Es war die Woche der Helene Maimann. Anfang November stellte sie zwei ganz unterschiedliche Projekte vor, die sie in der ihr eigenen Art nicht nur in herausragender Qualität, sondern noch dazu in rasender Geschwindigkeit produziert hatte: Ein Kochbuch, gefüllt mit Lebensweisheiten, und einen Film über die Jugend von Arik Brauer.
Von Danielle Spera
Es ist nicht irgendein Kochbuch und auch nicht irgendein Film. Die ORF-Produktion Arik Brauer – eine Jugend in Wien bietet Einblicke in ein Kapitel aus dem Leben des österreichischen Universalkünstlers, das vielen Menschen bisher nicht bekannt war. Helene Maimanns Film über das Aufwachsen von Arik Brauer in den 1930erbis 1950er-Jahren in Wien gehört zu den einfühlsamsten, ehrlichsten und aufschlussreichsten Dokumentationen, die vermutlich je über diese Zeit gedreht worden sind. Sie präsentiert eine Seite des Wiener jüdischen Universalgenies, die bisher nur wenigen Menschen bekannt war. Arik Brauers jüdischer Vater wurde im KZ ermordet, er bleibt mit seiner Mutter und Schwester in Wien zurück und arbeitet für die Kultusgemeinde (damals „Ältestenrat“). Mit den Berichten Arik Brauers aus dieser Zeit entstehen Einblicke in ein heikles und besonders schwieriges Kapitel dieser Epoche. Brauer erzählt, wie die Einrichtungen der Kultusgemeinde über die gesamte Zeit der Nazi-Diktatur funktionierten. „Die Türen waren nicht abgesperrt, man hätte jederzeit entkommen können, aber niemand wusste, wohin …“, sagt Brauer.
Abgesehen von den zeithistorischen Erfahrungen machen die Überblendungen von Landschaften oder Portraits auf Gemälde von Arik Brauer Lust, in seine Bilderwelt einzutauchen. Alles in allem ein Film, der dringend auf den Lehrplan der österreichischen Schulen gehört.
Eine Fundgrube an Lebensweisheiten
Aber zurück zu Helene Maimanns zweitem Projekt: ihre Streifzüge durch die jüdische Küche, die sie in einem kurzweiligen Buch zusammengefasst hat. Auch dafür war der ORF eigentlich Auslöser. Vor einigen Jahren setzte sie die Idee, für die Sendung kreuz und quer eine jüdische Kochshow zu gestalten, innerhalb von vier Wochen in einen genussvollen Film um, in dem Maimanns Freundinnen ihre speziellen (Geheim-) Rezepte aus der traditionellen jüdischen Küche preisgaben. Aktuell mündet Maimanns Leidenschaft für die jüdische Küche in Gefillte Fisch und Lebensstrudel, eine Reise durch alle Spielarten der jüdischen Kultur und Geschichte. Es ist kein Kochbuch im klassischen Sinn, sondern eine Fundgrube an Geschichten, Anekdoten, guten Witzen, Lebensweisheiten und Kochrezepten. Ganz nebenbei bekommt man tiefe Einblicke in das jüdische Leben, Tradition, Religion und vor allem in die Kaschrut, die koscheren Speisegesetze.
Dass Helene Maimann eine begeisterte Köchin ist, erschließt sich in dem abwechslungsreichen und mit Anekdoten gespickten Buch. Woher stammt eigentlich ihre Liebe zum Kochen und ihr detailreiches Wissen über die jüdische Küche? Maimann kommt aus keinem religiösen Elternhaus, zu Hause wurde zwar sehr jüdisch „gehalten“, aber nicht koscher. Was wurde gegessen? „Nu, was Juden so essen“, sagt Helene Maimann. Die Familie ihres Vaters stammt aus Czernowitz. Er und auch ihre Mutter Friedl waren sehr in ihren Traditionen verwurzelt. Beide waren in England in der Emigration, „daher war das Frühstück bei uns zu Hause immer sehr britisch“, berichtet Maimann in einem Gespräch über ihr neues Buch.
Die jüdische Küche beschreibt sie als Fusionsküche. Wo auch immer Juden lebten, übernahmen sie die lokalen Lebensmittel und die Art, wie sie zubereitet wurden. Durch ihre (erzwungenen) Wanderungen vermischten sich die Essgewohnheiten.
„Goldene Joich“
Den inneren Zusammenhalt der jüdischen Küche bildet die Kaschrut, die koscheren Speisegesetze, die vorschreiben, was gegessen werden darf. Einen Einblick über rein und unrein, über das strenge Regelwerk, was und wie im Judentum gegessen werden darf, gibt Maimann in einem eigenen Kapitel, auch hier mit viel Humor und Augenzwinkern. „Wer nach rationalen Gründen für die Kaschrut sucht, wird sie nicht finden, sie bedürfen keiner Begründung …“ Maimann konstatiert allerdings erstaunliche Parallelen zu einer modernen Ernährung, vor allem, was die geforderte Reinheit der Nahrung anlangt.
