Mit unternehmerischem Mut unterwegs in eine neue Zukunft

Berufliche und private Verbundenheit: NU-Herausgeberin Danielle Spera und NU-Chefredakteurin Andrea Schurian

Zwölf Jahre war Danielle Spera Direktorin des Jüdischen Museums Wien. Ein stolzer Blick zurück und ein unternehmungslustiger in die Zukunft.

VON ANDREA SCHURIAN (TEXT) UND OURIEL MORGENSZTERN (FOTOS)

An dem Abend im November 1993, als das Jüdische Museum Wien im Beisein des Jerusalemer Bürgermeisters Teddy Kollek an seinem heutigen Standort, dem Palais Eskeles in der Dorotheergasse, eröffnet wurde, saß Danielle Spera im ZiB1-Studio. „Von Anfang an habe ich die Entwicklung des Museums verfolgt, habe die Ausstellungen besucht und mir so oft gedacht, dass es leider viel zu wenige Österreicherinnen und Österreicher kennen. Die Ausstellungen haben die Leute nicht so richtig abgeholt, es gab keinen allgemein verständlichen Erzählduktus.“

Als die Stadt Wien 16 Jahre später die Direktion ausschrieb, habe ihr Mann, Martin Engelberg, ihren Ehrgeiz geweckt: „Bewirb dich doch, statt dich nur aufzuregen.“ Der Rest ist bekannt: Im Juli 2010 übersiedelte Österreichs beliebteste Nachrichtenmoderatorin vom Küniglberg als Direktorin ins JMW. Und begeisterte mit ihrem publikumswirksamen Programm jüdische ebenso wie nichtjüdische Besucherinnen und Besucher für die Vielfältigkeit jüdischer Kultur – mit beachtlichem Erfolg: Seit ihrem Amtsantritt konnte sie die Besucherzahlen von 87.400 auf knapp 150.000 nahezu verdoppeln. Die Erlöse hat sie von rund 170.000 auf 813.519 Euro (Eintritte) und von 57.212 auf knapp 140.000 Euro (Sponsoren und Spenden) rasant in die Höhe gejazzt.

„Mir war immer wichtig hervorzuheben, dass das Judentum in der Wahrnehmung nicht auf den Holocaust beschränkt ist. Es gab vor und nach der Schoah ein reiches jüdisches Leben, eine blühende, aufregende, reiche Kultur, spannende Künstlerinnen und Künstler, großartige Sammlerpersönlichkeiten. Und es gibt heute eine sehr lebendige und aktive jüdische Gemeinde.“ Gern wäre sie drei weitere Jahre im Amt geblieben.

Kein Lamentieren

Wehmut, dass es anders gekommen ist? Klar, ein bisschen. Vor allem die Kolleginnen und Kollegen werden ihr fehlen, sagt sie, „das tolle Team, mit dem gemeinsam ich so wunderbare Ausstellungen realisieren konnte. Die Zusammenarbeit war so befruchtend und inspirierend.“ Aber man kann einander ja trotzdem sehen, der Kontakt wird jedenfalls nicht abreißen, da ist sie sich sicher. Sie blickt mit einem zufriedenen Lächeln zurück – und mit einem unternehmungslustigen in die Zukunft. Stehenbleiben, lamentieren? Entspricht nicht ihrem Naturell.

Danielle Spera ist zwar nicht ruhelos, aber doch ständig unterwegs: durchs Museum, für das sie großartige Sammlungen als Schenkungen oder Dauerleihgaben akquirieren konnte, wie etwa jene des Bestsellerautors und Künstlers Edmund DeWaal. Zur Eröffnung der Ausstellung Die Ephrussis. Eine Zeitreise gelang es ihr, vierzig Mitglieder der weitverzweigten Familie Ephrussi, die von den Nazis enteignet und vertrieben worden war, nach Wien zu bringen. Sie hat sich mit der Geschichte des Landes intensiv auseinandergesetzt. In ihrem bei Amalthea erschienen Buch 100 x Österreich. Judentum beschreibt sie in hundert Miniaturen ebenso kenntnisreich wie kurzweilig, wie sehr jüdische Kultur, wie sehr Jüdinnen und Juden Österreichs Kultur geprägt und gestaltet haben. Mit ihr unterwegs durch Wien ist immer auch ein erhellender, lehrreicher Stadtspaziergang. Zuletzt hat sie im Mai zwölf Mitgliedern der Familie Rothschild, deren Geschichte sie wie einen Krimi im JMW aufgerollt hat, Wien gezeigt.

Besonders gern reist Danielle Spera nach Israel, der Heimat ihres Herzens, wo im Juli auch ihr Sohn heiraten wird; am allerliebsten aber ist sie unterwegs zu ihrem größten Stolz: zu den drei Kindern Sammy, Rachel und Debbie, die alle drei in den USA leben. Und jetzt bricht die begeisterte Läuferin, Tennisspielerin, Bäckerin und Köchin zu neuen beruflichen Abenteuern auf und wird sich mit dem Unternehmen „Projektentwicklung Kultur, Medien, Judentum“ selbstständig machen.

