Ioan Holender hat neunzehn Jahre hindurch die Geschicke der Wiener Staatsoper gelenkt. Als König der Oper ist er fast allen Österreichern bekannt. NU hat mit ihm nun über seine wirkliche Leidenschaft gesprochen: Das Tennisspiel. Aber natürlich auch ein wenig über die Oper.
Von Peter Menasse (Text) und Jacqueline Godany (Fotos)
Der letzte Donnerstag im Februar 2014. Ein aufgeregter ORF-Sportredakteur spricht vom wichtigsten Ballereignis der Saison, weil die Fußballmannschaft aus Salzburg gerade jene von Ajax Amsterdam spielerisch zerlegt. Ein weiterer ORF-Reporter wird bald ebenso enthusiastisch vom Opernball berichten und ihn das allerwichtigste Ballereignis des Jahres nennen. Doch das wirkliche Highlight im Reigen der Bälle findet an diesem Tag ganz ohne Fernsehübertragung in der unscheinbaren Tennishalle des WAC im Wiener Prater vor gezählten vier Zuschauern statt. Ioan Holender, der Inbegriff des Operndirektors, ignoriert den Ball der Eitelkeiten an seiner früheren Wirkungsstätte. Er drischt lieber den kleinen, weißen Ball mit viel Gefühl und riesigem Ehrgeiz.
Später wird er über den Opernball sagen „Ein normaler Mensch geht doch nicht nach zehn Uhr nachts zu einer Veranstaltung. Die Fernsehübertragung ist eine echte Landplage geworden, wo jedes Jahr vom selben Platz dieselben Menschen von gleichen Typen dieselben Fragen gestellt bekommen und auch jedes Jahr dieselben Antworten geben. Also dort gehe ich sicher nicht freiwillig hin“ und auf die Nachfrage, von wem er sich begleiten ließe, wenn er doch hinginge: „Ich würde niemanden mitnehmen, weil ich kenne niemanden, der mitgehen würde“.
Noch aber sind wir beim Doppel der älteren Herren, unter ihnen auch der vergleichsweise noch jugendliche, ehemalige Sportchef des ORF, Hans Huber, die sich da ein heißes Match liefern, als ginge es um den Titel von Wimbledon. „Nein“ schreit Holender, wenn er einen Ball nicht erreicht. Laut schreit er das und langgezogen, so laut, dass ein Spieler am Nebenplatz vor Schreck seinen Aufschlag weit ins Out setzt. Huber hetzt Holender, Holender hetzt Huber, es herrschen unerbittliche Naturgewalten. Oder sie lassen sich zumindest erahnen. „Na geh, Huber“, kritisiert sich Huber selbst. „Nicht auf mich“ ruft Holender, als er einen Ball verfehlt, und sein Partner, von den Mitspielern Kurti genannt, schüttelt verzweifelt den tief gesenkten Kopf und sagt resigniert an sich selbst gewandt „Kurti, Kurti“. Es ist ein Ringen zwischen Siegeswillen und Depression, zwischen überbordendem Ehrgeiz und tiefer Resignation.
Nach dem Match, das keinen Sieger gefunden hatte, weil die gebuchte Spielstunde zu früh zu Ende ging, setzt sich Holender zu mir an den Tisch im Buffet des WAC. Der Klub ist ja dank einer bekannten Schriftstellerin als „SC Schneuzl“ schon eindrucksvoll in die Literatur eingegangen und präsentiert sich genau so, wie man sich ihn nach dieser Lektüre vorstellt. Dort spielen ein paar ältere Männer Karten, da tauschen ein paar Damen den letzten Tratsch aus und über allem liegt der angejahrte Charme längst verflossener, ruhmreicher Zeiten. Holender ist das alles egal. Er ist ein Tennissportler und braucht nicht mehr, das stellt er gleich klar: „Über die Oper diskutiere ich sicher nicht, weil in die Oper gehe ich nur, wenn ich muss und sonst nicht. Zum Diskutieren und zum Kämpfen und zum Ärgern und vor allem auch um Freude zu haben, war immer Tennis mein Thema“. Und in der Tat hat Ioan Holender sein ganzes Leben hindurch Tennis gespielt, nicht immer nur aus reiner Freude, sondern in seinen frühen Jahren auch der Not gehorchend.
Seine Kindheit war von den beiden großen Terrorregimes des 20. Jahrhunderts geprägt. Die ersten Lebensjahre standen unter dem Schatten der Nazis, denen er und viele andere rumänische Juden nur deswegen nicht zum Opfer fielen, weil die Rumänen die Kooperation mit ihren Verbündeten viel weniger ernsthaft betrieben, als das in anderen Ländern der Fall war. Dann kamen die drei glücklichen Jahre der Freiheit, bis Anfang 1948 die Kommunisten die Macht übernahmen. Jetzt galten die Holenders als Besitzer einer kleinen Fabrik mit ein paar Angestellten als Ausbeuter und der junge Ioan als ein „Mensch mit ungesunder Abstammung“. Auch seine Leidenschaft für das Tennis wurde scheel betrachtet, denn es galt den Kommunisten als „bürgerlicher weißer Sport“, der erst dann Akzeptanz fand, als ein junger Tennisspieler namens Illie Nastase seine Siegesserie begann und bald alle wichtigen internationalen Turniere gewann.
