Der israelische Botschafter Dan Ashbel verlässt Österreich nach mehr als vier Jahren. Im Abschiedsinterview mit NU spricht er über die Veränderungen in Österreich, die Angriffe gegen sein Land, über das Israel-Bild, das er vermitteln will, und über ein Leben ohne Bewachung.
Das Gespräch führten Danielle Spera und Peter Menasse. Fotos: Jacqueline Godany
NU: Herr Botschafter Ashbel, Sie verlassen nach ihrer vierjährigen Amtszeit Österreich. Mit welchen Gefühlen kehren Sie nach Israel zurück?
Ashbel: Wenn man in meinem Beruf in einem Land ankommt, weiß man, dass man auch bald wieder weggehen muss. Daher kommt das für mich jetzt nicht überraschend. Andererseits habe ich von meinen rund 35 Jahren im diplomatischen Dienst mehr als sieben in Wien verbracht. Drei in den 1980er Jahren und jetzt war ich exakt vier Jahre und sieben Monate hier. Ich hatte also die Möglichkeit, das Land besser kennenzulernen. Damit ist natürlich viel Schönes verbunden. Man kennt sich aus, man liest oder hört die Untertöne viel besser.
Wie sehen Sie den Unterschied zwischen den 1980er Jahren und Ihrer jetzigen Periode?
Für israelische Diplomaten, für Israelis überhaupt, lag das Wien der 1980er Jahre am Ende einer Sackgasse. Damals waren für Israelis alle Grenzen um Wien herum abgeriegelt, ausgenommen jene in Fahrtrichtung Westen – jedenfalls für israelische Diplomaten. Außerdem war Wien nicht so wohlhabend, wie es heute ist. Obwohl es noch immer viele Wiener gibt, die weiter raunzen und sich beklagen. (Lacht.) Wien ist inzwischen auch viel internationaler geworden. Auch aus diesem Grund bietet es heute ein ganz anderes Bild. Als ich 2005 wieder nach Wien gekommen bin, hatte ich nicht das Gefühl, dass ich 16 Jahre weg war, sondern eher 16 Tage. Die Geschäfte waren die gleichen, ja, sogar die Bedienung beim Heurigen war die gleiche, nur ist sie inzwischen ein bisschen älter geworden. Bei meinem ersten Einsatz in den 1980er Jahren war Israel in Österreich nur mit einem Geschäftsträger vertreten. Das war damals nach der Wahl Waldheims, also in einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen Israel und Österreich sehr gespannt waren. Als ich jetzt vor mehr als vier Jahren wieder nach Österreich gekommen bin, hatten wir wieder eine schwierige Zeit hinter uns, aber doch Beziehungen auf dem Niveau eines Botschafters und das ändert natürlich einiges auch in der täglichen Atmosphäre.
Sie haben im Interview mit NU vor drei Jahren bedauert, dass man hierzulande immer noch Menschen mit nationalistischen Parolen einfangen kann. Hat sich das zum Besseren geändert oder eher verstärkt?
Ich glaube, dass die Parolen, die rund um die letzten Wahlen benutzt worden sind und die auch jetzt vor den Landtagswahlen wieder aufkommen, ein Problem sind. Es kommt mir so vor, als ob man in Österreich nicht darauf vorbereitet wäre, als ob man nicht wüsste, dass diese Form des Nationalismus existiert und dass man darauf reagieren wird müssen. Es gibt keinen Mechanismus, der sich mit diesem Phänomen beschäftigt, da fehlt doch einiges. Daher taucht immer wieder die gleiche Frage auf: Ist das jetzt in Ordnung? Oder wie der Kaiser einmal gesagt hat: Dürfen’s denn das? Die Parolen gibt es anderswo auch, aber die Vergangenheit dieses Landes gebietet eine größere Empfindlichkeit gegenüber der Anwendung von xenophoben und antisemitischen Parolen.
In den letzten Monaten haben sich ja sehr unerfreuliche Dinge in Österreich gehäuft, jetzt ganz abgesehen von Martin Graf, der hier Dritter Nationalratspräsident ist, gab es Zwischenfälle in Mauthausen, Störmanöver in Auschwitz. Muss man sich in Österreich als Jude unbehaglicher fühlen als noch vor einiger Zeit?
Ich kann die Frage nicht leicht beantworten, denn es besteht ein Unterschied zwischen mir und einem Juden, der in Österreich lebt. Ich bin als Gast hier. Ich muss mich damit nicht abfinden, denn ich kehre nach Hause zurück. Als Österreicher, der hier lebt, muss man sich damit befassen. Ich glaube, diese Erscheinungen sind gefährlich, sie sind gefährlich für die Gesellschaft. Sie zeigen ein fehlendes Bewusstsein bezüglich der Geschichte. Damit deuten sie auf die Gefahr hin, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Daher müssten sich alle Verantwortlichen in diesem Staat dazu bekennen, klare Worte zu sprechen und klare Taten zu setzen. Die Position des öffentlichen Lebens gegenüber Fremdenhass und Antisemitismus muss klar und deutlich sein.
Bei Diskussionen über den Nahostkonflikt werden wir of mit der Frage konfrontiert, warum Israel bei seinen Gegenschlägen auch Kinder ermordet, warum die Zivilbevölkerung nicht geschont wird. Ist Israel in eine Rolle gefallen, die man von diesem Land eigentlich nie erwartet hätte?
