Ein Weg aus der Versteinerung

Die Sammlung Leopold will in Sachen Kunstrestitution neue Wege gehen. NU sprach mit Diethard Leopold und dem Anwalt Alfred Noll über die Schwierigkeiten, individuelle Lösungen zu finden und die ihrer Meinung nach größten Verhinderer am Weg dorthin: die Republik und die Kultusgemeinde.
Von Martin Engelberg (Interview) und Stephanie del Monte (Fotos)

Seit dem Ableben von Rudolf Leopold und dem Eintreten seines Sohnes Diethard in den Vorstand der gleichnamigen Stiftung ist einige Bewegung in die Diskussionen um die Provenienz der Sammlung Leopold gekommen. Seit Jahren werden heftige Diskussionen und Rechtsstreitigkeiten um arisierte Kunstwerke in der Sammlung geführt, die 1998 mit der Beschlagnahme zweier Egon- Schiele-Gemälde in New York einen ersten Höhepunkt erreicht hatten. Kurz nach dem Ableben von Rudolf Leopold im Jahr 2010, kam es in dieser Sache zu einem Vergleich, weiters wurden vom Museum unabhängige Provenienzforscher eingesetzt und die Verhandlungen mit den Nachkommen der Opfer intensiviert.

In dieser Sache spielt auch die Kultusgemeinde insofern eine Rolle, als sie selber Provenienzforschung, Erbensuche betreibt und Einzelpersonen auch gegenüber dem Leopold- Museum vertritt. Die Fronten zwischen der Kultusgemeinde und der Leopold-Stiftung blieben jedoch bis zuletzt verhärtet. Vor kurzem trat die Kultusgemeinde darüber hinaus in einen Rechtsstreit mit dem Anwalt Dr. Alfred Noll, der ebenfalls Personen in Restitutionsverfahren vertritt.

Das folgende Gespräch sollte eine Klärung der Problematik und der derzeitigen Situation herbeiführen:

Engelberg: Darf ich eine ganz einfache Frage stellen: Warum gibt man nicht einfach Bilder zurück, wenn es einen begründeten Verdacht oder sogar schlüssige Beweise gibt, dass diese Bilder den damaligen jüdischen Eigentümern geraubt bzw. abgepresst wurden oder zu offensichtlich niedrigeren Werten erworben wurden und so weiter. Was spricht dagegen zu sagen: Ok, wir geben dieses Bild einfach zurück?

Noll: Ich glaube, man sollte zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist diese allgemeine Situation: Was hat die Republik Österreich seit 1945 gemacht? Und zweitens – ich sag es jetzt absichtlich so nebulös – was ist vor 1945 passiert. Ich sage: Die Republik hat insgesamt zu wenig gemacht. Sie hat es wenig ambitioniert gemacht, sei es aus Unwillen, aus Unfähigkeit oder aus Unkenntnis. Und es sollte sich keiner darüber hinweglügen, dass es unmöglich ist, etwas nachzuholen, was schon 60 Jahre vorher hätte passieren sollen.

Engelberg: Was sind die Gründe dafür, dass es so schwierig ist?

