Seit etwas mehr als einem Jahr ist er das Gesicht Österreichs in Israel. Der 44-jährige Michael Rendi. Mit NU spricht er über seine Begegnungen mit Überlebenden der Shoah, darüber wie man die jungen Israelis für Österreich interessieren kann und über seine Spurensuche.
Von Danielle Spera (Interview) und Peter Rigaud (Fotos)
NU: Die israelische Botschaft in Wien hat heuer durch außergewöhnliche Aktionen auf sich aufmerksam gemacht, Stichwort Israel-Straßenbahn, Tel-Aviv-Strand etc. Gibt es ähnliche Aktionen durch die österreichische Botschaft in Israel?
Rendi: Das sind ganz tolle Aktionen, das ist das richtige Herangehen an die Menschen. Was gezeigt werden soll, ist Israel aus einem anderen Blickwinkel, das moderne Israel. Auch an der österreichischen Botschaft in Israel bemühen wir uns, Österreich aus den Klischees ein bisschen herauszuholen. Es gibt ein positives und ein negatives Klischee, das kulturelle Österreich und auf der anderen Seite die historische Verantwortung. Auch da möchte ich einige Schritte weiter gehen, aber unter Einbindung gewisser Faktoren.
Österreich bemüht sich seit den 1990er Jahren sehr um die Emigranten.
Wir sind in engem Kontakt mit Überlebenden. Ich fahre oft in Altersheime und bekomme dort überwiegend ein positives Feedback, Diese Menschen freuen sich, wenn sie mich, als einen jungen Österreicher, sehen. Sie tragen zwar den Schmerz und das Trauma in sich, aber auch die Erinnerung an ihre Kindheit und Jugend in Österreich, die sich sicher im Lauf der Jahrzehnte verklärt hat. Ich höre immer wieder auch: „… das waren die schönsten Jahre meines Lebens.“
Als Bundeskanzler Vranitzky bei seinem Israel-Besuch 1992 den Überlebenden die österreichische Staatsbürgerschaft angeboten hat, war ich dabei, als die meisten gemeint haben, jetzt kümmern sie sich um uns, das ist ja reichlich spät …
Bitterkeit schwingt immer mit, aber vielleicht auch durch das zunehmende Alter erinnert man sich doch eher auch an das Positive. Ich empfinde es zumindest so, wenn diese betagten Menschen auf mich zukommen, voller Freude und sagen: „Ich bin a echt’s Weanakind.“ Das ist für mich sehr berührend. Ich sage ihnen aber auch, dass ich mit ihren Kindern und Enkelkindern in Kontakt treten möchte.
Wie geht es dieser zweiten und dritten Generation, empfinden sie noch etwas für Österreich?
Die zweite Generation hat von den Eltern eigentlich nur all die Trauer, all den Schmerz gespürt. Sie sind geboren und aufgewachsen in der Phase, in der die Eltern gerade nach Israel gekommen sind und entweder das Kapitel ganz weggeblendet oder totgeschwiegen oder sehr negativ verarbeitet haben. Daher will die zweite Generation sehr oft keinen Kontakt mit Österreich. Die meisten haben auch nicht Deutsch gelernt. Und trotzdem gibt es eine gewisse Bindung, die an die 3. und 4. Generation übergeht. Und genau bei dieser Bindung möchte ich ansetzen: Im vergangenen Jahr haben wir ein Clubbing in der österreichischen Residenz veranstaltet. Wir haben dazu einen DJ eingeladen, der auch österreichische Wurzeln hat. 200 junge Nachkommen von Vertriebenen sind gekommen. Die Idee war „to reconnect“ – wieder anzuknüpfen. Es gibt da auch ein anderes sehr gelungenes Projekt: Es ermöglicht jungen Israelis in Österreich nach den Wurzeln ihrer Vorfahren zu suchen, wir laden sie ein, in den Gemeinden und Ortschaften der Vorfahren, Spuren nach vertriebenen Verwandten zu suchen. Die jungen Israelis können dabei auch gleich das moderne Österreich erleben. Wir hoffen sehr, dass diese Aktion erhalten bleibt, auch in Zeiten der budgetären Knappheit.
