Israelische Politikerinnen und Politiker sind nicht weniger ausweichfreudig als österreichische. Doch das israelischen Fernsehen lässt ihnen weniger Spielraum für Ausflüchte. Politik und Medienbranche sind hier kommunizierende Gefäße.
Von Maria Sterkl (Israel)
Manche finden Politikerinterviews mühsam. Besonders dann, wenn sie live gesendet werden und die Antworten eher einem Geratter an Stehsätzen ähneln als einer verständlichen Reaktion auf das Gefragte. Erfahrene Politiker sind geschult darin, auszuweichen, um mehr Platz für ihre eigenen Positionen zu haben. Sendezeit ist knapp, also empfiehlt sich, sie nicht mit dem Beantworten unangenehmer Fragen zu verschwenden. Gute Interviewer versuchen, die Ausweichmanöver in Grenzen zu halten. Sollte es nach mehreren Nachfragen immer noch keine Antwort geben, dann helfen sie sich manchmal damit, den Eskapismus der Interviewten wenigstens offenzulegen: „Ich sehe, Sie wollen meine Frage nicht beantworten.“
Israelische Politiker sind nicht weniger ausweichfreudig als österreichische. Der Stil, in dem Live-Interviews geführt werden, ist aber ein ganz anderer. Man spricht Dinge direkter, unverschämter, frecher an. Das liegt zum einen daran, dass auch in der Alltagskommunikation weniger verblümt gesprochen wird. Anstatt „Entschuldigung, können Sie mir sagen, wie ich in die Trumpeldor-Straße komme“, heißt es: „Frage! Wo ist Trumpeldor?“
Die Kommunikation ist direkter, das bedeutet aber nicht, dass sich Politiker auch gerne direkt äußern. Sie haben es aber, zumindest im öffentlichen Rundfunk, in Israel oft deutlich schwerer, mit ihrem Themenslalom auf Kurs zu bleiben.
Ironischer Unterton
Ein Beispiel aus einem Interview mit einem früheren Minister aus Benjamin Netanjahus Likud-Partei, in einer der beliebtesten Polit-Talkshows im Morgenfernsehen und -radio des öffentlichen Senders KAN, Kalman & Liberman. Der Politiker bekommt eine Frage gestellt, er beginnt, sie zu beantworten. Er lenkt nicht einmal von der Frage ab, drückt sich aber etwas umständlich aus. Noch bevor er sich warmgeredet hat, unterbricht ihn der Interviewer und sagt: „Antwort habe ich jetzt aber keine bekommen.“ – „Aber warum, ich habe doch eine Antwort gegeben“, verteidigt sich der Minister, worauf der Interviewer sagt: „Ja, aber keine, die mir gefällt.“ Das ist nicht Arroganz, sondern ein ständiger ironischer Unterton, der den Interviewern mehr Möglichkeiten gibt, das Heft in der Hand zu behalten – indem sie signalisieren, dass sie niemanden wirklich ernst nehmen, weder den Interviewer noch sich selbst.
Bei vielen Interviews wird zu Beginn erst einmal gefragt: „Hallo, wie gehts?“ Und wenn der Politiker oder die Politikerin mit „ausgezeichnet“ antwortet, kommt sofort die Nachfrage: „Wie ist das möglich, angesichts der aktuellen …“ a) Koalitionskrise, b) parteiinternen Streitereien, c) schwierigen Verhandlungen oder c) sonstigen Herausforderungen. Und letztere gibt es in der israelischen Tagespolitik zur Genüge.
Keine Stehsätze bitte!
