Von Erwin Javor
Seit Kurzem haben wir auch eine Wohnung in Tel Aviv. Mir ist nicht ganz klar, ob ich dazu Ferien- oder Zweitwohnung sagen soll oder, Gott behüte, gar Alterswohnsitz. Egal. Vorläufig jedenfalls. Wenn man eine Wohnung renoviert, vieles neu baut, alles neu ausstattet, rechnet man schon damit, dass nicht alles gleich sofort wie geplant oder wie gewünscht funktioniert. Man ist ja Realist. Aber manchmal stößt man an Grenzen seiner kühnsten Fantasien, wenn die Realität wirklich zuschlägt. Wir haben da zum Beispiel einen Lift in dem Haus eingebaut, der alle Stückln internationaler Hightech- Baukunst spielt. Er verhindert, dass man Treppen steigen muss, er fährt einen, auf und ab, er hat ein Sicherheitssystem eingebaut, mit Telefon, Alarm, Verbindung zu einem Callcenter, zur Polizei und Experten, ein technologisches Meisterwerk. Meine Frau und ich haben uns also überhaupt nicht gewundert, dass dieser Lift uns auch zeigen wollte, was er kann. Pünktlich um 23 Uhr wollte er Aufmerksamkeit.
Modemwählgeräusch: Düt tüt düt düdtüt! Düüüüüt! DÜÜÜÜÜÜÜT!!!!!! Pause. DRRRRRRRRRRRRRRR!!!!!! Laut. Sehr laut. Die Übertragung in voller Lautstärke in unser Schlafzimmer funktionierte hervorragend. Pause. Gott sei Dank! Beruhigende Kaufhausmusik brach aus, begleitet von einer professionell beruhigenden Tonbandstimme, die auf Hebräisch vermutlich so etwas in der Art von „Regen Sie sich nicht künstlich auf, alles wird gut“ von sich gab. Dann plötzlich eine offenbar menschliche Live-Stimme. Träge, gelangweilt fragte sie, natürlich ebenfalls auf Hebräisch, … äh … ja irgendwas halt, genau weiß ich es auch nicht. Na gut. Ich wusste, ich musste nun aus dem Bett steigen und mich der Dame im Lift widmen. Ich zog mich notdürftig an, ging zum Lift und versuchte auf Englisch der Stimme klar zu machen, dass es sich offensichtlich um einen Fehlalarm handelte, dass alles in Ordnung wäre und sie den Krawall ab- und einstellen möge. So hatte ich mir das jedenfalls vorgestellt. Sie nicht. Erst das Verhör. Englisch war auch für sie eine Fremdsprache, aber sie zog das in voller Pracht durch. „Wie heißen Sie, wie lautet Ihre genaue Adresse, Ihre Telefonnummer, soll ich den Monteur gleich oder morgen schicken, das kostet extra, wie möchten Sie zahlen? Der Monteur kommt gleich.“ Ich antwortete geduldig, vollständig und wahrheitsgemäß und ging zurück ins Bett, zufrieden, wieder einmal eine Situation virtuos gemeistert zu haben.
Fünf Minuten später: Modemwählgeräusch: Düt tüt düt düdtüt! Düüüüüt! DÜÜÜÜÜÜÜT!!!!!! Pause. DRRRRRRRRRRRRRRR!!!!!! Laut. Sehr laut. Die Übertragung in voller Lautstärke in unser Schlafzimmer funktionierte noch immer hervorragend. Pause. Gott sei Dank! Die beruhigende Kaufhausmusik brach wieder aus, begleitet von der professionell beruhigenden Tonbandstimme, die, natürlich auch diesmal auf Hebräisch, vermutlich wieder etwas in der Art von „Regen Sie sich nicht künstlich auf, alles wird gut“ von sich gab. Dann plötzlich wieder eine menschliche Live-Stimme. Diesmal eine andere. Auch die fragte, träge, gelangweilt auf Hebräisch … äh … wieder irgendwas halt. Na gut. Ich wusste jetzt schon, wie’s weiterging und versuchte es mit kreativer Effizienz, indem ich sie wissen ließ, dass die Antworten auf alle Fragen, die sie mir gleich stellen würde, bereits von ihrer Kollegin dokumentiert worden wären, und alles, was sie zu tun hätte, wäre den Stecker zu ziehen, damit wir in Frieden schlafen könnten. Stoisch setzte sie mir trotzdem das Messer an: „Wie heißen Sie, wie lautet Ihre genaue Adresse, Ihre Telefonnummer, soll ich den Monteur gleich oder morgen schicken, das kostet extra, wie möchten Sie zahlen? Der Monteur ist schon unterwegs und wird sofort da sein.“ Stille. Stille? Aaaaah!