Da war Holender allerdings bereits aus Rumänien weggezogen. Man hatte ihm wegen seiner „kleinbürgerlichen Herkunft“ und seiner „konterrevolutionären Äußerungen“ die Zulassung zur Universität entzogen und ihm, weil „politisch unzuverlässig“, schließlich sogar verboten, zum Broterwerb jungen Menschen Tennisstunden zu geben.
In Wien begann er dann seine unaufhaltsame Karriere, die ihn am Ende zum „längst gedienten“ Staatsoperndirektor führte. Er mag diesen „Dienerbegriff“ allerdings so ganz und gar nicht und nennt sich lieber „den am längsten im Amt verbliebenen Leiter der Staatsoper“.
Am Anfang stand – was sonst – das Tennis. Der blutjunge Holender wurde dem legendären Schriftsteller, Regisseur und Theaterdirektor Ernst Lothar empfohlen und vom diesem auch empfangen. „Ernst Lothar war ein schlecht gelaunter, mürrischer, hoch intellektueller Mann. Er fragte mich, was ich könne und ich erzählte ihm alles, nebenbei auch, dass ich Tennislehrer war. Da sagte er ‚Na immerhin, wenigstens etwas. Gehen Sie ins Burgtheater und melden Sie sich unter Berufung auf mich‘“.
Man spielte im Akademietheater das Weite Land und da brauchte man einen Tennisspieler, der hinter der Bühne die Bälle hin und her spielt. „Ich hatte keine Ahnung über das Weite Land, es war das die berühmte Aufführung mit Hörbiger und Wessely, Thimig und anderen. Dort gibt es eine Tennispartie und ich war jedenfalls wahnsinnig stolz darauf, dass ich an diesem Theater spielen sollte. Auf meine Frage, was ich anziehen solle und ob ich da ein Tennisgewand als Kostüm bekäme, sagte mir der Regieassistent ‚Anhaben können Sie, was Sie wollen, man sieht sie ohnehin nicht. Der Herr Hofrat will nur, dass der Ball hin und her geht, glaubhaft in einem Tempo, wie beim Tennis, nicht zu schnell und nicht zu langsam‘“.
Von diesem spielerischen Beginn weg führte ihn seine Karriere schließlich in die Staatsoper, die er von 1992 an 19 Jahre hindurch führte. Auch hier ließ er sich den Mund nicht verbieten. Unter anderem nutzte er das Jubiläum von 50 Jahren Wiedereröffnung der Oper, um über die Geschichte des Hauses in der Nazi-Zeit arbeiten zu lassen: „Weil es gab ja zwischen 1938 und 1945 die Oper auch und es gab auch Österreich in einer anderen Form und unter einem anderen Namen. Aber ich war der Erste, der diese Jahre nicht ausgeklammert hat, als ob es sie nie gegeben hätte. Da gab es dann eine Ausstellung zum Gedenken an alle, die 1938 die Oper verlassen mussten, mit den bekannten Folgen. Manche sind ermordet worden, manchen hat man ihre Existenz geraubt. Diese meine Aktivitäten haben nicht jeden nur gefreut. Es ging auch um eine sachliche Darstellung der Geschichte der Wiener Philharmoniker, der Vergabe des Ehrenringes an den ehemaligen ‚Gauleiter von Wien‘ Baldur von Schirach, dann nochmals an seinen Sohn Richard, weil der Ring verloren gegangen war. Ich fand einfach, dass man alles aussprechen sollte, was mit der Geschichte dieses Hauses zu tun hatte“.
Auch heute noch ist Ioan Holender viel beschäftigt. Er berät unter anderem die „Metropolitan Opera“ New York und das Spring Festival Tokyo und gestaltet eine Kultursendung in Servus TV. Aus dem ehemaligen „Konterrevolutionär“ des kommunistischen Rumäniens ist ein Ehrenbürger seiner Heimatstadt Timişoara geworden. Das Leben hat dem jungen Mann die Bälle anfangs wild um die Ohren gespielt. Er aber hat die Herausforderung angenommen und mehr als gut retourniert. Vielleicht erklärt das seinen heute noch so lautstarken Ehrgeiz beim Tennismatch.
Jetzt rutscht er schon unruhig auf seinem Sessel im WAC-Buffet herum und ruft der Kellnerin zu „Zahlen bitte, Domenica! Sehr laut waren Sie!“ Unser Gespräch ist zu Ende. Herr Holender hat wieder eine lange Hose an und eilt zu großen Taten.