Noll: Opfer und Täter haben nicht mehr die Chance, sich so auseinanderzusetzen, dass sie eben durch den Vorgang der Bewältigung der Vergangenheit wieder zu einem geordneten sozialen Leben, zu einem Miteinander finden. Wir haben Repräsentanten, wir haben Nachfolger, wir haben Stellvertreter, wir haben Fürsprecher, wir haben Ablehner aus ideologischen, aus politischen Gründen. Weder haben wir jene, die dafür haften können und müssen, was sie getan haben, noch kommt es den Opfern persönlich zugute. Es ist wirklich schwierig.
Zweitens: Die Kunstrestitution ist ja nur deshalb so besonders prominent, weil sich im Hinblick auf Originale im Regelfall die Provenienz, also der Werdegang, die Geschichte dieses Objektes nachvollziehen lässt. Aber denken Sie nur an all die Werte, die Juden nach 1938 zurücklassen mussten, die ihnen geraubt wurden. Als Entschädigung für den Hausrat haben sie jetzt pauschal 7.000 Dollar erhalten. Wir alle wissen, was da möglicherweise dort gestanden ist und dass das halt ein symbolischer Betrag ist, der aber in keiner realen Beziehung steht zu dem, was an Werten verloren wurde. Diejenigen, die Kunst zurückgeben, denken sich, wieso ich, andere haben auch nichts zurückgegeben. Ich muss nur durch diese Stadt gehen und ich sehe, was alles geraubt worden ist. Da gibt auch keiner etwas zurück.
Der dritte Faktor ist: Die Republik Österreich hat es in den letzten 60 Jahren nicht geschafft, ein freimütiges, ambitioniertes Bekenntnis gegenüber den Juden abzugeben. Alles, was gemacht wurde, wie bemüht es auch gewesen sein mag oder auch halbherzig, dies geschah immer mit dem Vorbehalt, machen wir es doch möglichst unauffällig, damit uns niemand draufkommt, weil wer weiß, ob sie uns dann noch wählen. Diese Freimütigkeit im Bekennen dessen, was wir hier als Gesellschaft oder Staat an Verantwortung zu tragen haben, die hat sich in Österreich nicht entwickelt. Das ist ein wesentlicher Hemmschuh, der sich durch alle Facetten der Kunstrestitution durchzieht und in Wirklichkeit so etwas wie eine Lähmung, eine Hemmung, bewirkt, die das Ganze so schwierig erscheinen lässt.

Engelberg: Inwiefern betrifft das die Familie Leopold?

Noll: Das kann ich Ihnen ganz genau sagen: Die Familie Leopold oder die Stiftung Leopold hat das Recht für sich, im Hinblick auf das ABGB (Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, Anm. d. Red.), das seit 1811 sagt, es gibt eben einen gutgläubigen Erwerber auch vom Nicht-Eigentümer und das ist geltende Rechtslage – § 367 ABGB. Wenn man ein Recht wahrnimmt oder wenn man sich auf ein Recht stützt, muss man das nicht groß moralisch unterfüttern. Wenn ich rechts auf der Straße fahre, dann muss ich das nicht moralisch begründen. Und nur weil jemand anderer sagt, mir wäre der Linksverkehr, so wie es ihn bis 1938 gab, lieber, werde ich mich nicht davon abbringen lassen, rechts zu fahren, aus vielerlei Gründen.
Aus moralischen Gründen aber ist es überhaupt keine Frage, dass die Stiftung Leopold alles zurückgeben muss. Und zwar sofort. Vorbehaltlos. Diese moralische Haltung entspricht aber nicht unserer Rechtslage. Und ich werde niemanden persönlich zum Vorwurf machen, wenn er sich aufs Recht stützt. Ich kann das Recht kritisieren, ich kann die Politik kritisieren, ich kann mich auch persönlich unbefriedigt zeigen, aber ich komm nicht drüber weg, dass eine juristische Person, wie die Leopold-Stiftung, bei der größten Menge der Bilder, die sie hat, berechtigter Eigentümer ist.

Engelberg: Mit einer Einschränkung, würde ich jetzt einmal meinen. Es gibt das Kunstrückgabegesetz und wenn dieses im Falle der Leopold-Stiftung zur Anwendung käme, müsste diese sehr wohl Bilder zurückgeben.