Diese Firma wird so ziemlich alles abdecken, was sie auch bisher schon gemacht hat, „nur eben ohne Museum“. Ein paar Projekte sind bereits angelaufen: Unter anderem ist sie Schirmherrin des Green Peak Festivals, das am 22. September im MAK über die Bühne gehen wird. Niederösterreichs Landeshauptfrau hat angefragt, ob sie ihre freiwerdenden Kapazitäten in die Erforschung des jüdischen Semmerings stecken möchte. „Dieses Thema fasziniert mich sehr, denn der Semmering ist eine wunderbare, jüdisch konnotierte Gegend. Es gilt da, eine unglaublich kreative Szene zu erforschen.“ Auch etliche Vorträge sind bereits gebucht, „aber es ist natürlich ganz etwas anderes, weil alles viel freier, gestaltbarer ist. Es macht einen Unterschied, ob man die Personalverantwortung für fünfzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat oder, wie ich künftig, in einem kleinen Team arbeitet.“ Bei der Generalversammlung von ICOM (International Council of Museums) in Prag Ende August wird sie ausloten, ob eine weitere Kooperation möglich ist, schließlich war sie in den vergangenen zwölf Jahren mit großem Engagement in und für ICOM engagiert. Die Chancen stehen gut, denn wenn alles so läuft wie geplant, wird sie auch wieder ein Ausstellungshaus in Wien leiten.

Hedy Lamarr Museum

Bekanntlich hat Hedy Lamarrs Sohn, Anthony Loder, die Sammlung seiner weltberühmten Mutter mit Wiener Wurzeln dem JMW geschenkt, allerdings mit der Auflage, dass innerhalb von sechs Monaten ein Konzept für eine dauerhafte Ausstellung vorgelegt werden sollte. Doch die Stadt zeigte wenig Interesse. Mr. Loder zog die Schenkung wieder zurück, betonte aber gleichzeitig, dass er sie weiterhin gern in Wien verortet wissen würde: „Er hat meine Leidenschaft gesehen und wollte daher mich damit betrauen. Das ist natürlich ein Glücksfall. Und ein großes Privileg.“ Danielle Spera hat in der Zwischenzeit bereits ein Unternehmen gefunden, das ihr im Rahmen eines Großprojektes Räumlichkeiten zur Verfügung stellen will für ein Hedy Lamarr Museum, für dessen Realisierung und Finanzierung sie gerade ein Konzept erarbeitet.

Wer sie kennt, weiß: Es wird ihr gelingen. Ich kenne sie. Danielle und ich sind langjährige Freundinnen, wir haben gemeinsam studiert, etliche Seminararbeiten gemeinsam geschrieben, viele Jahre Seite an Seite moderiert – sie die ORF-Hauptnachrichten, ich die Kultur. Seit 2018 arbeiten wir gemeinsam für NU, sie als Herausgeberin, ich als Chefredakteurin. Ich schätze ihre zielstrebige Art, ihre Unerschrockenheit, ihre Parteiunabhängigkeit, ihre offenbar nie versiegende Energie, die offenbar wohl ein Erbstück ihres Vaters Kurt Spera ist, einem Transportunternehmer und Hochschulprofessor. Er starb 90-jährig im Februar 2019, bis wenige Wochen vor seinem Tod unterrichtete er: „Er war so beliebt bei den Studentinnen und Studenten! Noch heute werde ich seinetwegen auf der Straße angeredet. Er hat mir beigebracht, wie wichtig es ist, sich weiterzubilden, aktiv zu bleiben.“

Wichtige Orthodoxie

Ihre Eltern lernten einander in den 1950er Jahren in der jungen KPÖ kennen. Der Mutter war das kleine Kärntner Heimatdorf zu eng geworden, sie ging als 15-Jährige nach Wien, arbeitete in einer Schokoladenfabrik. Diesen unerschrockenen Mut hat die Mutter ihrer Tochter weitergegeben, mit deren Geburt 1957 sie allerdings aus dem Berufsleben ausstieg. Später, nachdem sich die Eltern „Leider, leider!“ scheiden ließen und Danielle und ihr jüngerer Bruder ihrer eigenen Wege gingen, wurde sie Sozialbetreuerin für alte Menschen bei der Caritas. „Beide Eltern waren sehr sozial, alles musste gerecht verteilt werden.“

Der Vater war Jude, religiös waren beide Eltern nicht. „Mein Vater sagte immer, er möchte nicht, dass uns passiert, was ihm geschehen ist. Über unsere Herkunft sollten wir nicht reden. Aber ich habe mich immer zum Judentum hingezogen gefühlt. Es war eine große Sehnsucht in mir.“ Als ORF-Korrespondentin in Washington hatte sie diesbezüglich keinerlei Probleme, denn in den Reformgemeinden reicht bekanntlich auch ein jüdischer Vater. „Aber für mich war immer klar, dass ich einen orthodoxen Übertritt anstrebe. Für mich ist die Orthodoxie sehr wichtig, ich erlebe die Menschen völlig anders als sie zum Beispiel in der Serie Unorthodox dargestellt werden.“

Lange bevor sie ihren jüdischen Mann kennenlernte, trat sie zum jüdischen Glauben über. Mit ihrer Familie lebt sie kein orthodoxes, aber ein traditionelles Leben: „Wir praktizieren die Feiertage, halten Schabbat. Ich bin glücklich, dass unsere erwachsenen Kinder, die alle in den USA leben, das auch tun.“ Wie sehr ihre Familie jüdische Traditionen pflegt, kann man in ihrem jüngst im Amalthea Verlag erschienenen Buch LeChaim nachlesen: einem mit vielen persönlichen Fotos garnierten Reiseführer durch das jüdische Jahr mit all seinen Festen und Traditionen.

Sperrstunde

Im Café Eskeles ist Sperrstunde. Die letzten Besucherinnen und Besucher verlassen das Museum. Die Lichter gehen aus. Leute kommen und bedauern ihren Weggang vom Museum. Dass das Museum in den letzten zwölf Jahren wirklich ins Bewusstsein der Österreicherinnen und Österreicher gerückt ist, erfüllt sie mit Genugtuung: „Wenn wir heute als eine der zehn wichtigsten Sehenswürdigkeiten Wiens genannt werden, dann macht mich das schon stolz. Es ist ein Museum, das ich in vielerlei Hinsicht neu gründen musste.“

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