Naor Narkis machte als „Pudding-Revoluzzer“ in der deutschen Presse Schlagzeilen. In Israel setzt er sich für eine Senkung der Lebenshaltungskosten ein.
VON JOHANNES GERLOFF, JERUSALEM
Hallo, die Preise müssen runter!
Naor Narkis will mit Drogerie-Artikeln aus Deutschland in Israel ein Geschäft machen. Der 25-jährige Israeli hatte im Oktober 2014 für Furore gesorgt. In einem Berliner Discounter hatte er einen Schokopudding für 19 Eurocent fotografiert und das Foto in Facebook veröffentlicht. In Israel kostet so ein Schokopudding das Dreifache. Narkis forderte seine Landsleute auf: Wandert nach Berlin aus! Dafür wurde er in Israel als „Antizionist“ beschimpft. Als „Pudding-Revoluzzer“ machte er Schlagzeilen in der deutschen Presse.
Jetzt präsentiert sich Narkis auf seiner Facebook-Seite stolz als „Politiker“. Trotz des günstigen Schokopuddings in der deutschen Hauptstadt ist er wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Dort will er sich für eine Senkung der Lebenshaltungskosten einsetzen. Auf seiner Website bittet er Barack Obama, Israelis in den USA arbeiten zu lassen, damit sie sich in Israel eine Wohnung kaufen können. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel solle inzwischen schon mal, so Narkis Vorstellung, für den Rücktritt von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sorgen.
Aber Naor Narkis macht nicht nur Worte. Er lässt auch Taten folgen, wie die Bild-Zeitung treffend bemerkt. Ab dem 1. September bietet er über das Internet deutsche Drogerieprodukte in Israel an. Bis zu 70 Prozent sind seine Angebote billiger, im Vergleich zu dem, was israelische Geschäfte anbieten. Ein Aftershave kostet bei Narkis statt 19 Euro nur 4,50 Euro, ein Mundspülmittel statt 10,25 Euro nur 2,95 Euro. So will er die „Mächte am Markt“ unter Druck setzen, vielleicht auch selbst etwas Kapital schlagen aus dem Wirtschaftsgefälle zwischen Deutschland und Israel. Denn durch den sinkenden Euro wird Europa für Israelis immer günstiger.
Dramatischer Kursverfall
„Jetzt muss man deutsche Autos kaufen“, jubelt Omar Amer, ein arabischer Händler in der Jerusalemer Altstadt. Omar ist begeisterter VW-Fahrer, beklagt sich aber regelmäßig über die hohen Ersatzteil- und Reparaturkosten. Der niedrige Eurokurs senkt die Kosten für sein Auto spürbar. Im gleichen Atemzug seufzt er aber auch: „Heute waren erst zwei Touristen hier. Das ist einfach kein Geschäft.“ Wie die gesamte Tourismusbranche in Israel spürt auch Omar, dass für Europäer, die Israel besuchen, allein durch den Wechselkurs alles deutlich teurer geworden ist.
Ein Priester aus dem griechischorthodoxen Patriarchat gleich um die Ecke betritt das Geschäft in der Christian Quarter Road und hält Omar einen Stapel Dollar-, Euro- und jordanische Dinarscheine hin. Er will sie in israelische Schekel umtauschen. Schweigend zählt der junge Araber dem Mann in der schwarzen Robe das Geld in die Hand. Kaum hat er den Laden verlassen, murmelt Omar seine eigene Wirtschaftsanalyse in den nicht vorhandenen Bart: „Die dummen Deutschen! Weil sie alles für die Griechen bezahlen, ist ihr Euro im Keller und ein Urlaub hier unerschwinglich.“
Anfang Januar 2005 hatte man für einen Euro noch 5,89 israelische Schekel (NIS) bekommen. Im Juli 2015 sank die EU-Währung dann zeitweise auf unter 3,95 NIS. Konkret bedeutet das: Ein europäischer Tourist zahlte für eine Falafel zum Preis von 10 NIS vor zehn Jahren noch 1,70 Euro. Wegen des Kursverlustes muss er jetzt für das israelische Nationalgericht mehr als 2,50 Euro berappen. Wer sein Geld in Euro verdient und in Schekel ausgibt, muss wegen des dramatischen Kursverfalls des Euro und der Stärke des Schekel etwa 30 Prozent Einkommensverlust hinnehmen. Oder umgekehrt: Aufgrund der Euroschwäche muss ein europäischer Tourist heute in Israel fast 50 Prozent mehr bezahlen als vor zehn Jahren.
Finanzieller Kampf ums Überleben
Hinzu kommt nun noch, dass die Lebenshaltungskosten in Israel in den vergangenen Jahren massiv gestiegen sind. Laut Bild-Zeitung soll das von den 8,3 Millionen Einwohnern Israels bis zu einer halben Million Menschen auf die Straße getrieben haben. Der finanzielle Kampf ums Überleben ist in Israel inzwischen so kritisch geworden, dass es bei zwei Neuwahlen zum israelischen Parlament nur noch um die Preise von Hüttenkäse oder Schokoladenpudding ging, während vermeintlich dringlichere Probleme wie Krieg und Frieden in den Hintergrund gerieten.
Auffallend ist, dass vor allem Ausländer in Jerusalem wegen steigender Mietpreise in den vergangenen Jahren immer wieder zum Umzug gezwungen waren. Als Indikator für die steigenden Kosten für ein Leben im jüdischen Staat, ganz unabhängig vom Vergleich zu anderen Währungen, mag die Tatsache dienen, dass Wehrdienstpflichtige der israelischen Armee im Februar 2015 eine Solderhöhung von 25 Prozent bekamen, wobei Kommentatoren darauf verwiesen, dass dies bei weitem nicht ausreiche. Soldateneltern beklagen sich, dass sie die Armee doppelt unterstützen: einmal durch ihre Steuern, und auch, weil sie ihre Kinder durchfüttern und mit Ausrüstungsgegenständen versorgen müssen, die von der Armee zwar verlangt, aber nicht gestellt werden.
Für Israelis, die ihr Geld in Schekel verdienen, nicht zu den unteren Einkommensklassen gehören und keine Kinder in der Armee haben, können sich die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen aber auch günstig auswirken. Der Ben-Gurion-Flughafen verzeichnet trotz niedriger Touristenzahlen ständig neue Rekordzahlen bei den Flugreisenden. Billigflüge nach Prag oder London lassen angesichts der hohen Preise im eigenen Land Wochenend-Shoppingausflüge in Europas Metropolen zu einer lukrativen Freizeitbeschäftigung für betuchte Israelis der Mittelschicht werden. So passierten allein am 13. August 2015 nicht weniger als 80.000 Reisende mit 457 Flügen Israels Tor zur Welt. Im gesamten Monat sind etwa zwei Millionen Menschen über den Ben-Gurion-Flughafen gereist, das höchste je verzeichnete Passagieraufkommen.