Mehr Erlebnis als Museum

Es ist nicht die Größe oder das moderne Konzept, die am Jüdischen Museum in Amsterdam beeindrucken, sondern die Vermittlung von Geschichte und jüdischem Leben, die hier gelingt, wie kaum sonst wo. Und Kinder haben sogar ihr eigenes Museum im Museum.
Von Rainer Nowak (Text) und Liselore Kamping (Fotos)

Wahre Größe bemerkt man immer erst nach einiger Zeit. Betritt der Besucher das Jüdische Museum in Amsterdam, wähnt er sich im Entrée zu einem besseren Bezirksmuseum. Der Eingangsbereich ist sogar für die gerne bescheiden auftretenden Holländer schmal und unauffällig. Dahinter aber beginnt eine andere Welt. Eine andere jüdische Welt, durch die Direktor Joel Cahen führt, als ginge es zum Morgenlauf über den Strand von Tel Aviv. Und Cahen ist auch ganz genau so gut gelaunt, als wären wir ebendort. Der gebürtige Holländer und langjährige Israel- Bewohner, der für die Leitung des Hauses mit seiner Familie nach Amsterdam zurückkehrte, begrüßt fast jeden Besucher persönlich. Er fragt, woher jemanden kommt und ob man auch schon nebenan in der alten Synagoge gewesen sei. Wenn nicht, fordert er bestimmt zum Besuch derselben auf.

Bevor es zur alten Portugiesischen Synagoge geht, einer der weltweit wichtigsten jüdischen Sehenswürdigkeiten, zeigt Cahen seinen ganzen Stolz, einen Bereich, der wohl einzigartig für ein Museum ist: den eigenen, spektakulären Kinder- Trakt, man könnte schreiben: das Kinderhaus. Im Erdgeschoss ist sogar eine eigene Küche eingerichtet, in der regelmäßig, beim „Testbesuch“ war es gerade so weit, Koscher- Kochkurse und –Einführungen gehalten werden. Ganz ehrlich: Nach gefühlten hunderten Museumsbesuchen suchen war dieses Bild von begeisterten Kindern, die Salzteig formen, viel besser als so manches spektakuläre Kunstwerk.

Weiter geht es oben im Museum, zuerst mit spielerischer Einführung durch comicartige Mini-Videos mit Rabbiner-Weisheiten – mit viel Humor – und mit Theologie. Ganz oben wird es dann historisch-familiär. Eine imaginäre Familie aus vergangenen Zeiten zeugt vom jüdischen Leben im alten Amsterdam, Ausruhen in einem runden modernen Kuschel-Himmelbett inklusive.

Aber zurück zum ganzen Haus. Dessen Größe erschließt sich dem Besucher erst beim Rundgang. Das hat einen einfachen Grund: Das Museum ist in vier früheren aschkenasischen Synagogen untergebracht, die baulich nicht nur miteinander verbunden sind, sondern ineinander fließen. Zumindest gewinnt man diesen Eindruck.

Um kurz einen historischen Überblick zu geben, der dem Direktor in kürzerer Zeit gelingt, als er an dieser Stelle zu lesen sein wird: Das älteste Gebäude, so weiß es der handliche Guide in Buchform, ist die Große Synagoge, die 1671 eröffnet wurde. Die zweite, die „obbene Schul“, stammt aus dem Jahr 1685 und verdankt diesen Namen ihrem Standort oberhalb einer Schlachterei, die später zum Bad für die rituellen Waschungen, der Mikwe, umgebaut wurde. In der oberen Synagoge ist nun das Kinderhaus untergebracht. Die „dritte Schul“ wurde um 1700 auf dem Platz eines bestehenden Wohnhauses errichtet. Die neue Synagoge wurde 1752 eingeweiht. Nach der NS-Besatzung, während der die rund 100.000 Amsterdamer Juden fast vollständig ermordet wurden, standen die Gebäude zum Teil zerstört und geplündert leer. 1987 wurde der Komplex endlich neu erweckt und das Museum eröffnet.

Natürlich gibt es auch eine Schaufläche für Wanderausstellungen, aktuell waren beim Besuch die verstörenden Werke des südafrikanischen Künstlers William Kentridge zu sehen, der sich mit dem Thema Unterdrückung, Folter und Gewalt beschäftigt und dem international immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Es ist vor allem der zum Teil fast spielerische Umgang mit dem Judentum Hollands, der diesen Ort so sehenswert und empfehlenswert macht. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Holland bietet auch einen guten Blick auf die Jahrhunderte alte Tradition Amsterdams als Handelsmetropole – und auf einen Ort, der sich in Sachen religiöser Toleranz trotz dunkler Kapitel deutlich von deutschsprachigen und betont katholischen Ländern unterscheidet. Das berühmte Verbot religiöser Verfolgung in der Union von Utrecht 1579 gehört da ebenso dazu wie das spätere Verbot von Ghettos.

Es waren vor allem portugiesische Juden, die nach Amsterdam zogen und hier dann ihre Synagoge bauten, die neben dem Museum steht und in ihren Ausmaßen an eine christliche Kathedrale erinnert. Dass das großartige Bauwerk nicht von den Nazis zerstört wurde, hat einen zynischen Grund: Die NS-Verwaltung wollte hier die jüdischen Holländer zur Deportation sammeln. Es war dann doch zu viel Licht in diesem Gotteshaus, das – ohne Heizung – heute im Sommer als Synagoge genutzt wird.

Im Museum selbst wird an die Schoah mit modernen Mitteln wie einem beeindruckenden Film erinnert, genau so wie an die tausenden Juden, die wie die berühmte Anne Frank untergetaucht waren und zum Teil entdeckt und ermordet wurden. Daneben werden auch unbekannte Entwicklungen in der jüdischen Geschichte des Landes dargestellt. Etwa die jüdische Frauen- und Proletarier- Bewegung um 1900, die sich gegen das Establishment wandte. Oder das Schicksal jener Überlebenden des NS-Massenmordes, die nach der Gründung Israels auswanderten und Holland immer verbunden blieben. Direktor Cahen ist einer ihrer Nachfahren. Nur ist er wieder da und führt ein jüdisches Museum, das bereits mehr ein Kultur- und Bildungszentrum ist. Pläne hat er übrigens noch viele, vom Schoah- Center und Schoa-Museum bis zur Weiterentwicklung seines Hauses. Oder besser: seiner Häuser.

Jüdisches Museum Amsterdam
Nieuwe Amstelstraat 1
1011 PL Amsterdam
T (020) 5 310 310
F (020) 5 310 311
www.jhm.nl
Öffnungszeiten:
Täglich von 11 bis 17 Uhr
Eintrittspreise:
12 Euro, ermäßigt 6 Euro

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