Leopold: De jure sind wir nicht verpflichtet, etwas zurückzugeben. De facto ist die Leopold-Museum-Stiftung in einer Art Zwischenposition zwischen einem staatlichen Museum und einem Privatmuseum. Und daher habe ich schon die Haltung vertreten, dass man hier etwas tun müsste und habe das vom ersten Tag meiner Tätigkeit an auch zu erkennen gegeben, dass hier die Privatstiftung wesentlich über das, was sie rechtlich tun müsste, hinausgehen soll. Aber ich behaupte, es gibt auch einen moralischen Anspruch auf Seiten der Stiftung. Also nicht nur einen rechtlichen, sondern auch einen moralischen. Mein Vater hat erst in den Fünfzigerjahren zu sammeln begonnen und die Stiftung wurde überhaupt erst 1994 gegründet. Und es ist ja hauptsächlich ihm zu verdanken, dass diese Dinge heute so geschätzt werden und so fulminante Preise erreichen.

Engelberg: Aber Schiele wurde schon in den 20er- und 30er-Jahren gesammelt und 1947 bei der Biennale in Venedig ausgestellt. War also offensichtlich schon vorher wertvoll.

Leopold: Ja, das stimmt, ja. Ich will nicht sagen, dass er ein Unbekannter war. Aber nach dem Krieg waren die Preise für Schiele im Keller. Und es hat sich nur ein ganz kleiner Kreis als Abnehmer gefunden. Rudolf Leopold selbst hat dann natürlich sehr viel mehr als andere dazu beigetragen, dass die Bilder heute so viel wert sind. Wenn wir ein anderes Beispiel durchspielen: Ein Schuhgeschäft wird „arisiert“, in den Fünfzigerjahren gutgläubig weiterverkauft und heute ist es ein mittelständischer Betrieb, dann ist der mittelständische Betrieb nicht dasselbe wie das „arisierte“ Schuhgeschäft. Niemand würde es als gerecht empfinden, den ganzen Betrieb zurückzugeben, in dem die Lebenszeit von Menschen steckt, die sich das nach dem Krieg erarbeitet haben. Was die Ankäufe in den Fünfzigerjahren betrifft: Mein Vater hat sich nicht anders verhalten, als die meisten Wiener dieser Zeit. Die Restitution war mit 1955 leider allzu eng begrenzt. Und dann hat man gekauft oder getauscht im Bewusstsein einer neuen Situation.

Noll: Letztlich ist da die Frage: Fühlt sich jemand, der etwas hat, von dem man weiß, dass es gestohlen wurde, verpflichtet oder dazu verhalten, das wieder zurückzugeben. Auch wenn es ihm selber etwas kostet oder ihn selber benachteiligt. Das ist eine moralische, eine hochmoralische Frage. Die einzig mögliche Antwort für mich ist klar: Wenn ich etwas habe, von dem ich weiß, dass es meinem Nachbarn gestohlen wurde, dann gebe ich es ihm zurück. Deshalb bin ich der Meinung, die einzig saubere moralische Haltung dazu ist, zurückzugeben, was irgendwie da ist. Und die Nachteile, die müssten sozialisiert und gesellschaftlich aufgefangen werden. Der Zugang hätte sein müssen, seit 1945 bis heute, dass die Nachteile, die dadurch entstehen, dass man guten Glaubens, auch mit Einsatz eigenen Geldes etwas erworben hat, das man jetzt zurückgeben muss, oder wofür man jetzt Entschädigung zahlen muss, von der Allgemeinheit getragen wird.

Engelberg: Jetzt muss ich Ihnen, Herr Dr. Leopold, einen Eindruck von mir wiedergeben: Für mich kam das Agieren Ihres Vaters, Ihrer Eltern, vor allem rüber als ganz widerständig, nicht verstehend, was das Thema Kunstraub und Restitution für uns Juden emotional bedeutet. Im Unterschied dazu gab es für mich Signale, dass Sie einen anderen Zugang dazu haben. Aber auf Nachfragen, ob sich das jetzt irgendwie auch materialisiert hat, gibt es eigentlich noch nicht viel zu berichten.

