„Heute ist jetzt und nicht damals“

Für Hannah Lessing benötigen Besuche in Auschwitz eine tiefergehende Vorbereitung. Für den österreichischen Pavillon soll gezielt ein komplettes Programm für Jugendliche entwickelt werden. © ALEX HALADA / AFP / picturedesk.com

Hannah Lessing, Generalsekretärin des Österreichischen Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus, zur neuen Österreich-Länderausstellung in Auschwitz-Birkenau und zur Schoah-Namensmauern-Gedenkstätte.

Von Danielle Spera

NU: Bereits im Jahr 2009 erging der Auftrag der Republik an den Nationalfonds, die Länderausstellung Österreichs in Auschwitz neu zu entwickeln und zu gestalten. Jenseits von Covid, wieso hat es so lang gedauert bis zur Umsetzung?
Lessing
: Die Frage sollte man umgekehrt stellen: Wieso hat es bis 2009 gedauert, dass man an eine neue Ausstellung gedacht hat? Als ich 2005 das erste Mal in der Gedenkstätte war, habe ich die ungeheure Energie dieses Orts empfunden. Es war ein Gefühl, als ob sich aus der Erde die Hände der Ermordeten hilfesuchend emporrecken würden. Dann bin ich in den österreichischen Pavillon gegangen und sah die Tafel – deutsche Stiefel marschieren über Österreich, als Sinnbild der Opferrolle Österreichs. Da ist man dann perplex. Es wurde schließlich ein Banner aufgestellt, das die Geschichte dieser Tafel im historischen Kontext erklärte. 2011 haben dann die ersten Gespräche für die Neugestaltung begonnen.

Was waren die Herausforderungen?
Die Blocks sind zweistöckig, und im Bereich, den Österreich verantwortet, befand sich darüber die Ausstellung von Jugoslawien, die nach dem Zerfall des Landes geschlossen wurde. Der Block musste saniert werden, und es stellte sich die Frage der Sanierung des gesamten Gebäudes. Von polnischer Seite werden höchste Ansprüche gestellt, vor allem, weil die Gedenkstätte unter Denkmalschutz steht und man immer wieder überprüfen musste, ob nicht irgendwo noch Spuren der originalen Bausubstanz aus der Lagerzeit oder Habseligkeiten der Häftlinge verborgen sind. Dann ging es auch um die technischen Details, also um Genehmigungen, Ausschreibungen, etc.

Wie war die Zusammenarbeit mit Polen?
Hier ist unser Ansprechpartner in erster Linie das Museum Auschwitz selbst. Und da gibt es strenge Vorgaben, was den Inhalt betrifft. Wort für Wort wird durchgegangen und geprüft, in enger Abstimmung mit den Beiräten in Österreich. Da gab es Diskussionen über Formulierungen, aber auch darüber, inwieweit man die Täterinnen und Täter überhaupt erwähnt. Jede Verhandlung fand auf Deutsch und Polnisch statt. Das dauert entsprechend lang.

Auschwitz steht für sich selbst – wozu braucht man eigentlich Länderausstellungen?
Diese Frage haben wir uns zu Beginn des Projektes auch gestellt. Angesichts der Energie dieses Ortes würde es sich fast anbieten, einen leeren Raum zu öffnen und Auschwitz auf diese Weise wirken zu lassen. Aber wir hatten den Auftrag, eine Ausstellung zu konzipieren. Eine Länderausstellung stellt immer den Bezug zwischen Auschwitz und den Ereignissen in den Ländern her, aus denen die Menschen deportiert wurden. Man stellt damit automatisch die Frage: Was ist bei uns zuhause passiert und wie konnte es so weit kommen?

Gab es Kontakt mit anderen Ländern, die in ihren Pavillons Ausstellungen gestaltet hatten? Vor allem mit Yad Vashem, die allerdings über ein wesentlich größeres Budget verfügten. Es gab auch baulich bei uns eine Herausforderung, weil ein Originalkamin gefunden wurde, darin verborgen Gabeln und Messer, die dort von Häftlingen versteckt worden waren. Diese Originalmauern im Raum zu verschieben, war eine bauliche Meisterleistung. Hier hatten wir einen österreichischen Baumeister, der Erfahrung von der Neugestaltung der Gedenkstätte Mauthausen mitbrachte und einen polnischen Bauunternehmer, der auch den israelischen Pavillon saniert hatte. Er ist ein profunder Kenner der Gegebenheiten.

Haben die Besucherinnen und Besucher die Zeit, oder auch das Interesse, sich in Auschwitz einen Länderpavillon anzusehen?
Jährlich besuchen 4000 Österreicherinnen und Österreicher Auschwitz. Die Frage ist, wie viel Zeit will man sich nehmen. Wir wollen aktiv und ganz gezielt Schülerinnen und Schüler einladen und ein komplettes Programm entwickeln. Wir setzen stark auf Vermittlung, die vor Ort allerdings vorwiegend vom hauseigenen Museumspersonal durchgeführt wird. Doch Besuche in Auschwitz brauchen tiefergehende Vorbereitung. Daher wollen wir in erster Linie auf die Vorbereitung der Schulklassen, aber auch der Vermittlerinnen und Vermittler fokussieren.