Wird in Österreich nach konkreten politischen Positionen gefragt, kommt oft die Antwort, man wolle „den Verhandlungen nicht vorgreifen“, oder man werde „alles tun, um sicherzustellen, dass …“, wobei nur dieselben abstrakten Fernziele wiederholt werden, die man im selben Interview bereits dreimal gehört hat. In Israel sind diese Stehsätze weniger häufig zu hören, was auch daran liegen mag, dass die Interviewten geschickter darin sind, Fragen mit Gegenfragen zu beantworten oder die Interviewer mit neuen, ebenfalls interessanten Aspekten zu vertrösten – am Ende hat man zwar keine Antwort bekommen, spannend war es trotzdem.
Dazu kommt, dass es in Israel meist kein Geheimnis ist, welche politische Position ein bestimmter Journalist, eine bestimmte Journalistin vertritt. Das geht so weit, dass die Moderationen von Polit-Talkshows oft gezielt von einem Zweiergespann aus linkem und rechtem Journalisten besetzt werden. So kann man selbst bei faden Politikergesprächen sichergehen, dass immerhin die beiden Moderatoren miteinander hitzig diskutieren.
Den meisten Interviews haftet der Ton eines verbalen Schulterklopfens an. Gäbe es im Hebräischen eine gebräuchliche Sie-Form, hörte man sie in TV-Interviews wohl kaum. Interviewer und Interviewte kennen einander oft sehr gut, und das liegt hier weniger daran, dass Journalisten und Politiker einander spätabends zum Konsumieren legaler oder illegaler Genussmittel treffen, sondern eher daran, dass Politik und Medienbranche in Israel kommunizierende Gefäße sind.
„Hallo Minister Levin“
Dass Politiker und Politikerinnen ins Mediengeschäft wechseln und umgekehrt, ist hier keine Seltenheit, eher ist es der Regelfall. Premierminister Jair Lapid war bis zum Start seiner Politikerkarriere Zeitungsjournalist, Talkshow-Host und TV-Nachrichtenmoderator. Er tat es seinem Vater Tommy gleich, der ebenfalls von der Medienbranche in die Politik gewechselt war. Die aktuelle Verkehrsministerin und Chefin der Arbeiterpartei, Merav Michaeli, war lange Zeit Journalistin, bevor sie ins Parlament, die Knesset, wechselte. Selbiges gilt für Nitzan Horowitz, Gesundheitsminister und bis vor kurzem Chef der Linkspartei Meretz. In Netanjahus Likud-Partei waren allein vier der Kandidaten für die letzten Vorwahlen im Sommer bis kurz vor ihrer Kandidatur politische Kommentatoren in den Studios der TV-Kanäle 12 und 13.
Journalisten und Politiker kennen einander gut – was nicht unbedingt bedeuten muss, dass man einander auch ausstehen kann. „Hallo Minister Levin“, so begrüßte Talkshow-Moderatorin Shelly Jakimovich, eine langjährige Journalistin, dann Politikerin und Chefin der Arbeiterpartei, dann wieder Journalistin und nunmehr öffentliche Privatperson, ihren Interviewpartner Yariv Levin, einen loyalen Parteifreund des On-Off-Regierungschefs Benjamin Netanjahu. Das Interview fand kurz nach Jakimovichs Rückkehr in die Medienbranche statt, und nachdem sie Levin live auf Sendung begrüßt hatte, sagte sie: „Stell dir vor, vor kurzem saßen wir im Parlament noch nebeneinander.“ – „Ja“, antwortete der rechtskonservative Levin der links-feministischen Jakimovich, „und ich wette, du vermisst mich nicht.“
Als die linke Umweltministerin Tamar Zandberg bekannt gab, bei der Wahl im November nicht mehr antreten zu wollen, luden Kalman und Liberman sie in die Sendung ein. Doch als Zandberg live dazugeschaltet wurde, hörte man vor allem ein weinendes Kleinkind, und im Hintergrund die Stimme der Politikerin. Nur einen kleinen Moment, bat Zandberg, dann sei sie bereit fürs Interview. „Weißt du was“, antwortete Interviewer Liberman, „nimm dir ruhig länger Zeit. Wir machen einfach zwei Minuten Werbeblock.“