Fünf Minuten später: … Nachdem Sie ja jetzt schon wissen, wie es geht, und NU sparen muss und nicht so viele Seiten verschleißen kann, diese „Düt tüt düt düdtüt! Düüüüüt! DÜÜÜÜÜÜÜT!!!!!! Pause. DRRRRRRRRRRRRRRR!!!!!! … Der Monteur wird sofort da sein.“- Nummer wiederholte sich und wiederholte sich und wiederholte sich. Um 1 Uhr 17 packte meine wunderbare Ehefrau das Nötigste in eine Tasche, murmelte etwas von fortgeschrittenem Tinnitus, verließ grußlos die Wohnung und dann das Haus – vorsichtig, wie sie ist, jedoch über das Stiegenhaus.
Ich blieb aber nicht lang allein. Schon um 2 Uhr 51 kam der Monteur, der schon seit Stunden sofort da sein würde, besichtigte aufrichtig an jedem Detail interessiert unsere neue Wohnung, gratulierte mir von Herzen, wie wunderschön alles wäre, war ganz begeistert, dass wir den selben Herd hatten wie er, mit dem er übrigens sehr zufrieden wäre, obwohl er ja eigentlich ein ganz anderes Modell im Auge gehabt hätte. Er zeigte mir Fotos seiner Enkel, ich zeigte ihm Fotos von meiner Familie und unsere Aufzugsdamen unterhielten sich einstweilen untereinander. Düt tüt düt düdtüt! Düüüüüt! DÜÜÜÜÜÜÜT!!!!!! Pause. DRRRRRRRRRRRRRRR!!!!!! Meine liebende Frau war inzwischen reuevoll zurückgekehrt, kochte dem Monteur Kaffee, machte ihm ein kleines Frühstück, fand heraus, wen er in Wien kannte, wie er darauf kam, gerade dieses Herdmodell zu wählen und kein anderes, und fand ihn ebenso nett wie er uns.
Als die Sonne mehr und mehr durch unser Küchenfenster blinzelte, erwähnte Igor, unser Lieblingsmonteur, dass er sich mit diesem neuen Aufzugsmodell leider überhaupt nicht auskennt und verließ uns, aber nicht ohne festzuhalten, dass wir uns sehr bald wieder sehen müssten, am besten bei ihm zu Hause zum Schabbat, damit seine Frau uns auch kennenlernen könnte.
Düt tüt düt düdtüt! Düüüüüt! DÜÜÜÜÜÜÜT!!!!!! DRRRRRRRRRRRRRRR!!!!!! Diesmal waren wir geradezu dankbar dafür, weil wir hatten schon Angst, dass wir aus purer Erschöpfung doch einschlafen würden und dann unseren Morgentermin mit Schlomo, dem Satellitenexperten, verpassen könnten. Mit dem hatten wir uns auch schon gut angefreundet, und sein sechsjähriger Neffe liebte die Mozartkugeln, die wir ihm regelmäßig zukommen ließen, immer wenn Schlomo bei uns war und etwas nicht installiert oder nicht repariert hatte.
Schlomo kam auch pünktlich, eineinhalb Stunden nach dem vereinbarten Termin, knapp vor dem Mittagessen, stellte mit einem Handgriff wortlos den Krach im Aufzug ab und umarmte mich herzlich aber schuldbewusst. Er hatte mir nämlich beim Leben seiner neuen Freundin geschworen, dass er es hinkriegen würde, dass ich in Israel österreichische Bundesligaspiele sehen könnte. Das brachte und brachte er aber nicht zusammen. Als Wiedergutmachung hatte er mir daher eine Zeichnung seines Neffen mitgebracht und installierte mir, kostenfrei, sechzehn Pornokanäle, von denen ich lediglich nur vier wegen Gefährdung des Appetits wieder aufgeben musste.
Zur Nachmittagsjause gingen wir dann in die in ganz Tel Aviv weltberühmte Konditorei Café Meersand, die häufig von Deutschsprachigen wie uns frequentiert wird. Eine fast ebensolche – sie kam aus der Schweiz, die uns am Nebentisch zuhörte, stellte sich uns schließlich als „Sprachgefährtin“ vor, fragte, woher wir kämen und was wir hier täten. Ich erklärte ihr, dass unser Lebensmittelpunkt in Österreich, in Wien, wäre, aber dass wir immer wieder nach Israel kämen, um uns von den politischen Unappetitlichkeiten dort zu erholen und wieder aufzutanken. Die Schweizerin lachte und seufzte: „Und mein Lebensmittelpunkt ist hier in Israel, und ich fliege regelmäßig zurück nach Zürich, um dort wieder aufzutanken.“ Und jetzt verstehe ich auch den Grund warum trotz Weltwirtschaftskrise die Flüge von und nach Tel Aviv immer überbucht sind!