In „Emile – Erinnerungen eines Vertriebenen“ porträtiert Rainer Frimmel den Evolutionsbiologen Emile Zuckerkandl. Und dieser wiederum seine Großmutter Berta.
VON MICHAEL PEKLER
Ein Film, der den Namen seines Hauptdarstellers trägt und doch in erster Linie von jemandem anderen erzählt. Emile Zuckerkandl sitzt in seinem Wohnzimmer in einem Sofasessel und erzählt von seiner Großmutter: „Sie war vielleicht der besonderste aller Menschen, die um mich waren als Kind.“ Von „ungemeiner Intelligenz und Güte“ sei sie gewesen, und er wird niemanden erwähnen, der jemals ein schlechtes Wort über Berta Zuckerkandl verloren hätte. Als er gefragt wird, ob es eine Rivalität zwischen seiner Großmutter und Alma Mahler gegeben habe, winkt der alte Mann im weißen Hemd und dunklen Pullover energisch ab. Zu so etwas sei Berta gar nicht imstande gewesen, im Gegenteil war sie der anderen gegenüber zu nachsichtig. Er selbst war „in gewisser Beziehung mit Alma nicht sehr einverstanden. Wir haben uns aber immer gut vertragen.“ In jenen Tagen war er außerdem noch ein kleiner Bub in Purkersdorf.
Zu Beginn des Films sieht man den 2013 verstorbenen Emile Zuckerkandl allerdings am anderen Ende der Welt, wo ihn seine lange Lebensreise hinführte. Zuckerkandl fährt mit dem Auto durch das kalifornische Pasadena und schimpft über die Architektur. „Amerika ist ja so uninteressant. Diese Gebäude, die heißen gar nichts. Sie sind schön, wenn sie am wenigsten auffallend sind.“ Und der Anblick der Palmen lässt ihn an seine 1945 in Paris gestorbene Großmutter denken. „Berta hat Palmen nicht gern gehabt. Sie hat sie als dumm empfunden. Ein Stamm mit nichts daran und dann etwas ganz oben.“
Emile Zuckerkandl, geboren 1922 in Wien und aufgewachsen neben dem Sanatorium Purkersdorf, besuchte bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr regelmäßig seine Großmutter. Berta Zuckerkandl-Szeps, Tochter des Zeitungsverlegers Moritz Szeps, führte bis 1938 einen Literaten- und Künstlersalon, in dem sich die Wiener Prominenz die Klinke in die Hand gab. Für Emile eine großartige Gelegenheit, seine Notizhefte mit Autogrammen, Widmungen und Fotografien zu füllen. Wenn ihn der Filmemacher Rainer Frimmel nun fragt, welche Erinnerungen er an diesen oder jenen prominenten Gast habe, beeindruckt Emile mit unglaublichem Wissen über Details.
Auf Holz klopfen
Stefan Zweig, Alban Berg, Ödön von Horváth, Max Reinhardt, Carl Moll und Alma Mahler-Werfel sind nur einige Namen, die dem kleinen Emile etwas in seinen Tagbüchern hinterließen. Auch Kardinal Innitzer ward gesehen. Die Religion spielte bei den jüdischen Zuckerkandls nämlich keine Rolle. „Ich war nie gläubig“, so Emile, und als späterer Evolutionsbiologe kann man sich das auch gar nicht anders vorstellen. „Meine Eltern auch nicht. Meine Großmutter auch nicht. Sie war nur etwas abergläubisch. Aber das ist alles. Sie musste immer auf Holz klopfen.“ Spricht und lacht wie ein kleiner Bub.
Rainer Frimmel ist Emile Zuckerkandls Großneffe. Als er ihn kurz vor seinem Tod in Kalifornien besucht, wird eben dessen Nachlass in Kartons verpackt und nach Wien, in die Österreichische Nationalbibliothek, transportiert. Das persönliche Archiv mit den unzähligen Autografen ist ein Schatz. Obwohl die Jahre nach der Flucht in Frankreich, in Algerien und später in den USA angesprochen werden, wo Zuckerkandl – Albert Einstein intervenierte für ein Visum – eine wissenschaftliche Karriere als Begründer der molekularen Evolution machte, gehört der Hauptteil des Films Zuckerkandls Jugend. Frimmel beschränkt sich in der Inszenierung auf einfachste Mittel, um von den Erinnerungen nicht abzulenken: Eloquent und lebhaft erzählt Emile, streitet ein bisschen mit seiner geliebten Frau Jane, die sich in der letzten halben Stunde neben ihn setzt, improvisiert am Klavier – und wirkt zufrieden. Aber verzeihen kann er nicht.
Eine der schönsten Einträge in seinen Tagebüchern stammt von Egon Friedell. Ein großer, starker Mann, der sich aus dem Fenster stürzte, als die Nazis an seine Türe klopften. „Wenn die Menschen jetzt, wo sich endlich herausgestellt hat, dass das Geld Dreck ist, nicht draufkommen, dass das Geld Dreck ist“, so Friedell, „so verdienen sie nicht, dass das Geld ein Dreck ist.“
„Emile – Erinnerungen eines Vertriebenen“
ab 21. September im Metro Kinokulturhaus