Sie wollen damit die jungen Menschen mit österreichischen Wurzeln erreichen, wie steht es aber mit den jungen Israelis.
Man kann Israel – auch wenn es noch so klein ist – nicht über einen Kamm scheren. In Tel Aviv sind die jungen Menschen sehr offen, sehr kosmopolitisch eingestellt, sie lieben es zu feiern. Hier ist der Zugang leichter zu finden als etwa in Jerusalem. Viele von diesen jungen Israelis waren schon in Österreich, manche haben hier studiert, waren hier Ski fahren, interessieren sich nicht nur für Europa, sondern vielleicht auch für die deutsche Sprache oder für Österreich. Wir haben jetzt eine Bundesregierung, die in Israel durchaus positiv aufgenommen wird, der Brückenschlag ist also gelungen. Ich sehe die Rolle der Botschaft als Plattform, an der man andocken kann, in Sachen Ausbildung, es gibt etwa Stipendien extra für Israelis für Tourismus und Wirtschaft. Wir haben nun ein Programm ausgearbeitet. Israelische „Young Professionals“, die am Beginn ihrer Karriere stehen, werden nach Österreich eingeladen, damit sie hier mit jungen Österreichern zusammenkommen und -arbeiten können.
Was denken die jungen Israelis über Österreich, welche Meinung haben sie über unser Land?
Natürlich schwingt auch bei diesen Begegnungen immer die Politik mit. Wir tragen das Stigma, dass wir uns der historischen Verantwortung lange nicht gestellt haben, dass lange alles unter den Teppich gekehrt worden ist. Ich stelle mich dem, in meinen Gesprächen gebe ich zu verstehen, dass mir das sehr bewusst ist und ich ganz offen darüber diskutieren möchte. Darüber wundern sich meine Gesprächspartner zuerst, dann ist aber eine unverkrampfte Begegnung möglich. Darüber hinaus interessieren sich die jungen Israelis für Themen, die überall sonst auch junge Menschen beschäftigen.
Die jungen Israelis interessieren sich aber durchwegs für die politische Entwicklung, im eigenen Land, aber auch in Europa.
Ja, und gerade in diesem Zusammenhang kann ein verstärkter Dialog zwischen jungen Österreichern und Israelis sehr spannend sein.
Wie erleben Sie als Österreicher Israel überhaupt, gibt es ständig Diskussionen über Politik oder Vergangenheit?
Ja, das kommt ständig, aber es überlagert nicht die gesamte Diskussion. Wenn ich sage, „I am from Austria“, dann kommt heute nicht mehr der Reflex, aha, ein braunes Fenster öffnet sich. Das ist sicher weniger geworden. Wir werden verstärkt als europäisches Land gesehen, das wie viele andere eine Rolle spielt. Heute geht es eher um die Frage, sind wir ein Freund Israels oder nicht, wo stehen wir im Nahost-Konflikt, wie stehen wir dem Staat Israel gegenüber? Das ist heute die wichtigere Frage.
Apropos Freund Israels: Das Bild, das in Österreich von Israel gezeichnet wird, ist wenig israelfreundlich, das hat sich gerade im Gaza-Konflikt wieder gezeigt, vor allem in den Medien. Vielleicht liegt es auch daran, dass viele Journalisten noch nie in Israel waren.
Österreichische Politiker kommen häufiger nach Israel als Journalisten, da gibt es nur zaghafte Versuche, und wenn sie kommen, dann nur in Zeiten einer Krise, wie jetzt beim Gaza- Konflikt. Das Image Israels ist in Österreich meiner Meinung nach eigentlich nicht so schlecht wie in anderen europäischen Ländern, wo es zu großen anti-israelischen Kundgebungen gekommen ist. Das wird in Israel sehr wohl registriert. Ich würde sagen, wir liegen im europäischen Mainstream. Das kann man so oder so sehen, ich sehe das positiv. Österreich und die EU haben großes Verständnis für die Sicherheitsinteressen Israels, sind aber auch davon überzeugt, dass nur eine Zweistaatenlösung für Israel auf Dauer Sicherheit bringen kann.
