Von Thomas Trenkler
Viereinhalb Jahre, von Oktober 2002 an, hatte man in Krems die Sache in die Länge gezogen: Mit haarsträubenden Argumenten wehrte sich Bürgermeister Franz Hölzl (ÖVP) gegen die Restitution zweier Gemälde von Johann Martin Schmidt, die den „Hl. Florian“ und den „Hl. Josef von Calasanz“ darstellen. Sie stammten aus der umfänglichen Sammlung des Wiener Industriellen Richard Neumann, dem 1938 die Flucht geglückt war.
Da es sich anfangs bloß um eine „Zuweisung“ sichergestellten „jüdischen Kunstbesitzes“ handelte, gingen die großformatigen Bilder nicht gleich in das Eigentum der Stadt Krems über. Doch das ließ sich beheben: Ohne Neumanns Einverständnis wurden 2.000 Reichsmark, die man als angemessen erachtete, eingezahlt. Neumann sah das Geld zwar nie. Die Stadt Krems fühlte sich dennoch als Eigentümer. Selbst das Nichtigkeitsgesetz, nach dem eben dieses „Rechtsgeschäft“ null und nichtig zu sein hätte, war scheinbar noch vor einem Jahr in der Wachau unbekannt. Der Bürgermeister behauptete steif und fest: „Krems hat die Bilder damals gekauft.“ Und: „Würden wir sie hergeben, würde uns der Rechnungshof wegen Amtsmissbrauch kritisieren.“
Der Wiener Anwalt Alfred Noll, der den Erben Thomas Selldorff vertritt, wandte sich schließlich, Mitte Jänner 2007, im einem offenen Brief an den Gemeinderat und den Stadtsenat. Krems sei, so seine Argumentation, „in voller Kenntnis der verbrecherischen Umstände in den Besitz dieser Bilder gekommen“. Der eingeschlagene Weg, die Angelegenheit mit einer „fadenscheinigen Begründung“ als erledigt zu qualifizieren, sei „empörend und durchaus skandalös“: Die beiden Heiligendarstellungen des Kremser Barockmalers seien geradezu „ein Musterbeispiel“ für den NS-Kunstraub. Es wäre kaum zu glauben, wenn sich die Stadt „mit dem Diebsgut der Nazis schmücken“ wolle und „kaltschnäuzig“ die berechtigten Ansprüche der NS-Opfer verhöhne.
Die Grünen Gemeinderäte Maria Schwingenschlögl und Markus Gonaus äußerten sich „absolut empört über die Vorgangsweise des Bürgermeisters und des Kulturausschusses“, sie würden sich „schämen“, Vertreter einer Stadt zu sein, die „ohne Wimpernzucken“ NS-Raubkunst ausstellt. Als immer mehr Medien das heikle Thema aufgriffen, über das „Der Standard“ als Erster berichtet hatte, lenkte die Stadt ein: Ende April gab sie bekannt, einer Empfehlung des Provenienzforschers Robert Holzbauer (Leopold Museum) zu folgen und die Gemälde zurückzustellen. Mitte Oktober erhielt Thomas Selldorff die Kremser Schmidts offiziell zurück – im Rahmen eines Festakts im Weinstadtmuseum. Zu diesem Zeitpunkt war Hölzl nicht mehr Bürgermeister: Er hatte den Vorzugsstimmenwahlkampf gegen seine Parteikollegin Inge Rinke verloren.
Der Wert der beiden Bilder wird auf 100.000 bis 140.000 Euro geschätzt. „Sie sind keine Klimts“, sagt Selldorff. „Aber sie sind für unsere Familie sehr wichtig: als Erinnerung an Wien. Ich hoffe, dass unsere Kinder und deren Kinder die Tradition meines Großvaters, dessen Liebe zur Malerei und Bildhauerei ich hoch schätze, fortsetzen.“ Er möchte die Gemälde, die gegenwärtig auf seine Kosten in Österreich restauriert werden, daher auch nicht verkaufen.
