„Einen Brief schreiben und sagen ‚Wir entschuldigen uns‘, ist vertrottelt“

Wie kann eine Universität mit ihrem Nazi-Erbe umgehen? Die neue Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, Eva Blimlinger, will neue Wege der Vergangenheitsaufarbeitung gehen.
Von Ruth Eisenreich

NU: Frau Blimlinger, haben Sie schon Bekanntschaft mit der Plattform Geschichtspolitik gemacht?

Blimlinger: Klar. Wir waren schon in Kontakt, bevor ich mich als Rektorin beworben habe, weil die immer wieder meinen Rat wollten, wie sie im Bereich der Provenienzforschung agieren sollen. Jetzt gibt es Kontakt hauptsächlich wegen dem Weinheber- Denkmal.

Zwischen Ihrem Vorgänger Stephan Schmidt-Wulffen und der Plattform herrschte praktisch Krieg. Bei Ihnen ist das anders?

Das ist kein Krieg, gar nicht. Es gibt in manchen Dingen eine inhaltliche Auseinandersetzung, und zwar nicht über die Vorhaben dem Grundsatz nach, sondern wie diese Vorhaben gemacht werden sollen – zum Beispiel wie die Umgestaltung des Denkmals oder die Texte dort ausschauen sollen. Das ist eine äußerst produktive Diskussion. Da gibt es auch einen Diskussionsprozess innerhalb der Plattform, die auch mit anderen Historikern, Historikerinnen und Schriftstellern zusammenarbeitet.

Wo sind Sie unterschiedlicher Meinung?

Bei Kontextualisierungen ist immer die Frage: Welcher Medien bediene ich mich? Was ist erforderlich, um der Kontextualisierung einen Inhalt zu geben? Beschränke ich mich auf ästhetische Mittel, oder benötigt es darüber hinaus einer schriftlichen Erklärung? Das ist immer ein Spannungsverhältnis. Ich bin eher der Meinung, man sollte eine ästhetische Umsetzung finden, die ausreichend ist. Bei dem Weinheber-Denkmal ist das insofern kompliziert, weil es ja keine so bekannte Person ist, dass jeder, der da vorbeigeht, den Kontext kennt. Da gehen viele Touristen vorbei, die – Gott sei Dank – nicht den leisesten Schimmer haben, wer der Herr Weinheber ist. Das heißt, der kriegt durch die Kontextualisierung erst eine Aufmerksamkeit, die ich aber zugleich wieder brechen muss.

Gibt es schon konkrete Pläne, wie die Umsetzung aussehen könnte?

Es gibt eine Einreichung beim KÖR (Kunst im Öffentlichen Raum, Anm.), aber das ist in der Verantwortung der Plattform. Das ist ja ein Denkmal, das von der Stadt Wien betreut wird. Wir unterstützen die Plattform schon, wir können den Künstlern und Künstlerinnen, weil die ja bei uns tätig sind, auch Geld dafür geben, wie wir das bei anderen Projekten auch machen – aber für die tatsächliche Umgestaltung können wir aus unseren Mitteln natürlich nichts geben, weil die für die Universität und nicht für ein Denkmal der Stadt Wien sind. Das muss schon wer anderer zahlen.

Gehen wir einmal die verschiedenen Punkte durch, die die Plattform kritisiert hat. Was ist der Stand der Dinge in Bezug auf Josef Weinhebers Ehrenmitgliedschaft an der Akademie?

Das ist im Prinzip erledigt. Ich habe mir jetzt, auch mit Hilfe der Plattform, die Akten zusammengesucht. Die Akademie hat im August ’45 alle Ehrenmitgliedschaften aberkennen lassen, die während des Nationalsozialismus verliehen worden sind. Wilhelm Furtwängler hatte zum Beispiel eine, die wurde ihm aberkannt. Albert Speer hat die Ehrenmitgliedschaft nicht angenommen, das heißt man brauchte sie ihm nicht aberkennen. Und dann steht in dem Schreiben: „Prof. Dr. h.c. Josef Weinheber ist tot“. Da die Ehrenmitgliedschaft mit dem Tod erlischt, war damit klar, das ist alles aberkannt.