Leopold: Was meinem Vater hauptsächlich abging, war, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Und vor allem, wenn er angegriffen wurde, hatte er nicht diesen inneren Raum, anders zu reagieren, als zur Gegenwehr zu schreiten. Das ist halt so ein Pioniercharakter, das findet man auch woanders. Aber das war in dem Fall atmosphärisch natürlich ungünstig. Darüber habe ich auch mit ihm öfters diskutiert. Was jetzt das Materialisieren betrifft, haben wir in einigen Fällen in der Zwischenzeit bereits Zahlungen geleistet und ich erwarte mir eigentlich eine Lösung über den Rest der ausstehenden Fälle recht bald. Wenn ich mich nicht täusche, dann hätte sich das, was wir derzeit zu tun haben, materialisiert und wir haben jetzt auch einen Vorgang aufgrund der Erfahrungen, wenn also neue Fälle auftauchen, dass wir das so und so tun werden. Und ich hoffe doch, dass im Laufe meiner fünfjährigen Tätigkeit im Vorstand, dass das Leopold-Museum das erledigt.

Engelberg: Ganz aktuell gibt es ein Bild und fünf Blätter, die sich in der Sammlung Leopold befinden, wo die Kommission festgestellt hat, dass diese Bilder zurückzugeben wären, wenn man das Kunstrückgabegesetz zur Anwendung bringt. Woran liegt das jetzt, dass es da eine Lösung gibt?

Leopold: Also ich tu mir gerade jetzt ein bisschen schwer, weil wir an der Kippe sind, eine Lösung zu finden. Aber es besteht auch die Gefahr, dass es furchtbarerweise wieder in eine jahrelange Versteinerung geht, was ich überhaupt nicht will. Wir haben als Grundlage die Washingtoner Deklaration, wo es heißt, dass wir „just and fair solutions“ finden müssen. Und ich möchte dem noch hinzufügen: „quick solutions“ und menschlich vertretbare Lösungen. Wir wollen mit den Erben möglichst nahe Gespräche zu führen. Was leider nicht so einfach geht, es geht nur über Rechtsanwälte und das macht es schwer.

Noll: 60 Jahre nach 1945 muss es der Sinn und das Trachten aller Beteiligten sein, dass man durch die Verständigung über die Restitution es für beide Seiten besser, angenehmer, schöner, wertvoller, wie auch immer man das bezeichnet, macht. Egal, wie dieser Akt ausschaut. Man muss sich auf der Welt nur umschauen. Es gibt Versöhnungskommissionen in Südafrika, es gibt überall auf der Welt Formen und Möglichkeiten, wie Opfer und Täter zusammenfinden. Überall ist das Ziel der soziale Frieden.

Leopold: Die betroffenen zwei Seiten sollten sich möglichst direkt oder mit verständnisvollen Anwälten zusammensetzen und schauen, was in dieser Situation zu tun ist. Ich bin da für alle Lösungen offen, auch sehr kreative. Erst unlängst haben wir privat mit einer Familie, die jetzt in Australien lebt, eine Lösung gefunden. Wir haben uns relativ schnell geeinigt und so hat also jede Seite dann das Gefühl gehabt: Eigentlich haben wir beide gewonnen. Wir haben ein gutes Gefühl, wir waren in Kontakt, da ist ein gutes Gefühl geblieben. Wir haben eine Summe gezahlt und das Bild wird eine zentrale Stelle in einer möglichen künftigen Präsentation einnehmen und man kann die Familiengeschichte auch hinzusetzen. Also ich empfinde das als eine ideale Situation.
Ganz anders verlief es damals im berühmten Adele-Fall (das berühmte Bild „Adele Bloch-Bauer“ von Gustav Klimt, wurde der Erbin von der Republik Österreich restituiert und danach bei einer Auktion um rekordhohe 135 Mio. Dollar von Ronald Lauder erworben und hängt jetzt in der „Neuen Galerie“ in New York, Anm. d. Red.). Wenn sich damals die österreichischen Akteure und die Frau Altmann an einen Tisch gesetzt hätten und mit einem wohlwollenden Bewusstsein, dann wären sie zu einer guten Vergleichslösung gekommen. Und was ist jetzt der Fall? Die Erinnerung an die Familie Bloch-Bauer hier in Wien ist gelöscht. Was furchtbar ist, weil sie waren ein wichtiger Punkt der österreichischen Kultur. Und im Grunde ist ein bitteres Gefühl zurückgeblieben in manchen Teilen der Bevölkerung: Man hat uns das rausgerissen und auf der anderen Seite: Naja, ihr habt es uns nur gegeben, weil ihr dazu gezwungen ward. Also was ist das für eine Restitution? Hier wurde, finde ich, der Sinn der Restitution, einer Verständigung, verfehlt.