Sein Großvater, 1879 in Wien geboren, entstammte einer alten Textilfamilie: 1901, nach dem Studium der Philosophie in Heidelberg, trat er in das Unternehmen Neumann ein und wandelte es in eine Aktiengesellschaft um. „Bereits 1913 äußerte er konkrete Ideen zum Wohlfahrtsstaat“, erzählt Selldorff und verweist auf ein von der Industriellenvereinigung herausgegebenes Bändchen: „Er war der Ansicht, dass man die Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer fördern muss. Das war für jene Zeit eine sehr progressive Einstellung. Er fühlte sich zudem für seine Arbeiternehmer verantwortlich – und weigerte sich, jemanden zu kündigen.“
1938 wurde Neumanns Villa in der Hasenauerstraße 30 von Daisy Prinzessin Fürstenberg „arisiert“, die NS-Behörden stellten einen Teil der Kunstsammlung sicher: Die zwei Kremser Schmidts gingen eben ans Städtische Museum Krems, das „hoch entzückt“ war, zwei „Altarflügel mit Stiftern“ von Maerten van Heemskerck und vier weitere Kunstwerke ans Kunsthistorische Museum. Neumann floh mit seiner Frau und seiner Tochter, Selldorffs Mutter, zunächst nach Paris und 1943 über die Pyrenäen nach Barcelona. „Von dort ging es mit dem Schiff nach Kuba, weil mein Großvater kein Visum für die USA hatte“, sagt Selldorff, der zu jener Zeit bereits mit seinem Vater in den USA lebte. „Er arbeitete als Vorarbeiter in einer Textilfabrik, hielt Vorträge über Kunst und gründete die Kubanische Nationalgalerie.“
1952 übersiedelten die Neumanns nach New York. Selldorffs Mutter machte sich einen Namen als Designerin von Krawatten für Dior, sein Großvater lebte in bescheidenen Verhältnissen. Verbittert über die Ungerechtigkeit sei er dennoch nicht gewesen, sagt Selldorff: „Er hatte alles verloren, aber er war ein Philosoph und ein Optimist. Eine neue Kunstsammlung aufzubauen – dafür fehlten die Mittel. Also sammelte er Briefmarken. Er hat immer nur die positiven Seiten des Lebens gesehen.“
Anfang des Jahrtausends nahm die Restitutionsforscherin Sophie Lillie im Zuge der Recherchen für ihr im Czernin Verlag veröffentlichtes Handbuch „Was einmal war“ auch mit den Erben nach Richard Neumann Kontakt auf. Thomas Selldorff übergab ihr ein Album über die einstige Kunstsammlung seines Großvaters, das von seiner Mutter angelegt worden war. Und Lillie wurde fündig.
Wenn man sich die im Handbuch zitierte Schätzliste durchliest, im Juli 1938 für die Vermögensanmeldung angefertigt, fällt auf, dass Richard Neumann zahlreiche Bilder mit christlichen Motiven besaß, darunter drei Apostelkopfstudien von Anton van Dyck, eine „Madonna mit Kind“ von Neri di Bicci, einen „Hl. Franz de Paula mit dem Kruzifix“ von Giovanni Domenico Tiepolo und einen „Hl. Vinzenz Ferrer, das Jesuskind betrachtend“ von Domenico Tintoretto. Selldorff erstaunt dieser Sammlungsschwerpunkt keineswegs: „Es ist eine Tatsache, dass das religiöse Bekenntnis meines Großvaters für die Nazis die Begründung für die Konfiszierung seiner Sammlung war, aber Religion ist für unsere Familie überhaupt kein Thema (was nicht heißt, dass wir Atheisten sind, eher das Gegenteil ist der Fall). Religion, egal ob jüdische oder eine andere, hat nichts zu tun mit unserem Interesse an Kunst. Mein Großvater sammelte Kunst zu seinem Vergnügen, das er beim Betrachten hatte, wegen des historischen Wertes und als intensivere Kommunikationsform zwischen den Menschen als Schreiben oder Sprechen.“
Nach der positiven Wendung in Krems hofft die Familie nun auch auf ein Umdenken beim Bund. Herbert Haupt, Archivar am KHM, ging 1998 in seiner „Sachverhaltsdarstellung“ über die Erwerbungen in der NS-Zeit auch auf die Heemskerck-Altarflügel ein, die mit „Mitteln der Dienststelle des Reichsministers Dr. Seyss-Inquart“ erworben worden waren: Er hält den Besitz kategorisch für „unbedenklich“. Auch der Rückgabebeirat sprach sich bisher gegen eine Restitution aus. Diese Tafeln hatte Neumann 1949 zurückgefordert. Im Jänner 1952 wurde das KHM zur Rückstellung verpflichtet. Doch dazu kam es nicht, denn das Denkmalamt verhängte eine Ausfuhrsperre: Neumann wurde zu einem Kuhhandel gezwungen. Er erhielt im Gegenzug für seine äußerst wertvollen Kunstwerke bloß 3.000 Dollar und ein eher unbedeutendes Gemälde von Goosen van der Weyden. Wann sich der Rückgabebeirat von Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ) noch einmal mit dem Fall auseinandersetzen wird, ist nicht bekannt.