Wie sehr Essen und Gesundheit zusammenhängen, zeigt sich nirgends besser als bei der „goldenen Joich“, der Hühnersuppe, die die Juden nicht nur als Gericht, sondern als Medizin schätzen. Den Grund liefert heute die Wissenschaft. Die Hühnerknochen und die Petersilie wirken, wenn sie langsam ausgekocht werden, antibiotisch. Daher heißt die Suppe auch „jüdisches Penicillin“. Und ganz wichtig: „Die Suppe muss heiß sein, dann kann man damit – fast – sogar Tote aufwecken.“
Apropos Gesundheit: Vor dem Einsatz von Gänseschmalz schreckt Maimann nicht zurück, im Gegenteil, in vielen Rezepten, die sie der Leserschaft anbietet, ist Schmalz unumgänglich. Allerdings sagt Maimann: „Schmalz muss man wie ein Parfum einsetzen, in kleinen Dosen!“
Die sephardische, orientalische Küche hat sie in Paris kennen und schätzen gelernt: „Meine ganze Essenserziehung von zu Hause wurde über den Haufen geworfen. Ich begegnete einer Küche, in der ich mich verlor und der ich verfiel. Es ist die Küche des Südens, des Mittelmeers und damit auch der Sepharden.“ Allerdings schickte ihr ihre Mutter auch immer wieder frischen Mohn aus Wien nach Paris, damit sie sich Hamantaschen oder Strudel zubereiten konnte.
Den Unterschied zwischen Aschkenasen und Sepharden beschreibt Maimann kulinarisch und anhand wunderbarer Rezepte, gibt aber auch tiefe Einblicke in die gesellschaftspolitische Situation dieser beiden Lebenswelten. Die Sepharden und die arabischen Juden waren nie isoliert von ihrer Umwelt, lebten in eigenen Vierteln, aber nicht im Ghetto, waren autonom … Verglichen mit den bedrückenden Verfolgungen in Europa führten die Juden unter arabischer und osmanischer Herrschaft ein sicheres, manchmal privilegiertes Leben. Das spiegelte sich in ihrer Küche wider, die ihre Wurzeln in den alten Zivilisationen hat. „Bunt, hedonistisch, farbenfroh, der Sonne und den Freuden des Lebens zugewandt“, so beschreibt Maimann die Sepharden, die Aschkenasen als „abgeschlossen, spirituell, den Innenwelten der heiligen Bücher verschworen“.
In Gefillte Fisch und Lebensstrudel stellt Maimann auch die jüdischen Feiertage und die dazu passenden traditionellen Speisen vor. Egal, wo Juden zusammenkommen, setzen sie sich an einen Tisch und geben sich dem gemeinsamen Essen hin. Dass jüdische Gastgeberinnen immer ein bisschen zu viel kochen, ist legendär. Knauserei gegenüber Gästen ist verpönt, und dass sich nach dem Essen ein gewisses steinernes Gefühl im Bauch breitmacht, ist unausweichlich. Besonders bei Buffet-Einladungen gibt es keine Hemmungen. Da wird aus dem Vollen geschöpft und oft auch eingesteckt. Allerdings beschreibt Maimann auch die Vorschriften über das Verhalten bei Tisch. „Jede Mahlzeit ist ein symbolischer Gottesdienst, mit dem Tisch als Altar, und wird von Händewaschen, Segenssprüchen und Gebeten begleitet … Gläubige Juden essen nie auf der Straße. Laut Talmud benehmen sich so nur die Hunde.“ Auch Trinkgelage gibt es im Judentum nicht. Die wenigsten Juden trinken viel Alkohol. Nicht die Kontrolle über sich zu verlieren ist ein Gebot. Gute Laune ist bei Tisch immer dabei. „Und das ohne Alkohol, was ich für eine große kulturelle Leistung halte“, schreibt Maimann.
Von Avgolemono (Eier-Zitronensuppe) bis Zimmes (Karotten-Apfelgratin) über Krautfleckerl, Gehackte Leber, Kigl, Tscholent, Gänsebraten, Lekach und Mazzekneidl lernt man in diesem Buch Maimanns Lieblingsrezepte ebenso kennen wie Rezepte von Freundinnen, die über Generationen weitergegeben worden sind.
Herausgekommen ist ein unterhaltsames, amüsantes und kurzweiliges Buch, das Lust auf Essen, aber auch auf Kochen macht.
Helene Maimann
ist Historikerin, Autorin und Filmemacherin. Sie kuratierte Ausstellungen zur österreichischen Zeitgeschichte, schreibt wissenschaftliche Publikationen, Essays und Zeitungsartikel, u.a. für NU, gestaltet Radiofeatures und arbeitete bis 2009 als Redakteurin für den ORF. Maimann unterrichtete von 1980 bis 1995 an den Universitäten Wien und Salzburg und heute an der Filmakademie Wien.