Mauthausen: Entwicklung einer Gedenkstätte

Kein anderer Ort steht so sehr für den österreichischen Umgang mit Geschichte.
Von Thomas Stern

1945 von Amerikanern befreit, danach der Sowjetunion übergeben und seit 1947 unter österreichischer Verwaltung, rückt Mauthausen einmal im Jahr in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Jeden Mai finden die Befreiungsfeiern statt. Umrahmt von Teilen des offiziellen Österreich, trifft sich die Community. Seit Jahrzehnten das ewig gleiche Bild des ewig gleichen Österreich. Aber eben nicht nur Österreich. Tausende sind da, hauptsächlich Ausländer. Traditionell viele Italiener, in steigendem Maß Osteuropäer. Die Inszenierung ist bemerkenswert, berührend sicher nicht. Die Feiern sind bei allem Bemühen der Organisatoren in einem Ritual erstarrt, das keinen Raum für Emotionalität zulässt. Der Sonntag im Mai ist vorbei, die Zeitungen bringen in ihren Artikeln die Aufzählung der teilnehmenden Regierungsmitglieder, und Ruhe kehrt ein in Mauthausen.

Seit Jahrzehnten war das so, doch 2013 ist anders. Eine Woche vor den Befreiungsfeiern wurde die neue Ausstellung eröffnet. Noch staatstragender, noch mehr Regierungsmitglieder, noch mehr Staatsgäste. 500 handverlesene Teilnehmer, ein eigenes Festzelt, Legionen internationaler Presseleute. Der ungarische Präsident sprach vom demokratischen Ungarn, der österreichische vom demokratischen Österreich, man verstand sich auf höchster Ebene. Das alles wäre ohne großen Erinnerungswert an den Besuchern vorübergegangen, wenn nicht die letzten Überlebenden breiten Raum in dieser Feier gehabt hätten. Dreißig von den immer weniger werdenden Zeitzeugen standen im Mittelpunkt, brachten Gegenstände der Erinnerung. Auch das war ritualisiert, aber schon aufgrund der Fokussierung auf das Erlebte und Überlebte ein anderes Signal.

Die Neugestaltung

Neues Denken, das auch die Neugestaltung prägt. Zeitzeugeninterviews bilden auch das Rückgrat der Erinnerung. 30 Videos personalisieren Geschichte und machen Vergangenheit erlebbar. Getragen vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes sowie dem Institut für Konfliktforschung und geleitet von Gerhard Botz, wurden bereits vor über zehn Jahren mehr als 800 Interviews mit Überlebenden durchgeführt und dokumentiert. Schon kurz nach der Erstpräsentation 2003 sollten weitere Forschungsprojekte auf Grundlage dieser Oral-History- Sammlung stattfinden. Mit wissenschaftlicher Arbeit, die in den nächsten Jahren ermöglicht werden soll, richtet sich die Vermittlungsarbeit in und um Mauthausen auf der Basis der Wissenschaftlichkeit aus – der zweite Strang der Neuorientierung.

Die Rezeption der Gedenkstätte ist mit einem Namen besonders verknüpft: Hans Maršálek. Selbst ehemaliger politischer Häftling im KZ, schrieb er das für Jahrzehnte gültige Standardwerk über die Geschichte Mauthausens, gestaltete die 1970 eröffnete erste Ausstellung und war auch im zuständigen Innenministerium für die Gedenkstätte verantwortlich. Seine persönliche Betroffenheit prägte nicht nur sein Leben, sondern auch die inhaltliche Positionierung der Gedenkstätte. Die Konzentration auf politische Häftlinge und das Verharren in den Denkmustern der Nachkriegszeit beeinflusste nicht nur die Wahrnehmung von Mauthausen in der Öffentlichkeit, sondern dominierte auch den Ort selbst. Nach Maršáleks Pensionierung 1976 blieb die Ausstellung, wie auch das gesamte Gelände, jahrzehntelang unverändert. Es gab zwar immer wieder Ansätze für eine Neugestaltung, unzählige Diskussionen und Kommissionen befassten sich mit Veränderungen – doch es kam nicht dazu. Die Mauern bröckelten, die Anlage verfiel.

Bis 2000 plötzlich der politische Wille da war, und damit auch die budgetären Mittel. Schon 2003 wird das Besucherzentrum, innerhalb des Lagergebiets, aber außerhalb des jetzigen Kernbereichs, eröffnet. Neue Infrastruktur mit Filmsälen, Seminarräumen und einer provisorischen modernen Ausstellung wird geschaffen. Die alte Ausstellung rückt aus dem Fokus des Besuchsprogramms, dafür wird die pädagogische Begleitung zum Zentrum der Bemühungen.

