Der Literatur-Nobelpreis für Peter Handke sorgt seit seiner Bekanntgabe für mediale Turbulenzen. Zwei Positionen anlässlich der eben erfolgten Überreichung.
„Mir kommt vor, ich bin doch ein Leser oder vielleicht sogar ein Schreiber von dem, was Goethe Weltliteratur genannt hat. Wenn dann das Nobelkomitee so entscheidet, dann sind sie auf keinem ganz schlechten Weg, dass die Weltliteratur was bedeutet“, sagte Peter Handke. Doch just an ihm, dem Vielschreiber und Polemiker, dem zornigen Rebell und Wortweltenwanderer, dem Monolithen der deutschen Literatur und Tiefenschürfer, dem glücklich Verfemten und Vermessungskünstler von weltliterarischem Rang, wie ihn das deutschsprachige Feuilleton metaphernreich umschreibt, entbrannte eine wochenlange, heftige Diskussion über die Entscheidung des Nobel-Komitees und das Verhältnis zwischen Kunst und Politik, Ethik und Ästhetik. Handke, der 1996 Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien und den Essay Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise veröffentlichte, um andere Perspektiven auf Ursachen und Folgen des Balkankrieges zu eröffnen. Er verurteilte die Nato-Luftangriffe, zieh westliche Medien der Lüge und hielt 2006 eine Grabrede für Slobodan Milošević. Im selben Jahr bezeichnete er freilich auch das Massaker von Srebrenica als das „schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg“.
Kann man Literatur und Autor voneinander zu trennen? Nein, finden etwa der amerikanische PEN-Club und die Gesellschaft für bedrohte Völker. Der französische Philosoph Alain Finkielkraut schimpft Handke ein „ideologisches Monster“, Salman Rushdie wirft Handke vor, sich im großen Stil zum Komplizen des Bösen zu machen. Die wütende Auseinandersetzung erinnert an Ezra Pound, einen der bedeutendsten US-amerikanischen Dichter und Wortkünstler des vorigen Jahrhunderts. Der politische Irrweg des ebenso unbelehrbaren wie tragischen Mussolini-Anhängers, der in den USA der Todesstrafe wegen Landesverrates nur deshalb entging, weil man ihn für geisteskrank erklärt hatte, überstrahlt bis heute seine poetische Brillanz.
„Zerlach den Konflikt“, hatte Peter Handke Anfang der achtziger Jahre in seinem dramatischen Gedicht Über die Dörfer geschrieben, und es klingt angesichts der heftigen Kontroverse um ihn wie eine prophetische Handlungsanleitung. Doch niemand lacht, auch der Dichter nicht: Von keinem höre er, „dass er irgendetwas von mir gelesen hat, dass er weiß, was ich geschrieben hab“. Ja, der Dichter darf verlangen, dass man sich mit seiner Literatur auseinandersetzt. Denn sie allein spricht für sich – und für (oder gegen) ihn. „Es ist bestürzend, welcher Hass sich über einen Autor und sein Lebenswerk ergießt, der konsequent und radikal ohne erkennbaren Vorteil für sich selbst, vielmehr sogar noch zum eigenen Schaden, die Autonomie seiner schriftstellerischen Existenz gegen die an ihn und alle anderen Schriftsteller/innen gerichteten Erwartungshaltungen behauptet“, heißt es in einer von namhaften Autorinnen und Autoren unterzeichneten Erklärung.
Vor allem – aber nicht nur – in sozialmedialen Schnellgerichten kochen halbgebildete Vorurteile, Teil(un-)wissen und Gehässigkeiten auf großer Flamme. Schriftstellerkollegen und Intellektuelle toben und loben. „Meines Erachtens ist es sinnvoll, eine klare Grenze zwischen einem politischen, ideologiekritischen, ethisch suchenden Diskurs und der Beschreibung und Gestaltung einer persönlichen Erfahrung zu ziehen“, schrieb etwa Henrik Petersen, Mitglied des Nobelkomitees. Zwar habe Handke in der Balkanfrage „eine Art politisches Kamikazemanöver“ vollführt, doch sein gesamtes Werk – „radikale, ideologiekritische Poetik“ – sei antifaschistisch: „Eine harte Welt braucht Schriftsteller, die es mit ihr aufnehmen können. Große Literatur muss belohnt werden.“
Und in der Zeit analysierte die Schriftstellerin Eva Menasse: „Wir haben es nicht mit einem in der Wolle gewirkten Nationalsozialisten, Mörderversteher und Faktenverdreher zu tun, sondern mit einem zum ‚Tatzeitpunkt‘ 1996 berühmten Literaten auf politischen Abwegen. Dieser Unterschied ist bedeutsam. Die Literaturgeschichte ist voll von solchen.“
Peter Handke, unerschütterlicher Wanderer wider den literarischen und politischen Mainstream, sagte einmal, er sei „ein Idiot im griechischen Sinne, ein Nicht-Dazugehöriger“. Jetzt gehört er zu den Literaturnobelpreisträgern – endlich, wie Elfriede Jelinek sagt, die den Preis 2004 erhielt: „Er wäre auf jeden Fall schon vor mir dran gewesen.“ Schließlich werde nichts anderes als die literarische Qualität ausgezeichnet, „der große Dichter Handke hat den Nobelpreis zehnmal verdient. Wenn alle in eine Richtung rennen, müssen die Künstler als Einzige in die andre, das ist nicht nur ihr Recht, sondern ihre Pflicht, auch wenn ihnen dabei noch so viele entgegenkommen, die keineswegs entgegenkommend zu ihnen sind.“