Dass Israel täglich angegriffen wird, auch davon erfährt man in Österreich derzeit kaum etwas.
An der Situation in Gaza hat sich nur sehr wenig geändert. Die Hamas ist operativ, aus dem Gazastreifen kommen weiter Raketen. Es könnte sein, dass man da bald wieder auf eine ähnliche Krise zusteuert. Es scheint ein bisschen wie die Ruhe vor dem Sturm, wir werden bald eine neue Regierung in Israel haben, die sich schwierigen Aufgaben stellen muss.
Wohin entwickelt sich Israel unter der neuen Regierung?
Ich bin mit Prognosen vorsichtig: In einem Land wie Israel kann von einem Tag auf den anderen alles anders sein. Netanyahu wird sicher vieles anders machen als sein Vorgänger. Seine erste Priorität ist der Iran, allerdings ist fraglich, was er tun möchte. Denn auch die US-Regierung ist erst in ihrer Genesis-Phase, und hat jetzt durch die Wirtschaftskrise andere Prioritäten. Die Konturen der Nahost-Politik Obamas müssen erst geschärft werden.
Eine eventuelle Annäherung der Fatah und der Hamas – birgt das Hoffnung oder wird es zu einer noch größeren Bedrohung?
Aus israelischer Sicht bleibt die Hamas kein Partner – auch wenn sie mit der Fatah eine Regierung bildet. Netanyahu wird da sicher keine Verhandlungsbereitschaft zeigen, denn er wird von seiner Linie nicht abgehen. Er setzt auf wirtschaftlichen Frieden mit den Palästinensern, d. h. in erster Linie darauf, dass die wirtschaftlichen Strukturen der Autonomiebehörde so gestärkt werden, dass ein wirtschaftlicher Wandel Platz greift und eine neue Basis entsteht. Ich würde vor zu optimistischen Ansichten warnen. Denn die Palästinenser wollen auch politische Freiheit.
Eine Bedrohung nicht nur für Israel stellt der Iran dar, mit seinen Bestrebungen, eine Atommacht zu werden, da hat man den Eindruck, dass Europa das nicht allzu ernst meint.
Es ist richtig, auch mir und meinen Kollegen wird von israelischer Seite immer wieder gesagt, dass die iranische Shahab-Rakete es sicher bis Rom oder vielleicht auch Wien schaffen wird. D. h. die EU könnte bei einem möglichen Angriff betroffen sein, also die EU sollte nicht unbeteiligt zuschauen. Für Israel laufen die Bemühungen, den Iran zu stoppen, zu langsam. Österreich bringt sich dabei aktiv ein, Kritiker werden bestimmt sagen, alles zu langsam. Es ist klar, dass die Zeit sehr schnell vergeht und der Iran auf Zeit spielt. Die Weltpolitik ist gefordert. Optimist in dieser Frage zu sein, ist heute schwer.
Sie sind, als Sie Ihr Amt angetreten haben, nicht ohne Vorbereitung nach Israel gekommen, Sie stammen aus einer jüdischen Familie.
Meine Familie ist ein Fleckerlteppich und hat sich durch die Realitäten des k. u. k. Österreich entfaltet. Väterlicherseits stamme ich aus einer jüdischen Familie aus Graz. Das Tuchhaus Rendi war eines der großen Textilhäuser Österreichs, ein weiteres gab es in Zagreb, die Krapina-Webereien. Unsere Familie ist geflüchtet, als die Nazis nach Zagreb kamen. Der deutsche Oberkommandierende ist in unsere Villa eingezogen, in jenes Haus, in dem mein Vater geboren worden ist. Danach haben es die Kommunisten übernommen. Mein Vater war Mitglied der Kultusgemeinde, aber nie aktiv und auch nicht religiös. Es war eine typisch assimilierte Familie, einmal hat er mich in die Synagoge mitgenommen.
… und mütterlicherseits?