Seit 1949 „öffentliches Denkmal“, wird Mauthausen über Jahrzehnte zu einer der größten Bildungseinrichtungen. 200.000 Besucher kommen jährlich, etwa die Hälfte sind Schülerinnen und Schüler, viele davon aus dem Ausland. Ein österreichischer Geburtsjahrgang zählt ungefähr 80.000 Personen, 60.000 österreichische Schüler besuchen pro Jahr die Gedenkstätte. Und der Anspruch an die Qualität des Besuchs steigt ständig. Seit 2009 liegt ein pädagogisches Konzept vor, und es wird auch umgesetzt. Professioneller Vermittlerpool, pädagogische Materialien, Lehrerfortbildung und -beratung, Erneuerung der Führungskonzepte und nun eine neue Ausstellung.

Die neue Ausstellung

Von der Errichtung des Lagers über die Zwangsarbeit und die Außenlager bis zum Massenmord wird die Geschichte des Lagers klassisch, multimedial und auch anhand von 100 Objekten dokumentiert. 14 Forschungsprojekte unter der wissenschaftlichen Leitung von Bertrand Perz haben dafür in den letzten Jahren die Grundlagenarbeit geleistet. Ergänzend wird das Lager auch in den Kontext der Geschichte des Nationalsozialismus gesetzt und die Nachkriegsgeschichte thematisiert.

Mauthausen steht für Vernichtung durch Arbeit, doch wenn man das Gelände heute besucht, sieht man nur blühende Landschaften. Diesem Kontrast widmet sich der zweite Teil der Ausstellung. „Der Tatort Mauthausen – Eine Spurensuche“ stellt das aktuelle Bild des Lagerareals und seines Umfelds erstmals in den Kontext der systematischen Verbrechen.

200.000 Menschen wurden nach Mauthausen verschleppt, ungefähr 90.000 starben dort und in den zahlreichen Außenlagern. Unter den Nazis wurden sie anonymisiert, mit Nummern versehen und ermordet. Nun wird ihnen zumindest das Gedenken an ihren Namen zurückgegeben. Im „Raum der Namen“ finden sich 81.007 Opfer in Blättersammlungen und einer Großinstallation wieder.

Der Respekt vor den Opfern bestimmt auch die Gestaltung der Gaskammer, des Hinrichtungsraums und der Krematorien. Früher direkt begehbar, sind sie nun zum Teil nur mehr von außen zu besichtigen, und gerade diese Distanz verstärkt den unmittelbaren Eindruck.

Vier Jahre hat es gedauert, bis alles fertig war, von der Konzeption über die wissenschaftlichen Basisarbeit und die Recherche der Namen bis zum Bau und der eigentlichen Gestaltung der Ausstellung. Und 1,7 Millionen Euro betrug das Projektbudget, zu dem man die internen Kosten noch addieren muss.

Diese Ausstellung ist klar durchdacht, offen und sensibel gemacht. Und diese Ausstellung beschönigt nicht. Eigentlich eine völlig unösterreichische Entwicklung.

GESTALTEN STATT VERWALTEN

Seit 2007 leitet die Historikerin DDr. Barbara Glück die KZ-Gedenkstätte Mauthausen.

NU: Was treibt die Veränderung der Gedenkstätte?
Glück:
Die Veränderung des Zugangs und des Umgangs mit dem Thema, nicht nur innerhalb der Gedenkstätte, sondern in der gesamten Gesellschaft. Es ist eine andere Generation, die nicht erlebt hat, wie das Thema in der Schule totgeschwiegen wurde, die auch nicht im Mythos von Österreich als erstem Opfer des Faschismus erzogen wurde. Und natürlich haben sich auch der Wissensstand und die didaktischen Möglichkeiten entwickelt. Begreifen und verstehen – und nicht nur lernen –, dazu braucht es diesen Ort.

Was ist die Kernfunktion der Gedenkstätte?
Mauthausen ist nicht nur Gedenkstätte, sondern auch Museum und Friedhof. Und es findet auch hier ein Generationenwechsel statt; wer erzählt die Geschichte, wenn die Zeitzeugen nicht mehr da sind? Das bedeutet für uns, deren individuelle Geschichte zu bewahren, an dem Ort und mit dem Ort Geschichte zu erzählen.

Wie geht die Entwicklung weiter?
Unser nächster Fokus ist das Außengelände. Die Besucher gehen an den Wiesen vorbei und wissen nicht, dass damals hier das größte Massensterben stattgefunden hat. Unsere Aufgabe ist es, das zu ändern.

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