Engelberg: Also ich hatte ja immer das Gefühl, dass letztlich jede Einigung über eine Zahlung halt immer den Geruch hat – gibt das wirklich den wahren Wert wieder? Wird ein Bild versteigert, dann wissen wir, was es wirklich wert ist. Will das Museum oder Österreich das Bild unbedingt haben, dann müssen sie halt das Geld aufbringen, um das Bild zu heutigen Marktpreisen zu ersteigern. Dann kann nachher niemals jemand den Vorwurf erheben, da wurde irgendein fragwürdiger Deal gemacht.

Leopold: Aber warum? Wer mauschelt mit wem? Es sind ja alle frei, das anzunehmen oder nicht.

Noll: Das sind ganz konkrete, erwachsene, gescheite Leute. Aber es herrscht eine Art josephinischer Feudalismus. Weil man damit die eigentlich Betroffenen für dumm, für unfähig hält, sich um ihr eigenes Schicksal zu kümmern und das ist eine widerliche Form des Josephinismus. Ja, es geht mitunter um eine Abkehr vom naheliegenden Prinzip der Naturalrestitution und damit produziert man, wenn man ein ängstlicher Mensch ist, genau wiederum das, vor dem Sie zuerst gewarnt haben. Dem entkommt man aber nicht. Und ich würde mich davor auch nicht schrecken lassen. Ich meine, das passiert jeden Tag, hundertfach vor Gericht, dass man sich vergleicht, und ich würde nicht alle Vergleichsbeteiligten von vornherein denunzieren, dass sie jetzt ein schlechtes Geschäft machen. Es entspricht halt der Ratio des Tages und entspricht jeweils den situativ-adäquaten Einschätzungen, nur, das ist im Leben überhaupt so! Warum hier eine besondere Gruppe von Leuten unter einen fürsorglichen Schutzschirm gestellt werden muss, weil man sagt, ihr seid prinzipiell nicht fähig, eure Rechte zu wahren, das verstehe ich nicht. Und darauf läuft es aber raus.

Engelberg: Sie vergessen dabei vielleicht, dass es für die Opfer und deren Erben eine Genugtuung ist, ein Bild zurückzuerhalten das ihnen in Österreich geraubt oder – schon nach dem Krieg – abgepresst wurde und sie es jetzt im Ausland versteigern und das Bild auch nicht mehr in Österreich bleibt. Auch wenn viele Sammlerfamilien vielleicht in den 20er- und 30er-Jahren große Patrioten waren und sich sehr mit Österreich identifiziert haben, muss doch klar sein, dass durch die Nazizeit und das Verhalten Österreichs danach ein bitteres und tiefes Gefühl der Enttäuschung zurückgeblieben ist und dass sie jetzt sagen: Das Bild soll in New York hängen. Das ist meine Heimat, das ist, wo ich willkommen war, wohin ich geflohen bin. Ich will mit Österreich nichts mehr zu tun haben.

Noll: Das ist es ja, was ich sage: Bezogen auf meine moralische Haltung, ist die sofortige, vorbehaltlose Zurückgabe dieser Sachen das einzig Angemessene. Ich sage Ihnen aber auch ganz offen, was mir eine Mandantin gesagt hat: Herr Doktor, was machen wir denn mit dem Bild, wenn wir’s zurückbekommen? Dann verkaufen wir’s, und dann krieg ich erst recht wieder Geld. Kann ich doch gleich Geld nehmen.