Was mich an der Fragestellung stört: Was heißt Kinder ermorden? Wenn jemand einen Terrorakt in einem Kaufhaus verübt, dann ist das Mord – ein Mordanschlag, der bewusst gegen die zivile Bevölkerung gerichtet ist. Wenn ein Land wie Israel sich gegen Angriffe verteidigt und es trotz aller Bemühungen zu zivilen Opfern kommt, ist das schrecklich und bedauerlich, aber es ist eine Realität, die in jedem Krieg vorkommt. Man muss deutlich sagen, dass Krieg schlecht ist. Da muss man nicht nur in den Nahen Osten schauen, das sieht man in Afghanistan, das hat man im Kosovo gesehen. Wenn durch NATO- Truppen Zivilisten oder Kinder getötet werden, spricht man von einem tragischen Irrtum, wenn es die israelische Armee betrifft, fragt man, warum sie Kinder ermorde. Krieg ist schlecht und wenn man uns nur die Möglichkeit gäbe, in Frieden mit unseren Nachbarn zu leben, würden wir sie sofort ergreifen. Wir haben oft bewiesen, dass wir bereit sind, viele Zugeständnisse zu machen, um Frieden zu erreichen, aber ein Staat kann es sich nicht leisten, dass seine Zivilbevölkerung täglich unter Beschuss ist. Er muss seine Bevölkerung verteidigen. Wir gehen so vorsichtig wie möglich damit um, aber man muss auch sehen, dass die Hamas die Zivilbevölkerung als Schutzschild benutzt. Wir beschäftigen uns intensiv mit der Frage, wie wir vorgehen sollen. Wir haben auch die Operationen im Gaza analysiert, um es bei einem nächsten Mal besser zu machen.
Israel wird immer wieder verleumdet, siehe das Beispiel in Schweden, wo die Zeitung Aftonbladet einen angeblichen Organraub an Palästinensern behauptet, ohne das auch nur im Geringsten zu belegen.
Es ist leider so: „Jews are news.“ Ich möchte nur gerne wissen, wie Schweden reagieren würde, wenn so etwas Ähnliches über das Land in einer israelischen Zeitung stünde. Hier gilt es schon abzuwägen zwischen der wertvollen Pressefreiheit und einer Freiheit zur Verleumdung. Wenn jemand in einem vollen Saal „Feuer“ schreit und eine Massenpanik auslöst, kann er sich auch nicht auf die Redefreiheit berufen. Nun, auch wenn Schweden die Pressefreiheit achtet, sollte es doch erlaubt sein, dass ein Politiker Kritik an dieser Art von Medienberichterstattung übt. Die schwedische Botschafterin in Israel hat kritisiert, dass Aftonbladet einen Bericht mit nicht geprüften Behauptungen veröffentlicht. Und was ist passiert? Sie wurde von ihrem Außenministerium gerügt.
Hat sich das Image Israels in Österreich in den letzten Jahren positiv verändert? Wenn man sich z. B. Tel Aviv Beach anschaut, dort erlebt man einen unglaublichen Zulauf …
Ich hoffe, dass es sich zum Positiven hin verändert hat. Wir haben uns sehr viel Mühe gegeben, mit dem Tel Aviv Beach, der Israel-Straßenbahn oder der Ausstellung „Tel Aviv – Die weiße Stadt“ im Architekturzentrum. Es geht uns darum, die Wahrnehmung von Israel nicht ausschließlich auf den Nahostkonflikt zu beschränken. Die Österreicher sollen die Möglichkeit bekommen, einen neuen Blick auf Israel zu werfen und festzustellen: „Ah, da gibt es noch was. Vielleicht sollte ich mir das noch besser anschauen und kennenlernen.“ Nur ein Beispiel: In wenigen Tagen wird im Tiroler Pitztal eine Einrichtung eröffnet, wo eine israelische Firma Schnee für Österreich produzieren wird. Ja, es gibt eine israelische Firma, die Schneekanonen herstellt, die im Gegensatz zu den üblichen Erzeugnissen auch bei höheren Temperaturen funktionieren. Die üblichen Schneekanonen können nämlich erst bei Temperaturen von minus 4 Grad zu arbeiten beginnen. Und darauf weise ich gerne hin, dass wir Israelis in Österreich Schnee produzieren. Ich möchte den Österreichern mein Land Israel näher bringen und die beiden Länder freundschaftlich miteinander verbinden.
Was werden Sie als Nächstes tun?
Ich kehre erstmal zurück nach Hause, kann aber noch keine konkrete Aufgabe nennen. Ich werde jedenfalls zurück in Jerusalem sein, zurück bei meinen Kindern und Enkelkindern.
Und wie wird das sein, wenn Sie ganz ohne Bewachung durch die Straßen gehen können?
Herrlich wird das sein, für meine Frau und für mich. Es ist schon traurig, dass ein israelischer Botschafter geschützt werden muss. Was mich daran vor allem stört, ist, dass Leute es als selbstverständlich ansehen, dass unter allen Botschaftern ausgerechnet der israelische Botschafter beschützt werden muss. Wenn man das als selbstverständlich nimmt, akzeptiert man es als Normalität. Ich finde es nicht normal.
Wenn Sie zwei Wünsche aussprechen könnten, einen Wunsch für Österreich und einen Wunsch für Israel, wie würden sie lauten?
Mit einem Wunsch für Israel tue ich mir leicht. Wir sehnen uns alle – und besonders jemand wie ich, der fast genau so alt ist wie der Staat Israel – ganz einfach nach Frieden. Er wäre der Schlüssel für eine erhebliche Veränderung sowohl in Israel als auch in der ganzen Region. Das ist meine größte Hoffnung, und mein größter Wunsch. Zu Österreich: Was soll man einem Land wünschen, das fast alles schon hat? Es soll ganz einfach auf dem Höhepunkt bleiben, auf dem es sich befindet.
Und freuen Sie sich auf die israelische Innenpolitik?
Nein.