der Universität Tel Aviv sowie an der Ben-Gurion-Universität. Wegweisend war ihre Forschung im Bereich der Strukturaufklärung von Ribosomen, die sie Ende der 1970er Jahre in Angriff nahm und die bis dahin unter den meisten Forschern als aussichtslos galt. Sie benötigte 20 Jahre, um sich ein Bild von den beiden Untereinheiten des Ribosoms zu erarbeiten und entwickelte dafür völlig neue Techniken, wie etwa das Schockgefrieren in flüssigem Stickstoff. Als sich ihre Methoden als erfolgreich herausstellten, begannen sich schließlich auch andere Wissenschaftler mit dem Thema zu beschäftigen: So konnte der US-Biochemiker Thomas A. Steitz durch Yonaths Vorarbeit die sogenannte große Untereinheit eines Ribosomes erkennen. Yonath und der indische Ribosomenforscher Venkatraman Ramakrishnan beschrieben indessen fast gleichzeitig die kleine Untereinheit. In der Folge beschäftigte sich Yonath damit, wie sich verschiedene Antibiotika an die Ribosomen von Bakterien binden und diese dadurch blockieren können – der Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Antibiotika. Im Jahr 2009 bekam sie gemeinsam mit Steitz und Ramakrishnan dafür den Chemie-Nobelpreis.
Ikosadrische Phase: Dan Shechtman Chemie (2011)
Geboren 1941 in Tel Aviv. Seine Großeltern kamen während der zweiten Alija (1904–1914) nach Palästina und besaßen eine Druckerei. In Kindheitstagen verschlang er angeblich Jules Vernes Die geheimnisvolle Insel, wodurch der Traumberuf Ingenieur vorgezeichnet gewesen sein soll. Er studierte am Technion in Haifa und absolvierte ebendort seinen Master of Science. Nach seiner Promotion emigrierte er mit seiner Familie in die USA und forschte für die US-Luftwaffe in Ohio. Seit 1975 ist er wieder am Technion tätig und forscht am Louis Edelstein Center und am Wolfson Centre in Haifa. Er gilt als einer der Wegbereiter für Unternehmensgründungen von Absolventen des Technion – und somit als einer der Väter des israelischen Start-up-Booms. Er forschte an der US-amerikanischen Johns Hopkins University und entdeckte die ikosadrische Phase – und ebnete somit den Weg für die Forschung über Quasikristalle. Diese Entdeckung, die ihm 2011 den Nobelpreis für Chemie einbrachte, war indes lange Zeit heftig umstritten. Was Shechtman nicht davon abhielt, am Technion in Haifa weiterhin seinem Bubentraum nachzugehen.
Geboren 1959 in Illinois als Sohn eines bekannten Professorenpaares. Vater Daniel war Chemie- und Biomolekularwissenschaftler an der University of Pennsylvania, Mutter Felice Sozialwissenschaftlerin an der Temple University. Er studierte in Harvard, danach an der University of California, Berkeley. Bis heute beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Supernova, wofür er 1988 das „Supernova Cosmology Project“ gründete. Ende der 1990er Jahre gelang ihm mit seinem Team der Durchbruch, als er aus der Messung der Helligkeit ferner Supernovas den Beweis für die Beschleunigung der kosmischen Expansion erbrachte. Diese Entdeckung war der Ausgangspunkt der heutigen Suche nach der Natur der „Dunklen Energie“. Im selben Jahr erhielten er und seine Kollegen vom Wissenschaftsmagazin Science die Auszeichnung „Durchbruch des Jahres“. Für diese Entdeckung bekam er – gemeinsam mit Adam Riess und Brian P. Schmidt – 2011 den Nobelpreis für Physik. Perlmutter erhielt daneben den Shaw Prize sowie die jährlich verliehene Albert-Einstein-Medaille – womit sich der Kreis vom bekanntesten jüdischen Nobelpreisträger zu einem seiner Nachfolger schließt.
Abhängig vom Diederwinkel: Martin Karplus Chemie (2013)
Geboren 1930 in Wien in eine Familie des jüdischen Großbürgertums, wuchs er gemeinsam mit seinem älteren Bruder in Döbling auf. Nach dem „Anschluss“ wurde sein Vater von den Nazis eingesperrt, die restliche Familie konnte über die Schweiz in die USA flüchten, wohin auch der Vater schließlich emigrieren konnte. Seit seiner Einbürgerung ist er österreichischer und US-amerikanischer Staatsbürger. Nach dem Weltkrieg studierte er in Harvard Chemie und promovierte 1953 am California Institute of Technology unter dem Nobelpreisträger Linus Pauling. Nach mehreren Aufenthalten an verschiedenen Universitäten (Oxford, University of Illinois, Columbia) blieb er ab 1966 als Professor an der Harvard University. Eine starke Beziehung verbindet ihn mit Frankreich, wo er mehrere Jahre eine Gastprofessur an der Universität Paris und am College de France innehatte. Seine bekannteste Arbeit ist die Karplus-Beziehung: Hier beschreibt er die Abhängigkeit der Kopplungskonstante vom Diederwinkel – ein wegweisende Gleichung für die Bestimmung von Konformationen und von Backbones von Proteinen. Für seine Arbeiten auf dem Gebiet der physikalischen Chemie wurde ihm 2013 – gemeinsam mit seinen jüdischen Kollegen Michael Levitt und Arieh Warshel – „für die Entwicklung von Multiskalenmodellen für komplexe chemische Systeme“ der Nobelpreis für Chemie verliehen. 2015 folgte die Ehrendoktorwürde der Universität Wien.