Leopold: Ich sehe diese ganze Restitutionsfrage eher nicht nur unter diesem Titel Vergangenheitsbewältigung, weil, wie wir ja übereinstimmen, wir können das auch über die beste Restitution nicht wiedergutmachen. Sondern ich sehe das auch im Sinne von, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gut, besser miteinander auskommen. Und ich glaube, dass eben die Art und Weise, wie es uns möglich ist, das zu betreiben, ein gutes Gefühl jeweils hinterlässt. Potenziell.

Engelberg: Das, was mir immer wieder durch den Kopf geht, ist, wieso gibt es dann nicht mehr innovative Lösungen.

Noll: Weil der Gesetzgeber sie verbaut hat. Der Gesetzgeber hat eine „hopp oder dropp“-Lösung gemacht und – mit Verlaub – auch die Kultusgemeinde sagt: „hopp oder dropp“. Innovation wurde von allen politischen Akteuren verhindert! Weil, wenn man etwas will, dann kann man es auch, wie es Herr Engelberg gesagt hat. Wenn sich zwei Erwachsene zusammensetzten, dann wird man wohl fähig sein, wenn beide es wollen, immer unter dieser Voraussetzung: dass beide es wollen, eine Lösung finden, die vielleicht nicht für beide Seiten optimal ist, aber die dazu führt, dass beide sagen: Wir können jetzt beide besser leben als vorher, dass beide, und das ist das Spannende, hinterher das Gefühl haben, es geht ihnen jetzt besser als vorher. Das ist das einzig sinnvolle Ziel. Das wird aber von allen Akteuren verhindert.

Engelberg: Wer sind die Akteure, die das verhindern?

Noll: Die Republik und die Kultusgemeinde. Deren Haltung führt zur Politikunfähigkeit. Wie überall im Leben: Ich kann mich einer Lösung nicht dadurch nähern, dass ich meine Haltung zu hundert Prozent durchsetzen will. Weil es dann keine Lösung geben wird. Ein unnachsichtiges Entweder-oder ist in vielen Fällen nicht angemessen.

Leopold: Probleme gibt es immer dann, wenn der Verhandlungspartner leider nicht der Gesprächspartner war. Zwischen Rudolf Leopold und Ariel Muzicant ist es sozusagen in „Null komma Joseph“ zu einer Verhärtung gekommen, die zu gegenseitigem tiefen Misstrauen und einem Stillstand geführt haben. Es ist schwierig, mit jemandem zu verhandeln, der mich eigentlich als Verbrecher hinstellt. Ich habe versucht, dann verstärkt mit den Erben direkt in Gespräche zu treten. Wenn da die für die Restitution zuständigen Vertreter der Kultusgemeinde auch gesprächsbereit wären, dann würde überhaupt die Türe weit offen stehen zu guten Lösungen, glaube ich. Ich meine, ich muss ihnen zugutehalten, dass sie die Gespräche im Moment zumindest nicht behindern.

DIETHARD LEOPOLD
Sohn des Gründers der gleichnamigen Stiftung, Rudolf Leopold, ist Psychologe und Psychotherapeut und, seit dem Ableben seines Vaters im Jahr 2010, Mitglied des Stiftungsvorstandes. Er führt sehr intensiv Gespräche und Verhandlungen zur Lösung von Restitutionsansprüchen gegenüber der Leopold-Sammlung.

ALFRED J. NOLL
ist Rechtsanwalt und Hochschullehrer und vertritt Personen mit deren Restitutionsansprüchen auch gegenüber der Stiftung Leopold.

MARTIN ENGELBERG
Psychoanalytiker und Consultant, ist Mitherausgeber und Kolumnist von NU.

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