Das war also falsche Aufregung.

Ja. Man muss auch Historiker einbeziehen, die sich mit Akten auskennen. Das habe ich mit der Plattform immer wieder besprochen und das machen sie jetzt auch stärker. Ich verstehe schon, dass man sich über so etwas aufregt, aber dann muss man in einem zweiten Schritt fragen: Wie war das?

Warum hat Albert Speer die Ehrenmitgliedschaft nicht angenommen?

Ehrlicherweise weiß ich das nicht. Mein Verdacht ist: weil Hitler hier abgelehnt wurde. Aber das ist eine reine Vermutung. Da müsste man einmal eine Recherche machen, in Berlin gibt es zu Speer zahllose Dokumente.

Nächster Punkt: Die Anerkennung der von der Akademie vertriebenen Lehrenden und Studierenden.

Dazu bin ich noch nicht gekommen, aber wir werden sammeln, wer das überhaupt ist. Es ist davon auszugehen, dass davon ganz wenige noch leben, und man muss schauen, wie das mit den Nachkommen ist, und dann ein geeignetes Format finden. Dass das nur so eine Veranstaltung oder ein Schreiben wird, wo man ihnen quasi das Bedauern ausdrückt, das ist mir ein bisschen unsympathisch. Da ginge es schon eher darum, zum Beispiel eine nachträgliche Diplomverleihung zu machen, ihnen Ehrendiplome zu geben. Es kann ja nur bei einer symbolischen Geste bleiben, nur muss die auch entsprechend sein und darf nicht eine neuerliche Verletzung sein, indem sie zum Alibi verkommt. Das ist ganz wichtig, sich das g’scheit zu überlegen. Das werden wir aber sicher heuer noch in den Blick nehmen.

Stephan Schmidt-Wulffen hat gesagt: „Mir ist rechtlich nicht klar, wie man das macht. Schreibt man den Enkeln, dass es einem Leid tut? Ich weiß nicht, ob das ein sinnvoller Akt ist.“ Das können Sie also nachvollziehen.

Ja, aber natürlich kann ich nicht nachvollziehen, wenn man sagt „Ich weiß nicht, wie man das tun soll“. Da muss man sich halt Formen überlegen und da gibt es eine Palette von Möglichkeiten, die dem Anlass auch entsprechen. Es gibt auch die Möglichkeit, mit anderen Institutionen zusammenzuarbeiten, mit dem Jewish Welcome Service oder dem Nationalfonds. Klar, einen Brief schreiben und sagen „wir entschuldigen uns“, ist vertrottelt.

Was ist der Stand der Dinge bei der Provenienzforschung?

Das teilt sich auf zwei Ebenen. Das Kupferstichkabinett und die Gemäldegalerie fallen unter das Kunstrückgabegesetz, weil sie im Eigentum des Bundes stehen. Im Arbeitsplan der Kommission für Provenienzforschung sind die Gemäldegalerie und das Kupferstichkabinett mit einem Vollzeitäquivalent drinnen. Der Arbeitsplan wird demnächst genehmigt und dann können wir schauen, wann wir die Stelle dafür kriegen.

Wie viele Werke müssen da untersucht werden?

In der Gemäldegalerie sind es nach erster Durchsicht 150 bis 200 Werke. Zwischen 1928 und 1952 hat es überhaupt keine Zugänge in der Gemäldegalerie gegeben, das ist der Nachweis dafür, dass die Gemäldegalerie nicht direkt entzogen hat. Aber die Zugänge nach 1952 muss man anschauen, es kann sein, dass hier Bilder gibt, die – durch Kauf, Tausch, Schenkung, was auch immer – unter das Kunstrückgabegesetz fallen. Dasselbe gilt für das Kupferstichkabinett. Da kann man von mehreren tausend Objekten ausgehen, die zu untersuchen sind.