Die Familie meiner Mutter kommt aus einer jüdischen Juristenfamilie aus Rostov am Don, ihre Mutter hat in Wien Medizin studiert, hier einen aus Brünn stammenden Katholiken geheiratet und ist in den 1930er Jahren zur russisch-orthodoxen Kirche übergetreten. Sie wurde aber dennoch von der Gestapo verhaftet, mein Großvater hatte aber als Arzt einem hohen deutschen Offizier nach einem Unfall das Leben gerettet und konnte mit dessen Hilfe meine Großmutter aus der Gestapo-Haft befreien. Danach konnten sie als Landärzte mit einer falschen Identität in der Nähe von Dresden überleben. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs sind sie wieder nach Wien gekommen, die jüdische Identität wurde allerdings immer totgeschwiegen. Meine Großmutter ist auch auf dem russisch-orthodoxen Friedhof begraben. Meine Mutter und deren Schwestern wurden katholisch erzogen, ich bin getauft worden. Von der jüdischen Herkunft meiner Mutter habe ich erst sehr spät erfahren. Meine Großmutter hat meiner Mutter kurz vor der Hochzeit gesagt: „Willst Du das wirklich, jetzt geht das wieder los …?“ Meine Eltern haben in der Pfarre Grinzing einen sehr couragierten Pfarrer gefunden, der im Wien der späten 1950er Jahre den Mut hatte, meinen jüdischen Vater und meine „katholische“ Mutter in einer Kirche zu trauen.
Ihre Mutter hat also mit ihren Eltern unter einer falschen Identität überlebt – und der Vater?
Mein Großvater Felix Rendi wurde in Süditalien interniert, mein Vater ist auf der Flucht in Como aufgewachsen, er spricht italienisch wie ein Italiener, kroatisch wie ein Kroate, die letzten Kriegsjahre hat er mit meiner Großmutter in der Schweiz überlebt. Danach hat meine Großmutter wieder in Graz gelebt. Das Tuchhaus Rendi ist unserer Familie nach dem Krieg zurückgegeben worden, es wurde dann verkauft, das wunderschöne Jugendstil-Gebäude am Joanneumring N°5 steht noch. Man fragt mich übrigens oft, woher der Name Rendi kommt, das ist kein ungarischer Name. Die Familie hieß Rosenbaum, das wurde aber schon lang vor den Nazis in Rendi geändert. Dadurch dass die Firma international tätig war, hat Simon Rosenbaum seinen Namen in den in allen Sprachen leicht klingenden Namen Rendi geändert. Meine Eltern haben sich im Wien der 1950er Jahre kennengelernt, mein Vater war bei der Atombehörde tätig, ich bin in Italien und Brasilien aufgewachsen.
Was werden Sie Ihrer Tochter weitergeben, wie wird sie ihre jüdischen Wurzeln leben, erleben?
Was meine Eltern mir mitgegeben haben, sind sicher die Weltoffenheit und die Sprachen, das möchte ich meiner Tochter auch mitgeben. Sie lernt derzeit Englisch und Hebräisch. Religion ist bei mir und meiner Frau nicht sehr stark ausgeprägt. Für mich persönlich ist der Posten in Israel sehr wichtig, weil ich den Umgang mit meinen jüdischen Wurzeln und der katholischen Erziehung jetzt viel unverkrampfter suchen kann. Es ist für mich ein ganz wichtiger Weg der Selbstfindung.
Wenn man in Österreich erzählt, dass man nach Israel fährt, wird einem mit Unverständnis begegnet, was, in dieses gefährliche Land? Wie erleben Sie das?
Ich fühle mich in Israel sehr wohl. Ich bin in São Paulo aufgewachsen, dort ist die Gefahr sicher größer, ich habe mich, was die Kriminalität anlangt, noch nie so sicher gefühlt wie jetzt in Israel. Es gibt das Risiko von Anschlägen, das ist, zumindest derzeit, eher gering, wenn man von den seltenen Bulldozer-Attentaten absieht. Ich bin auch fallweise im Westjordanland, habe mich aber auch dort noch nie unsicher gefühlt. Wir bieten jedenfalls für alle Reisenden Tipps an, die man auf unserer Homepage (www. aussenministerium.at/telaviv) aktuell abrufen kann. Meiner Meinung nach soll man unbedingt nach Israel fahren, ein wunderbares, spannendes Land mit wunderbaren Menschen, das ich nur jedem ans Herz legen kann.
Danke für das Gespräch.