Wer zum ersten Mal nach Israel reist, ist überrascht, dass die Bilder im Kopf mit der Lebenswirklichkeit wenig zu tun haben. Ein persönlicher Reisebericht.
Von Theresa Absolon
Im Sommer 2022 reisten mein Mann und ich anlässlich einer Hochzeit zum ersten Mal nach Israel. Ein Land, über das ich viele unterschiedliche Eindrücke gehört hatte; und zu dem so viele Menschen eine Meinung haben, ohne je dort gewesen zu sein. Auch mein Israel-Bild war von Klischees und Vorurteilen geprägt: Meine ersten Vorstellungen entwickelte ich aus christlicher Perspektive, im Religionsunterricht und durch Reiseberichte von Menschen, die Israel auf den Spuren von Jesus bereisten.
Später erst wurde mir bewusst, dass Israel für alle drei abrahamitischen Religionen von Bedeutung ist, und ich fand es spannend, dass in diesem Land die Grenzen der Religionen überwunden werden und diese friedlich koexistieren könnten. Doch schnell kam ich zum Schluss, dass die politische Situation ein friedliches Nebeneinander nicht zulassen würde. Die zahlreichen Konflikte finden großes mediales Interesse. Und wenn man der oft einseitigen Berichterstattung oder gar BDS-Sympathisanten Glauben schenkt, könnte man glauben, in Israel herrsche ein rassistisches Apartheidregime.
Bei den Vorbereitungen unserer Reise bereitete uns die Sicherheitssituation besonders große Sorgen: Kann man in einem Land, in dem jederzeit ein Terroranschlag oder Raketenangriff passieren kann, überhaupt unbeschwert Urlaub machen? Doch schnell stellte sich heraus, dass unsere Bedenken unberechtigt waren. Unsere Unterkunft lag in Old Jaffa, dem arabischen Teil von Tel Aviv. Schon bei der Taxifahrt vom Flughafen weg lernten wir die israelische Lebensfreude kennen. Während aus dem Radio israelische Musik tönte, erzählte uns der arabische Fahrer voller Begeisterung über sein Tel Aviv.
Auch in Old Jaffa waren keine Spuren von der angeblichen Apartheid zu finden, Jüdinnen und Juden saßen in arabischen Geschäften, Araberinnen und Araber kauften beim jüdischen Bäcker ein – sofern man diese überhaupt voneinander unterscheiden konnte. Auch hier war die israelische Lebensfreude allgegenwärtig, tagsüber gab es Musikkonzerte mit ausgelassen tanzenden Besucherinnen und Besuchern, am Strand genoss man Sonne und Meeresbrise und in den Restaurants das hervorragende Essen zu gutem Wein. Mein Mann war sofort schockverliebt in die israelische Küche und hat so manches Rezept in sein Repertoire übernommen.
Nach den dreitägigen, unvergesslichen Hochzeitsfeierlichkeiten wollten wir am letzten Tag Jerusalem erkunden. Die Zugfahrt zwischen Tel Aviv und der heiligen Stadt verlief für uns Neuankömmlinge unkompliziert: Wie überall in Israel waren alle Hinweise am Bahnhof in drei Sprachen – hebräisch, arabisch, englisch – angeschrieben.
Im wesentlich religiöser geprägten Jerusalem waren wir überrascht, welch Fülle an Ausrichtungen innerhalb der Religionen uns hier begegneten. Vor allem aus dem katholischen Österreich kommend, wo man außerhalb größerer Städte höchstens mit dem Protestantismus in Berührung kommt. In der Grabeskirche, die zwischen sechs christlichen Konfessionen aufgeteilt ist, wurde mir die Vielfalt des Christentums erstmals wirklich vor Augen geführt. Weniger erfreulich war hier jedoch das Verhalten einiger Touristen. Der Drang, das perfekte Selfie zu schießen, lässt offenbar manche den Respekt gegenüber Mitmenschen und betenden Menschen vergessen.
Nach einem langen Spaziergang durch die quirlige Altstadt, wo uns die Geschäftsleute alsbald in Gespräche verwickelten, besuchten wir das Österreichische Hospiz. Als wir in dem wunderschönen Gastgarten bei Apfelstrudel und Meindl-Kaffee saßen, ertönte plötzlich das Gebet des Muezzins vom Minarett der Sheikh Reihan Moschee – was eine ganz besondere Stimmung bei uns aufkommen ließ.
Nach so wenigen Tagen wäre es vermessen zu behaupten, dass wir Israel wirklich kennengelernt hätten. Natürlich blieb uns viel verborgen, doch nach dieser Reise ist mein Bild ein anderes: Müsste ich Israel in einem Wort beschreiben, dann wäre es definitiv „Vielfalt“.