Wie sieht es mit der Bibliothek aus?

Die Bibliothek fällt nicht unter das Kunstrückgabegesetz, weil sie der Akademie gehört und die Universitäten nicht im unmittelbaren Eigentum der Republik sind. Das heißt, die Untersuchung der Provenienzen hier müssen wir aus unserem Budget zahlen. Außerdem ist ein Teil des Zettelkatalogs und der Erwerbsakten nicht mehr da. Das heißt, es ist weitaus komplizierter zu erheben. Wir werden aber schauen, dass wir auf jeden Fall bis zum Sommer ungefähr einen Fokus haben: Wie viele Bücher gibt es überhaupt, die man untersuchen muss? Dann muss man schauen, wie man das innerhalb des Personalstands der Bibliothek bewältigen kann. Angesichts der fehlenden Gelder für Universitäten wird eine eigene Stelle dafür nicht gerade die Stelle sein, die sie uns außerordentlich bewilligen.

Letzter Kritikpunkt: Die Darstellung der Geschichte der Akademie auf der Website. Die ist noch beim Alten.

Jaja. Wir sind gerade beim Relaunch der Website, deswegen haben wir die Inhalte noch nicht geändert. Aber das könnte man eigentlich relativ schnell machen. (Sie schreibt etwas auf ihren Block.) Das werde ich demnächst machen.

DIE KRITIK AN DER AKADEMIE
In der Ausgabe 2/2011 berichtete NU über Vorwürfe der Plattform Geschichtspolitik, einer Gruppe von Studierenden und jungen Lehrenden, an die Akademie der Bildenden Künste und deren damaligen Rektor Stephan Schmidt-Wulffen. Die Akademie verweigere immer noch eine korrekte Aufarbeitung ihrer Vergangenheit unter dem Nationalsozialismus, sagte die Plattform: Die von den Nazis vertriebenen Lehrenden und Studierenden hätten von der Akademie nie ein Wort der Anerkennung oder des Bedauerns gehört; in der offiziellen Selbstdarstellung der Akademie auf deren Website werde die Nazi-Zeit unter den Tisch gekehrt; und die Akademie weigere sich, die Herkunft möglicherweise arisierter Objekte in ihrem Besitz untersuchen zu lassen. Außerdem sei der Nazi-Dichter Josef Weinheber immer noch Ehrenmitglied der Akademie und am Schillerplatz direkt vor deren Gebäude stände immer noch ein Weinheber-Denkmal. Außer in Bezug auf dieses Denkmal zeigte Rektor Schmidt-Wulffen im Gespräch mit NU wenig Verständnis für die Forderungen der Plattform: Es gäbe keine Hinweise auf arisierte Objekte, sagte er und er wisse nicht, wie eine verspätete Anerkennung der Vertriebenen funktionieren solle. Auch die Kritik an der verharmlosenden Darstellung der Nazi-Jahre in der Zeittafel der Akademie konnte er nicht nachvollziehen.

EVA BLIMLINGER
geboren 1961 in Wien, studierte Geschichte und Germanistik auf Lehramt an der Universität Wien. Sie lehrte an verschiedenen Universitäten, leitete die Öffentlichkeitsarbeit der Universität für angewandte Kunst, war Gleichbehandlungsbeauftragte der Österreichischen Rektorenkonferenz, sitzt im Kuratorium des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes und ist stellvertretende Vorsitzende des Kunstrückgabebeirats und wissenschaftliche Koordinatorin der Kommission für Provenienzforschung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur. Seit Oktober 2011 ist sie Rektorin der Akademie der Bildenden Künste und steht damit dem ersten rein weiblich besetzten Rektorat Österreichs vor.

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