Wäre nicht ein Holocaust-Museum in Wien angemessener und würde es nicht wesentlich mehr Menschen erreichen?
Ein Holocaust-Center wäre sicher zusätzlich wünschenswert, denn es gibt viele Organisationen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Allerdings finde ich ein jüdisches Museum wesentlich wichtiger. Denn Jüdinnen und Juden sollten nicht nur mit dem Holocaust assoziiert werden – ihre Geschichte sollte vielmehr als Teil der österreichischen Geschichte gesehen und verstanden werden.

Was soll und kann der Pavillon leisten, gerade im Hinblick auf Holocaust Education beziehungsweise den Kampf gegen Antisemitismus?
Im österreichischen Pavillon wird an einem einzigartigen, authentischen Ort ein wichtiges Stück österreichische Geschichte erzählt. In der Länderausstellung werden alle Opfergruppen berücksichtigt, insofern ist dieser Lernort auch im Sinne eines Tolerance Center zu verstehen. Wir müssen uns aber immer vor Augen führen, dass der Antisemitismus nicht mit dem Holocaust begonnen hat und danach auch nicht zu Ende gegangen ist.

Ein Besuch in Auschwitz ist bis heute eine emotionale Herausforderung. Mein Vater hat mir immer gesagt, nach Auschwitz müssen wir nicht, wir wollen dort nicht hin. Seine Mutter, meine Großmutter ist in Auschwitz ermordet worden. Erst 2005 war ich zum ersten Mal im Rahmen einer IHRA-Konferenz in Auschwitz. Es war für mich sehr emotional. Ich konnte dort einen Stein für meine Großmutter hinlegen und Kaddisch sagen. Als dann auch noch eine Gruppe israelischer Kinder die Hatikva gesungen hat, musste ich einfach weinen. Meinem Mann hatte ich eingeschärft, mich nicht anzurufen. Er hat es doch getan und mir gesagt, ich wollte, dass dich das Klingeln daran erinnert, dass heute jetzt ist und nicht damals. Damit hat er es sehr gut auf den Punkt gebracht

Im Herbst wird nicht nur die Länderausstellung in Auschwitz eröffnet, sondern auch die Schoah-Namensmauern-Gedenkstätte. Hier hat es gerade Kritik in vielfacher Hinsicht gegeben, allerdings von Historikern, die durchwegs anonym bleiben wollen.
Auf anonyme Kritik reagiere ich nicht. Diese Kritik ist weder sachlich noch fundiert. Ja, es ist vermutlich unvermeidlich, dass die Liste der Namen niemals vollständig sein kann, oder dass manche Namen anders geschrieben sind. Die Namen der Opfer der Schoah müssen dem Vergessen abgerungen werden. Ob ein Entwurf als zeitgemäß empfunden wird, oder ob man sagt, er ist zeitlos, das ist Geschmackssache. Das Projekt stammt von Kurt Tutter, den ich vor mehr als 20 Jahren kennengelernt habe, als das Holocaust-Mahnmal von Rachel Whiteread auf dem Judenplatz errichtet wurde. Damals gab es natürlich keine Diskussionsmöglichkeit über ein weiteres Mahnmal. Ich bin auf der Suche nach Umsetzungsmöglichkeiten mit Kurt Tutter zu unzähligen Politikerinnen und Politikern gepilgert. Erst vor einigen Jahren ist es gelungen, das Projekt in Gang zu bringen. Bundeskanzler Kurz meinte, das machen wir jetzt, und gemeinsam mit anderen Beiträgern, darunter die Bundesländer und die Stadt Wien, wurde die Finanzierung ermöglicht.

Es gibt aber tatsächlich bereits das Holocaust-Mahnmal auf dem Judenplatz.
Ja, aber dort sind nur die Namen der Tötungsorte zu finden, nicht die Namen der Opfer. Jeder Name auf der Namensmauer steht für einen individuellen Menschen, für ein geraubtes Leben. So wie Kurt Tutter dann endlich einen Ort haben wird, wo er seiner Familienmitglieder gedenken kann, ihre Namen berühren kann, werden wir als Nachfahren diesen Ort dann auch haben. Und Wien wird ein verlorener Teil seiner Geschichte zurückgegeben. Die Namensmauer, für deren Umsetzung jetzt federführend Bundesministerin Edtstadler zuständig ist, steht an einem Ort, an dem täglich hunderte Studentinnen und Studenten vorbeigehen werden. Sie sehen die 65.000 Namen, das ist wirklich beeindruckend. Ein Name neben dem anderen! Ich bin sicher, dass viele dann beginnen nachzudenken. Es ist wichtig, dass sie sich auf diesem Weg unserer Geschichte bewusst werden.

Die Namensmauer-Gedenkstätte wird auf dem Areal des Ostarrichi-Parks errichtet. Auf den Steinmauern werden rund 65.000 Namen von im Holocaust ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden eingraviert. © National Fonds
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