Ein Museum, das vieles vergisst

Das Holocaust-Museum in Buenos Aires enttäuscht all jene Besucher, die etwas über die Zeitgeschichte Argentiniens lernen wollen.
Von Barbara Tóth

Ein imposanter Backsteinbau, in einer der Seitenstraßen des geschäftigen Viertels des Bairro Norte, des wohlhabenden, nördlichen Stadtteils von Buenos Aires, an dem man leicht vorbeiläuft, wenn man nicht genau schaut: So präsentiert sich das argentinische Holocaust-Museum seinen Besuchern. Wer hinein will, muss anläuten. Nach Ausweiskontrolle und der Bitte um Verzeihung für diese Sicherheitsmaßnahmen ist man drinnen.

Das Museum besteht aus zwei Gebäuden, die durch einen Innenhof verbunden wurden. Der vordere Teil dient als Vortragssaal, der hintere, früher eine Lagerhalle oder Fabrik, als eigentliches Museum. Im Grunde ist es nur ein einziger, weiß getünchter großer Raum, der als Ausstellungsfläche zur Verfügung steht. Eine Treppe führt in einen Halbstock. Hier ist noch Platz für eine kleine Nebenschau – und für einen spektakulären Blick nach unten.

„Shoa“- oder „Holocaust-Museum“ nennt sich Argentiniens einziges Museum zu diesem Thema. Es wurde erst 2002 gegründet – ist also vergleichsweise jung. Wer eine kursorische Darstellung der Schrecken des Holocaust und seiner historischen Ursachen sehen will, bekommt hier, was er will. Auf plakatgroßen Schautafeln werden Hitlers Aufstieg, die deutsche Wirtschaftskrise, der wachsende Antisemitismus in Europa und schließlich der Zweite Weltkrieg und die Judenvernichtung dargestellt. Nur ganz wenige, ausgesuchte Schicksale von Juden, die es schafften, nach Argentinien zu flüchten, geben die so nahe liegende Verbindung zu der Stadt, in der sich das Museum befindet. Aber auch diese bleibt an der Oberfläche.

Die Schau bleibt weitgehend zweidimensional – im wortwörtlichen, aber auch im übertragenen Sinne. Dieses Museum lebt nur ein wenig und geht kaum eine Beziehung zu seinem Umfeld ein. Videos mit Interviews von Überlebenden beispielsweise oder Exponate aus der Lebenswelt der jüdischen Flüchtlinge findet man nicht. Ein Stacheldraht und ein Stein aus dem Konzentrationslager Mauthausen sind eines der wenigen Vitrinen-Stücke hier.

Zentrales Objekt der Ausstellung ist die Geschichte von Adolf Eichmanns Flucht nach Argentinien mit einem gefälschten Pass, der ihm vom Roten Kreuz ausgestellt wurde. Höhepunkt ist die Zurschaustellung des Passes selber. Er nimmt beinahe den gesamten hinteren Raum der Schau ein, inklusive jener Korrespondenz, die die Museumsleitung mit dem Roten Kreuz führte. Als der Pass im Jahr 2006 „auftauchte“, war Argentiniens Öffentlichkeit erschüttert. Dass hochrangige Nazis mit Hilfe der Regierung in ihrem Land untertauchen konnten, war nur in zeitgeschichtlich interessierten Kreisen ein Thema. Vergangenheitsaufarbeitung ist in Argentinien nach wie vor ein Tabu (siehe dazu die Geschichte von Cornelia Mayrbäurl in diesem Heft).

Ein wenig ist das auch im Holocaust- Museum zu spüren. Muss man tatsächlich einen Brief des Roten Kreuzes ausstellen, in dem sich ein heutiger Funktionär von den damaligen Vorgängen distanziert und explizit einfordert, dass seine Stellungnahme Teil der Ausstellung wird? Im Kontext wirkt das wie ein unnötiger Kotau vor jener Organisation, die nachgewiesenermaßen vielen hochrangigen Nazis mithalf unterzutauchen und zu flüchten. Unter dem Codenamen Odessa wurden die Fluchtwege, die Geldflüsse, die geheime Organisation bekannt – und sind auch wissenschaftlich dokumentiert.

Das Eichmanns Pass nur ein Teil einer systematisch von Ex-Nazis aufgebauten und am Leben erhaltenen Versorgungsmaschinerie – diesen spannenden Aspekt sucht man vergebens im Holocaust-Museum von Buenos Aires.

Und wäre es nicht auch Aufgabe eines Museums, dass das Wort Holocaust im Titel trägt, den Umgang mit diesem Kapitel bis in die Gegenwart mitdarzustellen? Also auch die Mechanismen des Verschweigens und Verdrängens zu thematisieren? Auch diesen Anspruch kann das Museum nicht einlösen.

So bleibt der Eindruck einer soliden, vielleicht nicht immer ganz auf der Höhe der Ausstellungsdidaktik gestalteten, aber sicherlich gut gemeinten Schau zum Thema Holocaust, wie sie in vielen Museen dieser Welt zu sehen sein könnte. Gut geeignet für Schulklassen, die zum ersten Mal mit diesem schrecklichen Thema konfrontiert werden sollen. Aber eben ohne ausreichenden Bezug zur argentinischen Zeitgeschichte.

JÜDISCHES MUSEUM
Buenos Aires
Fundación Memoria del Holocausto Montevideo 919
Tel.: +54 (11) 4811-3588
www.fmh.org.ar
Öffnungszeiten: 10–18 Uhr, freitags bis 14 Uhr, samstags und sonntags geschlossen.

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